endeltreppe Eine
Gruppe von älteren Jungs entdeckte einen Keller, der aussah, als
wäre er vollgestapelt: durch die Gitter an den Fenstern konnte man einen Haufen
Verdecke, kleine Rohre, Wachsplanen, Zeltbahnen und, in den Regalen, Käse erkennen.
Die Nachricht verbreitete sich in Windeseile: fünf-, sechshundert Leute drängten
den vorderen in den Rücken. Die Türe wurde eingedrückt, und alle, wie sie da
waren, stürzten hinein und quetschten sich gegenseitig.
Riccetto und Marcello mittendrin. Vom Sog der Menge wurden
sie, fast ohne den Boden zu berühren, durch die Türe getragen. Man mußte eine
Wendeltreppe runtersteigen: die Masse drängelte von hinten nach, und Frauen
schrien halb erstickt. Die Wendeltreppe quoll über von Menschen. Ein dünnes
Eisengeländer gab nach, brach, eine Frau stürzte schreiend runter und schlug
mit dem Kopf auf eine Stufe. Die draußen drückten
weiter. »Sie ist tot«, rief ein Mann von hinten aus dem Keller. »Sie ist tot«,
fingen die Frauen entsetzt an zu schreien, doch sie konnten weder vor noch zurück.
Marcello ging die Stufen weiter runter. Unten machte er einen Satz über die
Leiche, hechtete in den Kellerraum und stopfte die Einkaufstasche mit Abdeckplanen
voll, genau wie die anderen Jungs, die zusammenrafften, was sie kriegen konnten.
Riccetto war verschwunden, vielleicht war er wieder raus gegangen. Die Menschenmenge
hatte sich aufgelöst. Wieder kletterte Marcello über die tote Frau und rannte
nach Hause.- (
rag
)
Wendeltreppe (2)
Wendeltreppe
(3)
26. Oktober 1916. Vor einem Turineingang hatte ich den kleinen Wilhelm
zurückgelassen und ihm zu warten befohlen. Ich stieg die Wendeltreppe
hinauf. Die rohe Ziegelwand hatte Nischen; die schienen tief in Katakombenfinsternis
hineinzuführen. Ich sah hohe schmale silberne Wiegen; in jeder lag,
puppenklein, ein toter deutscher oder französischer Soldat, die gläsernen
Augen weit offen; einzelne Lorbeerblätter, wie kleine Flügel, standen
auf Blutgerinnseln an Stirn und Haar. Ich stieg weiter und befand mich auf einmal
vor dem schönen jungen Wolf, den wir im Tierpark zu Hellabrunn öfters
gefüttert haben; seine rechte Vorderpfote war zwischen zwei Stufen
eingeklemmt, erwartungsvoll sah er mich an. Eine Berührung genügte, um
ihn zu befreien; vorsichtig hinkend ging er mir nach oben voraus. Dabei merkte
ich, <iaß von den Schultern an sein Fell eigentlich ein Gefieder War, breite
graue, silbern geaugte Federn, in einem Pfauenschweif endend. Ich
sah empor, da flog hinter Wolken 3er Mond, Wind pfiff um die Ohren, ich stand
auf weiter Heide. Drei weibliche Gestalten, in weiße Decken gehüllt, schliefen
unter eisklirrenden Bäumen. Die vordere war Vally; dahinter, größer, wesenloser,
lagen Mutter und Schwester. Ich beugte mich nieder, da sah ich, daß die weißen
Decken aus lauter Schneeflocken bestanden, die wie ein Federkleid aneinanderhingen.
Der Wolf ging im Kreise herum und beschnupperte
die drei Frauen. Jetzt erwachten sie, mit verstörten Gesichtern; keine kannte
mich. „Der Wolf wird euch fressen, wenn ihr schlaft auf der Heide!" rief
ich ihnen zu. Sie lächelten einander verlegen an. - „Geht in den Turm! Dort
sind silberne Wiegen", setzte ich hinzu. Ich wollte es freundlich und ermutigend
sagen, aber es kam hart und drohend heraus. Sie erkannten mich nicht und fürchteten
sich vor mir. Vally, frostgeschüttelt, zog die Schneedecke über sich und rief
dabei leise dem Wolf etwas zu. Der legte sich den Schläferinnen zu Füßen, schlug
ein Pfauenrad und bedeckte alle drei mit seinem ungeheuren grauen, silbern spiegelnden
Gefieder. - Hans Carossa, nach (
je
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