Werk, schwieriges    Baubo eilte in den Palast. Sie riß die Tür auf, es wehrte ihr keiner, und was sie sah, entsetzte sie so, wie es sie anwiderte und empörte: Da lagen sie winselnd auf dem Boden, lebendige, blutdurchpulste Menschen, lagen da, als ob sie Leichname würden, die Haare zerrauft, die Brüste zerfleischt, graue Asche gleich getrockneter Trübsal über ihre Leiber gestreut, und dies vor der Göttin des Blühens und Reifens, der Großen Mutter der Fruchtbarkeit. - Es war ekelhaft, einfach ekelhaft. - Was Baubo erblickte, war das schlechthin Obszöne, das, was die Natur der Gottheit beleidigt, in deren Bannkreis man sich bewegt. ~ Sie hätte in den Hades gepaßt, diese Trauer; hier war sie schmutzig, weil am unrechten Ort, eine Besudelung wie diese wimmernden Bitten, die einzig nur bewirken konnten, daß die Göttin sich tiefer in sich verschloß.

Sahn sie denn nicht, daß die Blühende versteinte?

Ach, sie preßten die Kopfe ja in den Boden, und ihre Augen starrten von Salz und Staub.

«Mütterchen», rief Baubo mit schmeichelnder Stimme, in der ein leises Schmollen schwang, gerade so viel, als Ammen sich vor der Herrschaft herausnehmen dürfen: «Mütterchen, Mutter, du Ewig-Junge» - und Baubo lüftete ihr Gewand und schürzte es bis über den Nabel -, «du Blühende, Schöne, sieh dir das an!» - Die am Boden hörten es mit Entsetzen; wiewohl sie doch schon hingestreckt lagen, schienen sie sich ob solchen Erdreistens zu ducken, und so hinderte keiner, was nun geschah: Baubo hob ihren Chiton hoch, das Leinenhemd, wie Frauen es trugen, schürzte es bis unter die Brüste, und: «Blühende», sprach sie, «schau dir dieses Ding an», und sie wackelte mit dem entblößten Bauch, schwang ihn, den dicken, braunfleckigen, faltigen, über den dicken, faltigen Schenkeln und schwenkte ihre Mitte vor den Augen der Göttin, beim Namen nennend, was sie da zeigte: diese Haare, und diesen Hügel, und diese Wülste, und diese Lippen, und diese Höhle, und diese Mündung, und über dem klaffenden Schlund diesen Stempel, der, bei jungen Frauen ein rosiges Knöspchen, bei ihr beinah als ein Daumenglied ragte, fleischiggrau nackt, ein wak-kelnder Wächter, und sie wiederholte: «Sieh dir das an!» Und da geschah es, daß die gramschweren Augen, die teilnahmslos schon zu erkalten schienen, zu sehen begannen, was Baubo ihr zeigte und was man im Alter doch ängstlich verbirgt: diese struppigen, spröden, weißgrauen Haare, diesen mürben Hügel, diese runzligen Wülste, diese gähnende vertrocknende Höhle und dieses nackten fleischernen Stempels ohnmächtig letztes Aufbegehren wider das Gesetz der Zeit, und Baubo, In den Blicken der Göttin fühlend, daß deren Augen sich erwärmten, ließ Bauch und Schenkel hurtiger tanzen, um ihr schrumpliges Leibloch, das sie noch spreizte, daß man sähe, wie tief hinab es dorre, und es war kein Makel in ihrem Tun, sie war auch jetzt nur die sorgende Amme, die weiß, welche Tröstung notwendig ist.

«Ach du süße, nie welkende Mutter», sprach sie, «heiliges Schwellen, ewiges Reifen, sieh, so geht es uns sterblichen Weibern, die wir lebenden Leibs in den Tod hinein trocknen wie eine Weinbeere auf der Darre, aber darf es dem Grün und dem Blühen so gehen, deiner Welt, die )ung ist, wie du es bist, Mutter» - und Baubo, im Wackeln schwer atmend und schnaufend, schüttelte ihr Haargestrüpp -: «Willst du wirklich dein blühendes Reich zu solch einer greulichen Ödnis verdammen? Sollen deine Wälder und Wiesen nie mehr ein Bett sein? Deine Gerste nie mehr sättigende Nahrung? Und dein Mohn nie mehr lösender Schlaf?»

Und sie setzte, alles wagend, in unverschämtem Schmollen hinzu: «Hör mal, das kannst du doch nicht mit dir machen!»

Denen am Boden verschlug es den Atem: sie waren, nun den Fluch der Gottheit auf ihr eigenes Haupt und Haus erwartend, nicht einmal mehr zu flehen fähig, so daß man das Stauben der Blätter hörte und das Heulen der todbangen Tiere, und die Göttin sah über Baubos Schultern durch das offengebliebene Tor und sah ihre Welt ins Sterben gestürzt, und sah wieder dies Ding, das die Alte ihr zeigte, und sah es voll Rührung, ein drolliges Schmachten und zugleich ein ungeheueres Zeichen, und spürte, ein wenig die Glieder lösend, die süße Vollkommenheit ihres heilen, göttlichen, nie alternden Leibes und spürte im Verlangen des Schwellens auch das Schwellen ihres Verlangens und fühlte ihre Brüste sich straffen und spürte wieder Blut und Begehren, und da trafen sich ihre Blicke, Blick der Sterblichen, Blick der Göttin, beide einer Mitte entstammend, und Baubo sah in den unsterblichen Augen den Schimmer eines Lächelns erblühen, in dem die Welt genesen konnte, und da lächelte auch sie, wie Ammen halt lächeln, wenn ihnen ein schwieriges Werk gelungen, und in diesem Lächeln war sie schön.   - Franz Fühmann, Baubo. Nach (fue)

Werk Schwierigkeiten

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