Werbegraphiker  Es gab einen Ort - den einzigen Ort in New York -, wo ich gerne hinging, besonders wenn ich gehobener Stimmung war, und das war das Atelier meines Freundes Ulric. Ulric war ein geiler Bock. Durch seinen Beruf kam er mit allerlei Striptease-Dohlen, Schwanz-Anheizerinnen und allen möglichen Sorten sexuell verquerer Weiber zusammen. Lieber als die berückend schönen Glamour-Schwäne, die zu ihm kamen, um sich auszuziehen, mochte ich die farbigen Mädchen, die er häufig zu wechseln schien. Es war nicht leicht, sie dazu zu bewegen, daß sie uns Modell standen. Noch schwieriger war es, sie dahin zu bringen, daß sie ein Bein über eine Armlehne legten und ein wenig lachsfarbenes Fleisch zur Schau stellten. Ulric konnte sich nicht genug tun, wollüstige Anregungen zu geben, immer dachte er sich Möglichkeiten aus, um seinen Pinsel anzusetzen, wie er sich ausdrückte. Es war für ihn eine Ablenkung von dem langweiligen Quatsch, den man ihm in Auftrag gegeben hatte. (Er wurde hoch bezahlt dafür, daß er schöne Suppenbüchsen oder Maiskolben für die Rückseiten von Zeitschriften malte.) Er hätte viel lieber Mösen gemalt - üppige, saftige Mösen, mit denen man die Badezimmerwände hätte tapezieren können, um so ein wohliges angenehmes Gefühl in den unteren Eingeweiden zu erzeugen. Er hätte sie umsonst gemalt, wenn irgendwer für Essen und Kleingeld gesorgt hätte. Wie ich eben schon gesagt habe, hatte er eine besondere Vorliebe für schwarzes Fleisch. Wenn er das Modell schließlich in eine ausgefallene Stellung gebracht hatte - wie es sich herunterbückte, um eine Haarnadel aufzuheben, oder auf eine Leiter stieg, um einen Fleck an der Wand abzuwischen -, wurde mir Zeichenblock und Bleistift in die Hand gedrückt und ein besonders günstiger Blickwinkel empfohlen, aus dem heraus ich - unter dem Vorwand, eine menschliche Gestalt zu zeichnen (was über meine Fähigkeiten hinausging) — meine Augen an den mir dargebotenen anatomischen Teilen weiden konnte, während ich das Papier mit Vogelkäfigen, Schachbrettmustern,  Ananasfrüchten und Hühnerspuren bedeckte. Nach einer kurzen Ruhepause halfen wir dem Modell mit viel Getue, wieder seine ursprüngliche Stellung einzunehmen. Dazu bedurfte es mancher delikater Manöver. So mußten beispielsweise die Hinterbacken ein wenig nach oben oder auch nach unten verschoben, ein Fuß ein wenig höher gestellt, die Beine etwas mehr gespreizt werden, und so weiter. «Ich glaube, jetzt hätten wir's, Lucy», höre ich ihn noch sagen, wenn er sie geschickt in eine obszöne Stellung hineinmanövriert hatte. «Kannst du so stehen bleiben, Lucy?» Und Lucy gab ein Niggergewimmer von sich; das bedeutete, daß sie ganz stillhalten wollte. «Wir werden dich nicht lange quälen, Lucy», setzte er dann hinzu und gab mir heimlich einen Wink. «Beobachte die Longitudinalvagination», forderte er mich auf, in einer hochgestochenen Ausdrucksweise, der Lucy mit ihren Kaninchenohren unmöglich folgen konnte. Worte wie «Vagination» waren ein angenehmes, zauberhaftes Wortgeklingel in Lucys Ohren. Als sie uns eines Tages auf der Straße begegnete, hörte ich, wie sie ihn fragte: «Keine Vaginationsübungen heute, Mr. Ulric?»   - Henry Miller, Sexus. Reinbek bei Hamburg 1980 (zuerst 1947)
 
 

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