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der Dichter einmal das Geistes
mächtig ist, wenn er die gemeinschaftliche Seele,
die allem gemein und jedem eigen ist, gefühlt und sich zugeeignet, sie festgehalten,
sich ihrer versichert hat, wenn er ferner der freien Bewegung, des harmonischen
Wechsels und Fortstrebens, worin der Geist sich in sich selber und in anderen
zu reproduzieren geneigt ist, wenn er des .schönen, im Ideale des Geistes vorgezeichneten
Progresses und seiner poetischen Folgerungsweise gewiß ist, wenn er eingesehen
hat, daß ein notwendiger Widerstreit entstehe zwischen der ursprünglichsten
Forderung des Geistes, die auf Gemeinschaft und einiges Zugleichsein aller Teile
geht, und zwischen der anderen Forderung, welche ihm gebietet, aus sich herauszugehen
und In einem schönen Fortschritt und Wechsel sich in sich selbst und in anderen
zu reproduzieren, wenn dieser Widerstreit ihn immer festhält und fortzieht auf
dem Wege zur Ausführung, wenn er ferner eingesehen hat, daß einmal jene Gemeinschaft
und Verwandtschaft aller Teile, jener geistige Gehalt gar nicht fühlbar wäre,
wenn diese nicht dem sinnlichen Gehalte, dem Grade nach, auch den harmonischen
Wechsel abgerechnet, auch bei der Gleichheit der geistigen Form (des Zugleich-
und Beisammenseins), verschieden wären, daß ferner jener harmonische Wechsel,
jenes Fortstreben, wieder nicht fühlbar und ein leeres, leichtes Schattenspiel
wäre, wenn die wechselnden Teile, auch bei der Verschiedenheit des sinnlichen
Gehalts, nicht in der sinnlichen Form sich unter dem Wechsel und Fortstreben
gleichbleiben, wenn er eingesehen hat, daß jener Widerstreit zwischen geistigem
Gehalt (zwischen der Verwandtschaft aller Teile) und geistiger Form
(dem Wechsel aller Teile), zwischen dem Verweilen und Fortstreben des Geistes,
sich dadurch löse, daß eben beim Fortstreben des Geistes, beim Wechsel
der geistigen Form die Form des Stoffes in allen Teilen identisch bleibe
und daß sie ebensoviel ersetze, als von ursprünglicher Verwandtschaft und Einigkeit
der Teile verloren werden muß im harmonischen Wechsel, daß sie den objektiven
Gehalt ausmache im Gegensatze gegen die geistige Form und dieser ihre
völlige Bedeutung gebe, daß auf der anderen Seite der materielle Wechsel
des Stoffes, der das Ewige des geistigen Gehalts begleitet, die Mannigfaltigkeit
desselben die Forderungen des Geistes, die er in seinem Fortschritt macht
und die durch die Forderung der Einigkeit und Ewigkeit in jedem Momente aufgehalten
sind, befriedige, daß eben dieser materielle Wechsel die objektive Form, die
Gestalt ausmache im Gegensätze gegen den geistigen Gehalt; wenn er eingesehen
hat, daß andererseits der Widerstreit zwischen dem materiellen Wechsel
und der materiellen Identität dadurch gelöst werde, daß der Verlust von
materieller Identität, von leidenschaftlichem, die Unterbrechung fliehendem
Fortschritt ersetzt wird durch den immerforttönenden alles-ausgleichenden geistigen
Gehalt und der Verlust an materieller Mannigfaltigkeit, der durch das schnellere
Fortstreben zum Hauptpunkt und Eindruck, durch diese materielle Identität entsteht,
ersetzt wird durch die immerwechselnde idealische geistige Form; wenn er eingeschen
hat, wie um-gekehrterweise eben der Widerstreit zwischen geistigem ruhigem Gehalt
und geistiger wechselnder Form, soviel sie unvereinbar sind, so auch der Widerstreit
zwischen materiellem Wechsel und materiellem identischem Fortstreben
zum Hauptmoment, soviel sie unvereinbar sind, das eine wie das andere fühlbar
macht, wenn er endlich eingesehen hat, wie der Widerstreit des geistigen Gehalts
und der idealischen Form einerseits und des materiellen Wechsels und identischen
Fortstrebcns andererseits sich vereinigen in den Ruhepunkten und Hauptmomenten,
und soviel sie in diesen nicht vereinbar sind, eben in diesen auch und ebendeswegen
fühlbar und gefühlt werden, wenn er dieses eingesehen hat, so kommt ihm alles
an auf die Rezeptlvität des Stoffs zum idealischen Gehalt und zur idealischen
Form. Ist er des einen gewiß und mächtig wie des andern, der Rezeptivität des
Stoffs, wie des Geistes, so kann es im Hauptmomente nicht fehlen. - Friedrich
Hölderlin, Über die Verfahrungweise des poetischen Geistes