eltuntergang  Die Stadt Perle stand am alten Fleck. — Aus dem Palaste trat Patera, atmete tief und so geräuschvoll, daß ich es bis herauf hörte, streckte sich und wurde dabei immer größer. Schon war sein Kopf bis in meine Höhe gewachsen, er hätte den ganzen Palast als Schemel benutzen können. Seine Kleider waren geplatzt und von ihm abgefallen. Sein Gesicht bedeckten die lang herabfallenden Locken. — Mit den ungeheuren Füßen schob er die Straßen auseinander und beugte sich über den Bahnhof, wo er nach einer Lokomotive griff. Darauf blies er wie auf einer Mundharmonika, wuchs aber zusehends immer nach allen Seiten, so daß ihm sein Spielzeug bald zu klein wurde. Da brach er den großen Turm ab und schmetterte damit entsetzliche Drommetenstöße gegen den Himmel, schrecklich war sein nackter Leib anzusehen. Jetzt entwickelte er sich ins Grenzenlose, grub einen Vulkan aus, an welchem noch ein schneckenförmig gewundener Granitdarm der Erde hing. Dieses gigantische Instrument setzte er an seine Lippen — es dröhnte, daß das Weltall erzitterte. Längst war die Stadt unter seinen Füßen verschwunden. Aufgerichtet stand er da, seine oberen Körperteile reichten in die Wolken, sein Fleisch war wie aus Hügeln zusammengesetzt. — Er schien von Wut erfüllt! In der Ferne sah ich ihn niederknien, Vogelscharen fingen sich in seinem langen Haar. Er watete in ein Meer, das ihm kaum bis zu den Hüften reichte, aber austrat und die ganze Erde überschwemmte. Mit seinen ungeheuren Armen ruderte er in den Gewässern und fing Schiffe und zappelnde Meerungeheuer. Zerquetscht warf er alles wieder von sich. Er zertrat die Gebirge, die wie Lehm aufspritzten, große Ströme ergossen sich in seine Fußstapfen. Er wollte alles. vernichten. Bis in die entferntesten Berghütten spritzte er seinen siedenden Harn, daß die nichtsahnenden Bewohner, von dem Dampfe verbrüht, umkamen. Er stampfte in der graugelben Sintflut herum, sein erregter Leib war von Rauchwolken eingehüllt. Aus meilenweiter Entfernung warf er Fäuste voll Menschen herüber, die als ein Leichenregen niedersausten. Jetzt kam in einen gewaltigen Gebirgszug, der sich von West nach Ost erstreckte, Bewegung. Ich sah, daß es der schlafende Amerikaner war. Patera warf sich der Länge nach auf diesen Feind während sie rangen, kochte das Meer in haushohen Wellen auf. Ich aber wußte mich in der Hand meines Schicksals und blieb ruhig.

Es war ein Blutozean, der sich, soweit meine Blicke schweiften, da unten dehnte. Die purpurnen heißen Fluten stiegen immer höher, meine Füße wurden von dem rosenfarbenen Schaum der Brandung bespült. Ein ekelhafter Dunst stieg mir in die Nase. — Das rote Meer trat zurück und verfaulte vor meinen Augen; immer dicker und dunkler und schwärzer wurde das Blut während es manchmal in allen Farben des Regenbogens schillerte. Oft teilte sich die zähe Flüssigkeit, es ward der Grund dieses Meeres sichtbar, der mit weichem Kot bedeckt war und entsetzliche Dämpfe verbreitete.

Patera und der Amerikaner verkrallten sich zu einer unförmigen Masse, der Amerikaner war gänzlich in Patera hineingewachsen. Ein ungeschlachter, nicht übersehbarer Körper wälzte sich nach allen Seiten. Dieses gestaltlose Wesen besaß eine Proteusnatur, Millionen kleiner, wechselnder Gesichter bildeten sich an seiner Oberfläche, schwatzten, sangen und schrien durcheinander und zogen sich wieder zurück. Aber auf einmal kam Ruhe in das Ungeheuer, das sich zu einer gigantischen Kugel drehte, dem Schädel Pateras. Die Augen, groß wie Weltteile, hatten den Blick eines hellsehend gewordenen Adlers. Jetzt bekam er ein Parzengesicht und alterte vor mir um Millionen Jahre. Die Urwälder seiner Haare lösten sich von dem Haupte, die glatte Knochenschale trat zutage. Plötzlich zerstob das Haupt, ich starrte in ein unbestimmtes grelles Nichts...

Jetzt sah ich weit draußen den Amerikaner, welcher nun selber die furchtbare Größe Pateras hatte. Die Augen in seinem Cäsarenkopfe schossen diamantene Blitze, er kämpfte mit sich selbst in einem dämonischen Paroxismus, die enormen Wölbungen seiner strotzenden Adern schlängelten sich in einem bläulichen Netz an seinem Halse, er versuchte, sich zu erdrosseln — vergebens! Mit aller Kraft schlug er sich auf die Brust, es klang wie ein stählernes Schallbecken, das Gedröhne betäubte mich fast. Dann schmolz dieses Ungeheuer schnell zusammen, nur sein Geschlecht wollte nicht kleiner werden, und schließlich klebte er wie ein unscheinbarer Parasit an einem über alle Möglichkeit großen Phallus. — Dann fiel der Parasit wie eine vertrocknete Warze ab, gleich einer ungeheuerlichen Schlange kroch das fürchterliche Glied über die Erde, wand sich wie ein Wurm und verschwand, kleiner werdend, in einem der unterirdischen Gänge des Traumstaates.

Meine Blicke durchdrangen die Erde, in all diesen Gängen wohnte ein tausendarmiger Polyp, elastisch wie Kautschuk streckten sich seine Glieder unter alle Häuser, schlüpften in alle Wohnungen, saugten sich unter jedes Bett, beunruhigten mit ihren feinen Härchen und Warzen alle Schläfer, dehnten sich endlos auf viele Meilen hinaus, ringelten sich zu Klumpen zusammen, die bald schwarz, bald oliv, bald bleich fleischfarben irisierten.

Wieder blendete mich die Helligkeit. Zwei violette, leuchtende Meteore stiegen von entgegengesetzten Richtungen auf, näherten sich einander und stießen zusammen. Die Luft stand in Weißglut. Bunte Blitze zuckten und kreuzten sich vielfach. Da war es, als entständen auf Sekunden prachtvoll gefärbte sonnige Welten mit Blumen und Geschöpfen, wie ich sie nie auf Erden gesehen habe. Ein sprühendes, ungebärdiges Leben sauste durcheinander an meiner Seele vorbei. Deun nicht mehr mit dem Auge sah ich das — nein, nein! ich hatte mich vergessen, ich selbst ging auf in diesen Welten, nahm teil am Schmerz und an der Freude zahlloser Wesen. Rätsel entschleierten sich mir, fremdartig und unschilderbar.

Irgendwo splitterte etwas — ich hörte Klumpen fallen. — Weiche knochenlose Massen entstanden, weiblich im Ausdruck. Es durchpeitschte sie ein intensiver Formungsdrang; prickelnd glühten Lichtpunkte auf, tausend Harmonien durchfuhren die Räume. Diese wieder flossen ineinander zu einem unteilbaren, wässerigen, leuchtenden Schleim. — Wo eben noch ein Meer gerauscht hatte, gefror eine Eiskruste, die, zerplatzt, geometrische Figuren nach allen Seiten warf.

Ich gehörte dazu und erfaßte alles mit namenlosen Kräften. Nach Ereignissen, die zeitlos, ewig waren, nach Spannungen eines immer eruptiver werdenden Wandels, schlug alles ins Gegenteil um. Auf das Gebären folgte ein Drang nach einem Mittelpunkt — und im Nu war er erreicht. Eine sanfte, selige Schwäche durchstrahlte die Welt. Aus einem matten Verstehen wurde eine Kraft, eine Sehnsucht. — Es war eine ungeheure, selbstverständliche Gewalt — es wurde dunkel. — In klaren, regelmäßigen Schwingungen versank das All in einen Punkt. - Alfred Kubin, Die Andere Seite. München 1975 (zuerst 1909)

Weltuntergang (2) Es lebten zwei Brüder. Sie spielten viel mit Tieren und ließen diese nicht in Ruhe. So taten sie es auch mit dem Faultier, das sich nicht wehren konnte. Eine alte Frau beobachtete die Brüder und sagte: »Laßt das Faultier, es wird sich sonst erzürnen und die Erde zerbrechen.« Damals wohnten sehr viele Menschen auf der Erde. Die Menschen hatten kein Feuer und lebten vom Wind.

Die Brüder spielten weiter mit dem Faultier. Eines Tages wurde dieses böse und sagte: »Laßt mich in Ruhe.« Die Brüder lachten. Da sprach das Faultier: »Ich werde euch töten. Viele Menschen werden sterben, weil ihr böse seid.« Lachend sagten die Brüder: »Bevor wir sterben, werden wir dich töten.« Das Faultier erwiderte: »Ich werde euch und alle Menschen, die auf der Erde leben, verbrennen.« »Ha, —wie willst du dieses machen?« fragten die Brüder und lachten. »Ihr werdet es sehen«, sprach das Faultier. Die Brüder nahmen einen Strick, banden ihn dem Faultier um den Hals und schwenkten es hin und her. Da weinte das Faultier. Überall, wo die Brüder das Faultier hin und her schwenkten, begann die Erde zu rauchen und zu brennen. Zuerst freuten sich diese darüber und schwenkten das Faultier weiter hin und her und schauten dem Rauch und den Flammen zu. Als das Feuer größer und es heißer und heißer wurde, bekamen sie Angst, warfen das Faultier auf die Erde und liefen davon. Die Flammen und der Rauch folgten ihren Spuren. Sie liefen zu der alten Frau und fragten: » Was sollen wir tun?« Diese sagte: »Ich habe euch gewarnt. Ihr könnt nichts gegen das Feuer ausrichten und müßt verbrennen. Durch euch werden alle anderen Menschen sterben.« Da wurden die Brüder traurig. Sie schauten, wo sie sich vor den Flammen und der Hitze bergen konnten, und liefen zu dem Ufer eines großen Sees. Aber auch dorthin folgte ihnen das Feuer. Es kam zu dem See, an dem sich die beiden Brüder verborgen hatten, und verbrannte sie. Das Feuer setzte die ganze Erde in Flammen, und alle Menschen, die auf ihr lebten, starben.

Als das Feuer erloschen war, kamen andere Menschen durch eine große lange Höhle aus der Welt unter dieser Erde. Sie befestigten Steigbalken aneinander und kletterten an ihnen aus der unteren Welt auf die Erde empor. Die Menschen waren kleiner als die heutigen. Von ihnen stammen alle Menschen ab, die heute leben. Von dem Feuer bekam das Faultier seinen gelben Flecken auf dem Rücken (nur das männliche), Hätte es nicht die Erde verbrannt, müßten die Menschen heute noch vom Wind leben. - Nach (str)

Weltuntergang (3)

- Charles M. Schulz, You're not for real, Snoopy! Greenwich Conn. 1971 (Fawcett Crest, zuerst ca. 1964)

Weltuntergang (4)

 

"Are ye thinkin' on the end o' the World?"

- Patricia Highsmith

Weltuntergang (5) Wir, meine Brüder und ich, foppten gerne einen unserer Nachbarn, einen grotesken Zwerg mit weißem Spitzbart und einer Kapuze, einen Stadtrat namens Maréchaud. Obgleich wir Tür an Tür wohnten, vermieden wir es geflissentlich, ihn zu grüßen; was ihn so sehr erboste, daß er es eines Tages nicht länger aushielt und uns auf der Straße anredete: »Ihr habt es wohl nicht nötig, einen Stadtrat zu grüßen?« Wir machten uns aus dem Staub. Seit dieser Unverschämtheit lebten wir in offener Feindschaft. Aber was vermochte ein Stadtrat schon gegen uns? Auf dem Hinweg zur Schule, wie auch auf dem Heimweg, zogen meine Brüder seine Glocke mit um so größerer Verwegenheit, als der Hund, der etwa mein Alter hatte, völlig ungefährlich war.

Wie groß aber war meine Überraschung, als ich am Vorabend des 14. Juli 1914, während ich meinen heimkehrenden Brüdern entgegenging, einen Menschenauflauf vor dem Gitter der Maréchauds erblickte. Einige gestutzte Linden verbargen nur wenig die Villa in der Tiefe des Gartens. Seit zwei Uhr nachmittags hatte ihr junges Dienstmädchen, das verrückt geworden war, sich auf das Dach geflüchtet und weigerte sich, wieder herabzusteigen. Aus Furcht vor dem Skandal hatten die Maréchauds ihre Läden geschlossen, so daß der tragische Anblick dieser Verrückten auf dem Dach noch dadurch erhöht wurde, daß das Haus wie ausgestorben dalag. Die Leute draußen schrien und empörten sich, daß die Dienstherrschaft nichts unternahm, um die Unglückliche zu retten. Sie schwankte auf den Ziegeln herum, ohne übrigens den Eindruck einer Betrunkenen zu machen. Ich wäre für mein Leben gern dageblieben, aber unser Mädchen, das meine Mutter mir nachgeschickt hatte, kam, um uns an die Arbeit zu holen. Sonst müsse ich heute abend zu Hause bleiben. Zu Tode bekümmert ließ ich mich fortführen und bat zu Gott, das Dienstmädchen möchte noch auf dem Dach sein, wenn ich meinen Vater vom Bahnhof abholen ginge.

Sie war immer noch auf ihrem Posten, aber die wenigen Passanten, die aus Paris heimkehrten, hatten es eilig, nach Hause und zu ihrem Abendessen zu kommen, um nachher den Bürgerball nicht zu versäumen. So gönnten sie ihr nur einen zerstreuten Aufblick.

Für das Dienstmädchen handelte es sich übrigens bis dahin nur um eine mehr oder weniger öffentliche Probe. Ihr eigentliches Debut sollte wie üblich erst abends stattfinden, als die leuchtenden Ketten der Lampions eine echte Rampe bildeten. Straße und Garten waren beide festlich erhellt, denn trotz ihrer vorgetäuschten Abwesenheit hatten die Maréchauds als Honoratioren es doch nicht gewagt, sich der Illumination zu entziehen. Der phantastische Eindruck dieses Verbrecherhauses, auf dessen Dach, wie auf dem Deck eines beflaggten Schiffes, eine Frau mit aufgelösten Haaren umherwanderte, wurde noch gesteigert durch die Stimme dieser Frau: eine unmenschliche, kehlige Stimme von einer solchen Sanftheit, daß einem eine Gänsehaut über den Rücken lief.

Da die Feuerwehr der kleinen Gemeinde aus lauter »Freiwilligen« besteht, so sind ihre Mitglieder tagsüber anderweitig beschäftigt. Der Milchmann, der Konditor, der Schlosser kommen erst nach Feierabend das Feuer löschen, wenn es bis dahin nicht schon von selbst erloschen ist. Seit der Mobilmachung bildete unsere Feuerwehr außerdem eine Art heimlicher Bürgerwehr, die mit Patrouillengängen, Manövern und nächtlichem Streifendienst beschäftigt war. Diese Wackeren trafen endlich ein und drängten sich durch die Menge.

Eine Frau trat vor. Sie war die Gattin eines anderen Stadtrats, der zu Maréchauds Gegnern gehörte, und seit geraumer Zeit schon bekundete sie in lauten Tönen ihr Mitleid mit der armen Irren. Sie richtete einige Ermahnungen an den Kapitän: »Versuchen Sie doch, ihrer mit Güte Herr zu werden: Die hat sie so sehr entbehren müssen, die arme Kleine, in diesem Hause, wo man sie mit Schlägen traktiert. Vor allem, wenn ihr seltsames Betragen etwa der Furcht entspringt, man könnte sie fortjagen, und sie wäre dann stellungslos, so sagen Sie ihr nur, ich würde sie zu mir nehmen. Ich will ihr auch gerne den doppelten Lohn zahlen.«

Diese geräuschvolle Gutherzigkeit machte nur einen geringen Eindruck auf die Menge. Die Dame wurde als lästig empfunden. Man dachte nur an das Einfangen. Die Feuerwehrmänner kletterten über das Gartentor, umstellten das Haus und begannen von allen Seiten hochzusteigen. Kaum aber erschien einer oben auf dem Dach, da begann die Menge, wie die Kinder im Kasperitheater, zu toben und das Opfer zu warnen.

»So schweigen Sie doch!« schrie die Dame; was die Zuschauer nur noch mehr zu ihrem »Da kommt einer! Da kommt einer!« aufreizte, Als sie diese Rufe hörte, raffte die Verrückte einige Dachziegel auf, deren ersten sie dem Feuerwehrmann, der eben den First erreicht hatte, auf den Helm warf. Alsbald stiegen die fünf anderen rasch wieder herunter.

Während die Schießstände, die Schaubuden, das Karussell auf dem Rathausplatz das Ausbleiben der Besucher beklagten, an einem solchen Abend, wo man auf reiche Einnahmen rechnen durfte, stiegen die kühnsten Gassenjungen über die Mauer und drängten sich auf dem Rasen, um die Jagd aus der Nähe zu verfolgen. Die Irre sagte einiges, das ich vergessen habe, mit jener tiefen Bekümmernis, wie sie aus der Stimme dessen klingt, der überzeugt ist, daß er selber recht hat und alle anderen sich im Irrtum befinden. Die Gassenjungen, die dieses Schauspiel dem Jahrmarkt vorzogen, wollten jedoch beide Vergnügungen vereinigen. Voller Besorgnis, die Irre könnte in ihrer Abwesenheit eingefangen werden, liefen sie dennoch hinüber, um rasch eine Runde auf dem Karussell zu fahren. Andere, Klügere, die es sich wie bei der Truppenparade von Vincennes, in dem Astwerk der Linden bequem gemacht hatten, begnügten sich damit, bengalische Lichter und Knallfrösche anzuzünden.

Man kann sich leicht vorstellen, was die beiden emgesperrten Alten bei all diesem Spektakel und der jähen Helligkeit vor ihrem Hause ausstehen mochten.

Der Stadtrat, der Gemahl jener menschenfreundlichen Dame, hatte das kleine Mäuerchen des Gatters erklommen und ließ dort aus dem Stegreif eine Ansprache über die Feigheit der Hausbesitzer vom Stapel. Man klatschte Beifall.

Da die Irre glaubte, der Beifall gelte ihr, verneigte sie sich. Sie hielt immer noch einen Stoß Ziegel unter dem Arm, deren sie sich jedesmal als Wurfgeschoß bediente, sobald sie einen Helm aufblitzen sah. Mit ihrer unmenschlichen Stimme dankte sie, daß man sie endlich verstanden habe. Mir erschien sie wie eine Tochter des Meeres, die als Korsarenkapitän allein auf ihrem sinkenden Schiff stand.

Die Menge zerstreute sich, ihre Neugier hatte nachgelassen. Ich hatte mit meinem Vater dortblei-ben wollen, während meine Mutter, um das Verlangen nach Übelkeit, das alle Kinder haben, zu befriedigen, die ihren vom Karussell zur Achterbahn schleifte. Gewiß, ich empfand dieses seltsame Verlangen noch stärker als meine Brüder. Ich liebte es, mein Herz rasch und unregelmäßig pochen zu fühlen. Aber dieses Schauspiel, voll einer gewaltigen poetischen Kraft, befriedigte mich noch mehr. »Wie bleich du bist«, sagte meine Mutter. Ich schob dies auf die bengalischen Lichter. Sie verliehen mir, sagte ich, eine grüne Gesichtsfarbe.

»Ich fürchte trotzdem, das ist zuviel für sein empfindliches Gemüt«, sagte sie zu meinem Vater.

»Oh«, entgegnete er, »niemand ist weniger empfindlich. Er kann alles mit ansehen, außer, wenn man ein Kaninchen abzieht.«

Mein Vater sagte dies, damit ich bleiben konnte. Aber er wußte, wie sehr dieses Schauspiel mich aufwühlte. Ich fühlte, daß es ihn gleichfalls erregte. Ich bat ihn, mich auf die Schultern zu nehmen, damit ich besser sehen könnte. In Wahrheit war ich einer Ohnmacht nahe, meine Beine wollten mich nicht mehr tragen.

Es waren nun kaum mehr als zwanzig Personen zurückgeblieben. Wir hörten die Fanfaren. Jetzt kam der Fackelzug.

Hundert Fackeln erhellten mit einem Male die Irre, wie nach dem sanften Rampenlicht plötzlich das Magnesium aufblitzt, wenn der neue Star photographiert werden soll. Mit winkenden Händen, als wolle sie von uns Abschied nehmen, warf die Ärmste, die wohl an einen allgemeinen Weltuntergang glauben mochte oder einfach fürchtete, daß man sie nun einfangen werde, sich von dem Dach herab, zertrümmerte in ihrem Sturz mit gräßlichem Krachen die Markise und schlug schmetternd auf die Steinstufen auf. - Raymond Radiguet, Den Teufel im Leib. Frankfurt am Main 1959 (Fischer-Tb. 251, zuerst 1923)

Weltuntergang (6)          

Sie sah im starrenden    Strome waten
Meuchelmörder     und Meineidige,
Und die andrer Liebsten    ins Ohr geraunt.
Da sog Nidhögg    entseelte Leiber,
Der Menschenwürger:    was wißt ihr noch mehr?

Gräßlich heult Garm    vor der Gnipahöhle,
Die Fessel bricht    und Freki rennt.
Viel weiß die Weise,    sieht weit voraus,
Der Welt Untergang,    der Asen Fall.

Brüder befehden sich    und fällen einander,
Geschwisterte sieht man    die Sippe brechen,
Der eine schont    des andern nicht mehr.

Unerhörtes eräugnet sich,    großer Ehbruch.
Beilalter, Schwertalter,    Schilde krachen,
Windzeit, Wolfszeit,    eh die Welt zerstürzt.

- Edda (Völuspa)

Weltuntergang (7) »Wer ist Bruder Emman?« fragte ich.

»Bruder Emman? Sie kennen die Geschichte vom Bruder Emman nicht? Es war im ersten Jahr des Pontifikates Johannes XXIII., und eigentlich war Bruder Emman Kinderarzt in Mailand und hieß Bianca. 1945 erhielt er auf mystischem Wege von seiner verstorbenen Schwester die Botschaft, daß infolge einer irrtümlichen Atombombenexplosion der größte Teil der Menschheit noch vor den Olympischen Spielen 1960 vernichtet werde.

Dr. Bianca nannte sich fortan Bruder Emman, gründete eine Sekte, der er sogar eine eigene Sprache entwarf, und errechnete mit Hilfe eines ›Buches Isaias‹ die Katastrophe bis auf die Minute genau: der französische Nationalfeiertag 1960, 13 Uhr 45.

Im Laufe der Jahre trat er mit der Creme der verstorbenen Weltliteratur in spiritistische Verbindung: mit Demosthenes, Lao-Tse, Dante und Petrarca, endlich aber mit dem Erzengel Gabriel, der ihm wiederum den Verkehr mit einem nicht näher bezeichneten Himmelswesen namens ›Logos‹ vermittelte. Die Erdachse werde, so fuhr Dr. Bianca im Verlauf dieses Verkehrs, durch die besagte irrtümliche Atombombenexplosion um fünfundvierzig Grad gedreht, so daß das Meer alles Land überschwemmen werde. Nur die Tibetaner würden - wie auch anders! - weniger durch den schützenden Himalaja als durch ihre notorische mystische Protektion überleben. Vielleicht war es kein Gedanke der Unvernunft, der Dr. Bianca kam, als er konstatierte, daß mit dem alleinigen Überleben der Tibetaner einer künftigen Welt nicht viel gedient sein könne. Er kaufte deshalb - Mittel flössen ihm aus den Mitgliedsbeiträgen seiner Sekte genügend zu - ein Berghaus auf dem Mont Blanc, oberhalb Courmayeur, und nannte es ›Pavillon Gehavonise‹, was in seinem Sektenesperanto ›Zur Ehre Gottes‹ hieß.

Im Frühjahr 1960 begannen die letzten Vorbereitungen des Bruders Emman. Er transportierte - wo es ging, auf Kredit, da er ja zu erwarten glaubte, mit der Welt gingen auch seine Schulden unter - Lebensmittel, Decken, Medikamente und Kohlen auf den Mont Blanc. Autos wurden hinaufgeschleppt und Fässer um Fässer voll Benzin. Die Schulden gingen in die Hunderttausende, als Dr. Bianca Anfang Juli erkannte, daß die Automobile bei einem neuen Universal-Diluvium von zweifelhaftem Wert sein würden, mitsamt dem Benzin. Da es ihm auf einige Tausend Schulden mehr nicht ankam, ließ er in fliegender Hast drei Motor-, ein Segel- und unzählige Schlauchboote auf den Mont Blanc schaffen. - Vielleicht hat nicht zuletzt das in allen Zeitungen verbreitete Bild des aufgetakelten Segelbootes auf dem Gletscher vor der Kette der Aiguilles bewirkt, daß bereits damals eine weltweite Erregung über den kleinen Kreis der Erleuchteten um Emman hinaus um sich griff. Die natürlichste, wenn auch nachhaltigste Erregung befiel den Schaffner der Drahtseilbahn nach Courmayeur. Er war dem Ansturm der - es sind uns genaue Zahlen überliefert - 550 Italiener, 151 Franzosen, 108 Engländer und so weiter, 99 Chinesen und des einen Liechtensteiners nicht gewachsen und erlitt einen Nervenzusammenbruch.

In Bologna mußte die St. Antonius-Kirche am Vormittag des 14. Juli wegen übermäßigen Beicht-Zudrangs geschlossen werden. In London sah sich die sonst ruhige Schenke ›Zum Weltuntergang‹ in Chelsea einem ebenso heftigen und magischen Andrang gegenüber. Der Mufti von Syrien erließ einen öffentlichen Aufruf, in dem er die Prophezeiungen des Bruders Emman vom islamitischen Standpunkt aus verdammte. Eine Frau aus Athen rief am Morgen des 14. Juli im Vatikan an und wünschte den Papst in Sachen Weltuntergang zu sprechen.

Einen gespenstischen Anstrich erhielt die Geschichte dadurch, daß tatsächlich in der Nacht vom 14. zum 15. Juli im Gebiet des Mont Blanc ein leichter Erdstoß verzeichnet wurde.

- Das war aber auch alles! - Am 15. Juli kam Dr. Bianca aus seinem versiegelten Pavillon ›Gehavonise‹ hervor und sah sich zunächst den höhnischen Gesichtern einer Menge von Reportern gegenüber - die, im Fall er hätte recht gehabt, unverdient in den Genuß der Rettung gekommen wären - und dann einer noch größeren Menge von Gläubigern. Zu seinem Glück wurde er sofort nach Übertreten der italienischen Landesgrenze in Untersuchungshaft genommen und so dem Zugriff seiner Anhänger entzogen, die von ihm das Geld forderten, um die Motorboote wieder vom Mont Blanc herunterbringen zu lassen.

Drei Jahre hat er bekommen, wegen Betruges. Dann wanderte er aus - wohin? Natürlich nach Indien- (ruin)

Weltuntergang (8)

Durch einen schwarzen, schwehlenden Schneckengang
stinken Pechfackeln.

Grüne, johlende Meerkater
mit Eisenklauen und geringelten Schwänzen
schieben, schleppen, zerren, beissen mich
vor die boshaften Greise.

Sie hocken, Strohkronen auf ihren Schädeln, und blinzeln.

Ihre langen Geierhälse recken sich,
aus ihren Froschmäulern quillt Geifer.

Du hast Unsre Tropfsteinstühle bespien! Du hast über Unsre Gesässschwielen gelacht!
Du hast Unsre Excremente nicht verehrt!

Schon hebt der Henker, eine Mandril, seinen riesigen Plättbolzen.

Der glüht!

Die ßestien brüllen, das Eisen zischt,
rotes, berstendes Blutlicht zersprengt die Höhle.

Pestkanaillen!!

Jch strample, stosse, schäume, schreie, schlage wütend um mich.

Stürzen die Sterne zusammen,
bricht die Welt ein?

Auf meinem Bettvorleger,
in kleinen Tümpeln,
zwischen den blauen, blitzenden Scherben meiner Karaffe,
glitzert die Morgensonne.

- Arno Holz, Phantasus (1898)

Weltuntergang (9)  Ich kann dieses Gefühl gräßlicher Trostlosigkeit, das über der Welt hing, nicht beschreiben. Der rote Himmel im Osten, die Schwärze nach Norden zu, das tote Salzmeer, der steinige Strand, auf dem diese ekelhaften Ungeheuer langsam umherkrochen, das einförmige Giftgrün der flechtenartigen Vegetation, die dünne Luft, die die Lungen quälte: all das rief eine entsetzliche Wirkung hervor. Ich fuhr rund hundert Jahre weiter und sah dieselbe rote Sonne - ein wenig größer, ein wenig trüber -, dasselbe sterbende Meer, dieselbe kalte Luft und dieselbe Menge irdischer Krustazeen, die zwischen dem grünen Kraut und den roten Felsbrocken hin und her krochen. Und am westlichen Himmel sah ich eine gekrümmte blasse Linie wie von einem gewaltigen neuen Mond.

So reiste ich mit gelegentlichen Haltepausen in großen Schritten von tausend oder mehr Jahren weiter, angezogen von dem Geheimnis des Schicksals der Erde, und ich beobachtete mit eigenartiger Faszination, wie die Sonne am westlichen Himmel immer größer und trüber wurde und das Leben der alten Erde verebbte. Schließlich - mehr als dreißig Millionen Jahre von heute gerechnet - war es soweit, daß die ungeheure rotglühende Scheibe der Sonne fast den zehnten Teil des dunkelnden Himmels verdeckte. Da machte ich noch einmal halt, denn die kriechende Krebsschar war verschwunden, und der rötliche Strand schien, abgesehen von seinem fahlgrünen Lebermoos und den Flechten, leblos zu sein. Doch jetzt war er weiß gefleckt. Eine bittere Kälte fiel mich an. Hin und wieder segelten weiße Flocken herab. Im Nordosten glänzte Schnee unter dem Stemenlicht des düsteren Himmels, und ich sah einen wellenartigen Hügelkamm in rosigem Weiß. Am Meeresrand lag ein Eissaum, und weiter draußen gewahrte ich treibende Eismassen; doch zum größten Teil war der salzige Ozean, blutrot unter dem ewigen Sonnenuntergang leuchtend, noch ungefroren.

Ich sah mich um, ob noch Spuren von tierischem Leben verblieben waren. Eine gewisse undefinierbare Befürchtung hielt mich noch im Sattel der Maschine fest. Doch ich sah keine Bewegung auf der Erde, am Himmel oder im Meer. Nur der grüne Schleim auf den Felsen bezeugte, daß das Leben noch nicht erloschen war. Eine flache Sandbank war aus dem Meer getaucht, und das Wasser war vom Strand zurückgewichen. Ich bildete mir ein, auf dieser Sandbank irgend etwas Schwarzes im seichten Wasser hin und her schwabbeln zu sehen, doch es wurde bewegungslos, als ich es ansah, und daraus schloß ich, daß meine Augen mich getäuscht hätten und daß der schwarze Gegenstand lediglich ein Fels sei. Die Sterne am Himmel strahlten sehr hell und schienen mir kaum zu funkeln.

Plötzlich bemerkte ich, daß sich der westliche Kreissektor der Sonne verändert hatte: im Rand war eine Einbuchtung erschienen. Ich sah, wie diese Höhlung größer - wurde. Vielleicht eine Minute lang starrte ich entsetzt auf diese Schwärze, die sich über das Licht breitete, und dann wurde mir klar, daß eine Sonnenfinsternis begann. Entweder der Mond oder der Planet Merkur zog an der Sonnenscheibe vorüber. Natürlich dachte ich zuerst an den Mond, aber dann ließ mich doch vieles daran glauben, daß ich tatsächlich den Durchgang eines inneren Planeten sah, der sehr dicht an der Erde vorüberzog.

Die Dunkelheit nahm rasch zu; ein kalter Wind begann in auffrischenden Stößen aus dem Osten zu blasen, und die vereinzelten weißen Flocken in der Luft nahmen an Zahl zu. Vom Meeresufer her kam ein Plätschern und Murmeln. Abgesehen von diesen leblosen Lauten war die Welt stumm. Stumm ? Es ist nicht leicht, diese Stille zu beschreiben. Alle Laute des Menschen, das Blöken von Schafen, die Schreie der Vögel, das Summen der Insekten, die ganze Betriebsamkeit, die den Hintergrund unseres Lebens ausmacht - all das war vergangen. Während die Dunkelheit sich vertiefte, fielen die wirbelnden Flocken dichter und tanzten vor meinen Augen; die Kälte der Luft wurde schneidender. Schließlich tauchten die weißen Spitzen der fernen Hügel eine nach der anderen im Schwarz unter. Die Brise verstärkte sich zu einem klagenden Wind. Ich sah den schwarzen Zentralschatten der Verfinsterung auf mich zufegen. Im nächsten Augenblick waren nur noch die fahlen Sterne zu sehen. Alles andere war strahlenlose Finsternis. Vollkommenes Schwarz überzog den Himmel. - Herbert George Wells, Die Zeitmaschine. In: Weltuntergangsgeschichten. Von Poe bis Dürrenmatt. Zürich 1981 (zuerst 1895)

Weltuntergang (10) Als der alte Herr Zerrleder abends etwas zu spät nach Hause kam, nahm ihn gleich sein Herr Schlingel Sohn über das Knie und walkte ihn tüchtig durch. »In Zukunft«, sprach der Sohn zum Vater, »gebe ich dir überhaupt keinen Hausschlüssel mehr, verstanden!« - Wir wissen nicht, ob es so ohne weiteres begriffen wurde. Am andern Morgen bekam die Mutter von der Tochter eine schallende Ohrfeige (weithinschallend ist das rechte Wort), weil sie zu lange vor dem Spiegel gestanden. »Eitelkeit«, sprach die entrüstete Tochter, »ist eine Schande an so alten Leuten, wie du bist«, und jagte die Arme in die Küche. Auf der Straße und in der Welt trugen sich folgende beispiellose Dinge zu: Die Mädchen gingen den jungen Herren um die Ecken nach und belästigten sie mit ihren Anträgen. Einzelne dieser also verfolgten Jünglinge wurden rot über die frechen Anreden von heranstreichenden Damen. Eine solche Dame machte am hellen Tageslicht einen offenbaren Angriff auf einen ganz unbescholtenen, gut beleumundeten Bürgerssohn, welcher schreiend die Flucht ergriff. Ich selber, zügelloser und weniger tugendhaft, ließ mich von einem jungen Mädchen abfangen. Ich sträubte mich eine Weile, jedoch nur aus vorher studierter Ziererei, womit ich das feurige Mädchen nur noch mehr reizte. Ich hatte das Glück, von ihm im Stich gelassen zu werden, was mir recht war, da ich nur auf bessere Damen erpicht bin. In der Schulstube konnten die Schullehrer ihre Lektion zum siebenten oder achten Mal wieder einmal nicht und wurden deshalb in Arrest gesetzt. Sie weinten, denn sie hätten so gern den Nachmittag mit Biertrinken, Kegeln und anderen Flegeleien verbracht. Auf den Gassen schlugen die Passanten ungeniert an den Wänden ihr Wasser ab. Hunde, die zufällig vorüberspazierten, entsetzten sich billigerweise darüber. Eine adlige Dame trug einen gestiefelten und bespornten Lakaien auf ihrer zarten Schulter; eine rothäutige Magd wurde in offener Kalesche vom Herzog des Landes spazieren geführt. Sie lächelte mit drei Wackelzähnen gar manierlich. Die Kalesche wurde von Studenten gezogen. Jeden Augenblick rührte man sie mit der flinken Peitsche. Einige Straßenräuber liefen hinter einigen verhafteten Gerichtsdienern her, welche sie unterwegs in Schenken oder Bordellen aufgegriffen. Der Spektakel lockte eine Menge Hunde herbei, die die Gefangenen lustig in die Waden bissen. So geht es eben, wenn Gerichtsdiener saumselig sind. Über dieser Welt voll Possen und Sünden stürzte der Himmel heute nachmittag herein, zwar ohne Krachen, nein, vielmehr als ein weiches feuchtes Tuch, und verschleierte alles. Weißgekleidete Engel liefen barfüßig in der Stadt umher, über die Brücken, und spiegelten sich eitel, aber anmutig im blinkenden Wasser. Einige der schwarzborstigen Teufel jagten mit wildem Geschrei, ihre Gabeln in der Luft schwenkend, zum Entsetzen aller Menschen daher. Sie benahmen sich im ganzen sehr ungeniert. Was soll ich noch sagen? Himmel und Hölle spazieren auf den Boulevards, in den Kaufläden handeln die Seligen und die Verdammten untereinander. Alles ist Chaos, Geschrei, Gejodel, Laufen, Rennen und Stinken. Endlich erbarmte sich Gott dieser schnöden Welt. Er ließ sich herbei, die Erde, die er einst in einem Vormittag verfertigt hatte, ohne weiteres in seinen Sack zu stecken. Der Augenblick (gottlob, daß es nur ein Augenblick war!) war freilich entsetzlich. Die Luft wurde mit einem Mal so fest oder noch fester wie Stein. Sie zerschlug die Häuser in der Stadt, die gegeneinanderprallten wie Trunkenbolde. Die Berge hoben und senkten ihre breiten Rücken, Bäume flogen wie ungeheure Vögel durch den Raum, und der Raum selber zerfloß schließlich in eine gelbliche, kalte, unbestimmbare Masse, die weder Anfang noch Ende hatte, weder Maß noch Etwas, sondern Nichtsmehr war. Von Nichts sind wir auch nicht mehr imstande, etwas zu schreiben. Selbst der liebe Gott löste sich aus Gram über seine eigene Zerstörungswut endlich auf, so daß dem Nichts nicht einmal mehr der es bestimmende, färbende Charakter blieb.  - Robert Walser, Die Welt. In: Weltuntergangsgeschichten. Von Poe bis Dürrenmatt. Zürich 1981 (zuerst 1902)

Weltuntergang (11)  Es war schon lange bekannt, daß die Luft, welche uns umhüllte, in einem Gemisch aus Sauerstoff- und Stickstoffgas bestand, und zwar im Verhältnis von einundzwanzig Teilen Sauerstoff zu neunundsiebzig Teilen Stickstoff bei jedem Hundert Atmosphäre. Sauerstoff, Grundelement der Verbrennung und Mittler der Wärme, war absolut notwendig zur Erhaltung des animalischen Lebens und war das machtvollste und tatkräftigste Agens in der Natur. Stickstoff dagegen war außerstande, animalisches Leben oder Flamme zu unterhalten. Ein unnatürliches Überhandnehmen von Sauerstoff würde, das hatte man ermittelt, in just einer solchen Erhöhung des animalischen Lebensgefühls resultieren, wie wir sie jüngst an uns erfahren hatten. Und was aus dieser Idee folgte, das war's, was solch heilige Scheu hervorgerufen hatte. Was würde das Ergebnis einer totalen Extraktion des Stickstoffs sein? Ein gigantischer Brand würde sich entzünden, unwiderstehlich, alles verschlingend, allverbreitet, unmittelbar; - in allen ihren kleinsten und schrecklichen Einzelheiten die genaue Erfüllung der feuerlichen und Grauen einflößenden Drohung, welche die Prophezeiungen des Heiligen Buches enthalten.

Was soll ich dir, Charmion, noch das nun entfesselte Rasen der Menschheit malen ? Jene Dünnigkeit der Kometenmaterie, welche uns vormals mit Hoffnung erfüllt hatte, ward nun zur Quelle bitterer Verzweiflung. In ihrem unfaßbar feinen Gascharakter erkannten wir nun klar Besiegelung und Ende unsres Schicksals. Derweil verging erneut ein Tag, und mit ihm schwand uns der letzte Hoffnungsschimmer. Wir rangen keuchend nach Atem, während die Luft sich mit reißender Schnelle zersetzte. Ungestüm brauste das rote Blut durch seine engen Kanäle. Ein wildes Fieberrasen ergriff von allen Menschen Besitz; und starr die Arme gegen den drohenden Himmel ausgestreckt, erzitterten sie und schrien laut. Doch nun hatte der Kern des Vernichters uns erreicht: noch hier in Eden schaudere ich, derweil ich davon spreche. Laß mich es kurz machen - kurz, wie der Untergang es war, der uns ereilte. Für einen Augenblick war alles ein einzig wildes Geisterlicht allein, das alle Dinge heimsuchte und durchdrang. Dann - laß die Knie uns beugen, Charmion, vor der unendlichen Majestät des großen Gottes! - dann kam ein dröhnender, allübertönender Laut, als wie aus SEINEM Munde selbst; derweil die ganze hangende Masse des Äthers, in welchem wir lebten, in einer riesigen Stichflamme auf barst, zu einem Feuergebild, für dessen unendlichen Glanz und allversengende Hitze die Engel selbst im hohen Himmel der reinen Erkenntnis nicht Wort noch Name mehr haben. So endete alles.  - Edgar Allan Poe, Die Unterredung zwischen Eiros und Charmion. In: Weltuntergangsgeschichten. Von Poe bis Dürrenmatt. Zürich 1981 (zuerst 1832)

Weltuntergang (12)  Ragnarök ist der Endkampf der Götter und Riesen, in dessen Folge die ganze Welt untergeht. In der Sage wird der Wolf Skalli, der die Sonne verfolgt, diese verschlingen, und der Wolf Hati, der den Mond verfolgt, diesen verschlingen. Daraufhin werden Sterne vom Himmel fallen.

Dies hat zur Folge, dass die Erde zu beben beginnt und alle Bäume entwurzelt und alle Berge einstürzen werden. Durch diese Beben kann sich der Fenriswolf von seiner Kette lösen und die Midgardschlange betritt das Land. Ebenso wird das Land überflutet.

Durch die Überschwemmung wird das Schiff Naglfar flott, welches aus den Finger- und Zehennägeln der Toten gemacht ist. Der Fenriswolf spuckt Feuer und die Midgardschlange versprüht ihr Gift, wodurch Luft und Meer entzündet werden. Muspels Söhne kommen durch diesen Tumult hervorgeritten - Surtr allen voran. Sie versuchen, über die Brücke Bifröst zu reiten, welche aber zusammenstürzt. Daraufhin ziehen sie zur Ebene Wigrid, wo sie sich mit dem Fenriswolf, der Midgardschlange, Loki, Hrym (dem Steuermann von Naglfar), allen Hrimthursen und Hels Gefolge treffen. Dort nehmen sie die Schlachtordnung ein.

Heimdall erhebt sich und stößt aus aller Kraft in sein Gjallarhorn, ein Rufhorn, und weckt damit alle Götter, die sich beraten. Odin reitet zu Mimirs Brunnen, um Rat zu holen. Die Asen und alle Einherjer, d. h. die in Schlachten gefallenen Toten aus Walhall, wappnen sich danach zum Kampf. An der Spitze reitet Odin mit seinem Speer Gungnir, seinem Goldhelm und seinem schönen Harnisch. In der folgenen Schlacht kämpft Freyr gegen Surtr, wobei Freyr erliegt, weil der sein Schwert Skirnir gab. Der Hund Garm, der Wächter der Unterwelt, greift Tyr an. Beide töten sich gegenseitig. Thor gelingt es, die Midgardschlange zu besiegen. Doch kaum ist er neun Schritte von der Schlange weggegangen, stirbt er an ihrem Gift. Odin, der gegen den Fenriswolf antritt, wird von diesem verschlungen. Deshalb steckt Vidar dem Wolf seinen Fuß ins Maul und reißt dessen Rachen entzwei. Loki kämpft gegen Heimdall, auch sie erschlagen sich gegenseitig. Schließlich schleudert Surtr Feuer über die ganze Welt, woraufhin alles zerstört wird. - Wikipedia

Weltuntergang (13)  «Treuffais hat die Muffen bekommen», meinte D'Arcy. «Der ist ein Intellektueller. Der wird sein ganzes Leben lang weiter Scheiße fressen und Danke sagen und bei den Wahlen einen ungültigen Stimmzettel abgeben. Die neuere Geschichte kann nur Scheißefresser produzieren.»

Der Alkoholiker goß sich ein Glas ein.

«Ich trink auf uns», fugte er mit schwerer Zunge hinzu. «Ich trink auf die Desperados. Und es ist mir scheißegal, ob ich politisch gesehen richtig oder daneben liege. Die neuere Geschichte hat uns geschaffen, und das beweist, daß die Zivilisation ihrem Untergang entgegeneilt, auf die eine oder andere Weise, und glaubt mir, ich will lieber im Blut als in der Kacke enden.»

Er leerte sein Glas.

«Ihr seid so beschissen langweilig wie der Tod», setzte er noch mal an. «Hört auf zu quatschen. Haltet den Mund. Ihr kotzt mich an.»

Cash stand auf.

«Ich geh ins Bett. Komm», sagte sie zu Épaulard.

Épaulard lachte kurz auf und erhob sich ebenfalls.

«Schönen Abend», wünschte er den anderen.

«Schönen Abend, Genosse», sagte Meyer.

«Schönes Bumsen, ihr Verliebten», schloß D'Arcy.

Épaulard stieg die Treppe hoch. Cash war vorgegangen, und als er das Zimmer betrat, erwartete sie ihn bereits fröstelnd unter der Decke des großen Bettes. Épaulard zog sich mit einer gewissen Nervosität aus, schlief mit Cash und zeigte sich dabei zunehmend nervöser, und dann war alles sehr rasch zu Ende. Épaulard kochte innerlich vor Scham und Enttäuschung. Nach einer Weile versuchte er es wieder von neuem. Er rackerte sich lange ab. Seine Anstrengungen blieben fruchtlos. Letzten Endes schob Cash ihn sanft weg. Den Kopf auf dem Kissen, schnaufte Épaulard wie ein Maulesel und knirschte mit den Zähnen. Cash küßte ihn auf die Schulter.

«Ich taug zu nichts mehr, auf keinem Gebiet», sagte Épaulard. «Alter Idiot», entgegnete Cash zärtlich. «Das ist die Anspannung. Das ist die Angst. Morgen wird's besser gehen.»

Sie streichelte ihm freundlich die Wange, Epaulard sah jedoch, daß sie enttäuscht war, und das war nicht wiedergutzumachen. Cash irrte sich, morgen wurde es nicht besser gehen. Morgen wurden sie tot sein.  - Jean-Patrick Manchette, Nada. München 2006 (zuerst 1972)

Weltuntergang (14)  Auf mannigfache Arten malte sich Schreber aus, wie es zum Untergang der Menschheit gekommen sei. Er dachte an eine Verminderung der Sonnenwärme durch größere Entfernung der Sonne und eine damit eingetretene allgemeine Vereisung. Er dachte an Erdbeben: Es wurde ihm die Mitteilung gemacht, das große Erdbeben von Lissabon habe mit dem Fall eines Geistersehers in Zusammenhang gestanden, der dem seinen ähnlich war. Die Nachricht vom Auftreten eines Zauberers, eben des Professors Flechsig, in der modernen Welt und das plötzliche Verschwinden Schrebers, einer immerhin in weiteren Kreisen bekannten Persönlichkeit, habe Furcht und Schrecken unter den Menschen verbreitet und die Grundlagen der Religion zerstört. Eine allgemeine Nervosität und Unsittlichkeit habe um sich gegriffen und verheerende Seuchen seien über die Menschheit hereingebrochen. Es war von der Lepra und der Pest die Rede, zwei Krankheiten, die man in Europa kaum mehr kannte. An seinem eigenen Körper bemerkte er Symptome der Pest. Sie trat in verschiedenen Formen auf. Es gab die blaue, die braune, die weiße und die schwarze Pest.  - (cane)

Weltuntergang (15)  An ihrem fünften Geburtstage war sie in Hampstead in der Nähe einer Kirche, deren Uhr die Stunden etwas laut schlug. Eines Morgens erzählte sie ihrem Vater folgenden Traum (ich gebrauche ihre eigene Sprache): die dicksten Glocken der Welt läuteten. Als dies vorüber war, fielen Erde und Häuser in Stücke; alle Seen, Flüsse und Teiche flossen zusammen und bedeckten das ganze Land mit schwarzem Wasser, so tief wie die See, auf der die Schiffe fahren. Die Menschen ertranken. Sie selbst flog über das Wasser, hoch und niedrig, in voller Angst, hineinzufallen. Dann sah sie, wie ihre Mama ertrank, und flog schließlich nach Hause, um es ihrem Papa zu erzählen. - (je)

Weltuntergang (16)   es ist hier angenehm, gar nicht kalt, viel wärmer als in Paris. Sie kämen nach ansicht hellis mit 100 kr (60 reichsmark, 360 fr) im monat aus. außerdem verschafft die Svendborger Bibliothek jedes buch. - wir haben radio, zeitungen, spielkarten, bald Ihre bücher, öfen, kleine kaffeehäuser, ungemein leichte sprache und die welt geht hier stiller unter. - Brecht an Benjamin, 22. 12. 1933, in: Zur Aktualität Walter Benjamins. Hg. Siegfried Unseld. Frankfurt am Main 1972

Weltuntergang (17)   Das Hohe Lied des Hasses braust durch die Welt. Ich hab ihn mit eigenen Augen gesehen, der auf dem fahlen Pferde sitzt, und hinter ihm das tausendgestaltige Heer der Maschinen — unsere Freunde und Bundesgenossen. Längst haben sie Selbstmacht gewonnen, aber immer noch bleiben die Menschen blind und dünken sich Herren über sie.

Führerlose schwere Lokomotiven, mit gewaltigen Felsblöcken beladen, rasen einher in wahnwitziger Wut. stürzen sich auf sie und begraben Hunderte und aber Hunderte unter der Last ihrer eisernen Leiber.

Der Stickstoff der Luft ballt sich zu neuen furchtbaren Sprengmitteln: Die Natur selbst drängt sich in atemloser Hast, freiwillig ihre besten Schätze zu geben, um das weiße Scheusal, das seit Jahrmilliarden Narben in ihr Gesicht gegraben, auszurotten mit Haut und Haar.

Metallene Ranken mit spitzigen, gräßlichen Dornen wachsen aus dem Boden, fangen die Beine und zerreißen die Leiber, und mit stummem Jubel zwinkern die Telegraphen einander zu: Wieder sind Hunderttausend der verhaßten Brut dahin. Hinter Bäumen und Hügeln verborgen lauern die Mörserriesen, die Hälse gen Himmel gereckt, Erzklumpen zwischen den Zähnen, bis ihnen verräterische Windmühlen mit den Armen tückische Zeichen winken. Tod und Vernichtung zu speien. Elektrische Vipern zucken unter dem Boden hin — da!: ein winziger grünlicher Funken und aufbrüllt ein Erdbeben und verwandelt die Landschaft in ein Massengrab!

Mit glühenden Raubtieraugen spähen die Scheinwerfer durch die Finsternis! Mehr! Mehr! Mehr! Wo sind noch mehr! Und schon kommt's wankend gezogen in grauen Sterbemänteln — unabsehbare Scharen — die Füße blutig, die Augen erloschen, taumelnd vor Müdigkeit, halb im Schlaf, mit keuchenden Lungen und brechenden Knien — doch schnell kläffen die Trommeln dazwischen mit rhythmisch-fanatischem Fakirgebell und peitschen die Furien der Berserkerwut hinein ins betäubte Gehirn, daß der Wahnwitz des Amoklaufs heulend losbricht, unaufhaltsam, bis der Schauer des Bleiregens nur mehr auf Leichen trifft.  - Gustav Meyrink, Die vier Mondbrüder. In: G. M., Der Kardinal Napellus. Stuttgart 1983. Die Bibliothek von Babel Bd. 19, Hg. Jorge Luis Borges

Weltuntergang (18)  »Dreizehn ahau« ist der Tag, da sich Sonne, Mond und Nacht vereinigen werden. Da bricht der Morgen an für die dreizehn Götter durch die neun Götter. Da hebt es an, daß man das »Krokodil vom Lande des Tropfens« ergreift, wodurch die Welt gerichtet wird. Unser Vater, der Himmel, stürzt über der Erde zusammen, und die dreizehn Götter gelangen ans Ziel ihrer Tage; der große Weltuntergang bricht an. Da erhebt sich das große »Krokodil vom Lande des Tropfens«, wodurch die Zählung der Zeitperioden ein Ende findet. Das ist die allgemeine Trunkenheit (der Weltuntergang), durch die die Zählung der Zeitperioden ein Ende finden wird, obwohl es die neun Götter nicht wollten. Da wird auch dem »Krokodil vom Lande des Tropfens« das Haupt abgeschlagen, und Ah uoh puc nimmt die Erde in Besitz, ohne seinen Namen zu nennen ... Am Tage »Dreizehn ahau« schwärzen sich die duftenden Blumen, Sonne und Mond fallen auf ihr Antlitz, die blutige Strafe kommt herab, Himmel und Erde brennen. - (azt)

Weltuntergang (19) „Am Endtag (nach unserer Rechnung 21. Dezember 2012) durchquert die Sonne genau die Hauptebene der Milchstraße. Ein Ereignis, das die Menschheit bisher nicht erlebt hat (geschieht nur ca. alle 28 500 Jahre)."

Was wird dann geschehen? Zum Beispiel dieses:

• „Ein Sternentor öffnet sich in der Galaxis - als Eingangstor für außerirdische Zivilisationen."

• „Eine weltweite Katastrophe (Kometeneinschlag oder Flut) gefährdet das Überleben aller."

• „Aber auch: Aufstieg der Menschheit in eine höhere spirituelle Dimension, neuartige Erfindungen."

„Ein Großteil der Wissenschaftler glaubt jedoch an keine der Thesen".  - BILD Weihnachten 2008, nach Mario Krygier

Weltuntergang (20)  Eines Tages brachte mein Bruder aus der Schule die unwahrscheinliche, aber dennoch wahre Nachricht über das nahe Ende der Welt nach Hause. Wir ließen sie uns wiederholen, da wir meinten, uns verhört zu haben. Aber nein. So eigenartig klang diese unglaubwürdige, diese über alle Maßen unbegreifliche Neuigkeit. So also, wie sie war, so wie sie lag und stand, unfertig und unvollendet, an einem zufälligen Punkt der Zeit und des Raumes, ohne Rechnungsabschluß, ohne ein Ziel erreicht zu haben, in der Mitte des Satzes sozusagen, ohne Punkt oder Ausrufezeichen, ohne göttliches Gericht und göttlichen Zorn, irgendwie im besten Einvernehmen mit Ihm, loyal, nach gegenseitiger Vereinbarung und beiderseitig anerkannten Grundsätzen, sollte die Welt aus den Fugen geraten, einfach und unwiderruflich. Nein, das war nicht das eschatologische, seit langem von den Propheten vorausgesagte tragische Finale und der letzte Akt der göttlichen Komödie. Nein,  das war eher ein radakrobatisches Zirkusende, ein zauberkünstlerisches Hopplaende, ein großartiges Hokuspokusende,  ein  lehrhaft experimentelles Ende unter dem Applaus aller Geister des Fortschritts. Es gab kaum jemanden, der nicht auf der Stelle davon überzeugt gewesen wäre. Erschütterte und Protestierende wurden auf der Stelle niedergeschrien. Weshalb verstanden sie nicht, daß dies einfach eine unerhörte Chance war, ein äußerst fortschrittliches Ende der Welt, ein freidenkerisches Ende, ein auf der Höhe der Zeit stehendes, ein die höchste  Weisheit   geradezu  beehrendes  und  beschützendes?   Es wurde mit Begeisterung erläutert, ad oculos auf herausgerissene Notizbuchblätter gezeichnet, als unwiderlegbar hingestellt, den Widerstrebenden und Zweiflern um die Ohren geschlagen. In den Illustrierten erschienen ganzseitige Zeichnungen, vorweggenommene Bilder der Katastrophe in wirkungsvollen Inszenierungen. Es gab volkreiche Städte in nächtlicher Panik unter einem in Leuchtzeichen und Lichtphänomenen funkelnden Himmel zu sehen. Es gab schon die erstaunlichen Wirkungen eines fernen Meteors zu sehen, dessen parabolischer Scheitel, unverwandt auf die Erdkugel gerichtet, in regungslosem Flug am Himmel verharrte und sich ihr mit einer Geschwindigkeit von soundso viel Meilen in der Sekunde näherte. Wie in einer Zirkusfarce flogen die Mützen und Melonen hoch, standen die Haare zu Berge, öffneten sich die Regenschirme von selbst und entblößten sich die Glatzen unter davonfliegenden Perücken — unter einem schwarzen, riesigen Himmel, der im gleichzeitigen Alarm aller Sterne flimmerte.

Etwas Festtägliches wurde in unser Leben geweht, eine Begeisterung und eine Inbrunst, ein Ernst und eine Feierlichkeit kamen in unsere Bewegungen und weiteten die Brust vor kosmischer Begeisterung. - Bruno Schulz, Der Komet. In: B. S., Die Zimtläden und alle anderen Erzählungen. München 1966

Weltuntergang (22)  Seneca zitiert einen babylonischen Priester und Astronomen:

 Berossos, der Dolmetscher des Bel, sagt, dass dies durch den Lauf der Sterne bewirkt wird; er behauptet sogar, dass der Sternenlauf die Zeit einer Feuerkatastrophe und einer Überflutung bestimmt. Ein Brand nämlich wird auf der Erde wüten, wenn alle Sterne, die jetzt in verschiedenen Bahnen wandern, im Krebs zusammenkommen, d. h. wenn sie unter derselben Stelle stehen, so dass eine gerade Linie durch alle ihre Örter hindurchgehen kann; eine Überflutung aber steht bevor, wenn die Schar derselben Sterne im Steinbock zusammenkommt. Ersteres bewirkt die Sommerwende, letzteres die Winterwende. Die größte Macht haben diese Zeichen, wenn in der Umwandlung des Kosmos die Wendepunkte des Jahres stattfinden.

- Nach Wikipedia

Weltuntergang (23)  Einige Straßenräuber liefen hinter einigen verhafteten Gerichtsdienern her, welche sie unterwegs in Schenken oder Bordellen aufgegriffen. Der Spektakel lockte eine Menge Hunde herbei, die die Gefangenen lustig in die Waden bissen. So geht es eben, wenn Gerichtsdiener saumselig sind. Über dieser Welt voll Possen und Sünden stürzte der Himmel heute nachmittag herein, zwar ohne Krachen, nein, vielmehr als ein weiches feuchtes Tuch, und verschleierte alles. Weißgekleidete Engel liefen barfüßig in der Stadt umher, über die Brücken, und spiegelten sich eitel, aber anmutig im blinkenden Wasser. Einige der schwarzborstigen Teufel jagten mit wildem Geschrei, ihre Gabeln in der Luft schwenkend, zum Entsetzen aller Menschen daher. Sie benahmen sich im ganzen sehr ungeniert. Was soll ich noch sagen? Himmel und Hölle spazieren auf den Boulevards, in den Kaufläden handeln die Seligen und die Verdammten untereinander. Alles ist Chaos, Geschrei, Gejodel, Laufen, Rennen und Stinken. Endlich erbarmte sich Gott dieser schnöden Welt. Er ließ sich herbei, die Erde, die er einst in einem Vormittag verfertigt hatte, ohne weiteres in seinen Sack zu stecken. Der Augenblick (gottlob, daß es nur ein Augenblick war!) war freilich entsetzlich. Die Luft wurde mit einem Mal so fest oder noch fester wie Stein. Sie zerschlug die Häuser in der Stadt, die gegeneinander-prallten wir Trunkenbolde. Die Berge hoben und senkten ihre breiten Rücken, Bäume flogen wie ungeheure Vögel durch den Raum, und der Raum selber zerfloß schließlich in eine gelbliche, kalte, unbestimmbare Masse, die weder Anfang noch Ende hatte, weder Maß noch Etwas, sondern Nichtsmehr war. Von Nichts sind wir auch nicht mehr imstande, etwas zu schreiben. Selbst der liebe Gott löste sich aus Gram über seine eigene Zerstörungswut endlich auf, so daß dem Nichts nicht einmal mehr der es bestimmende, färbende Charakter blieb.  - Robert Walser, nach: Weltuntergangsgeschichten. Von Poe bis Dürrenmatt. Zürich 1981 (zuerst 1895)

Weltuntergang (24)   Die unheilige Welt verblaßte schon und wollte ganz verschwinden. Noch hatte das Land im blonden Abendlicht einem Körper, aber er begann sich zu verflüchtigenJ Nichts, aber auch nichts auf der Welt ist so kostbar wie diese Stunde. Alle werden mir zustimmen, die die unerklärliche Leidenschaft für das Fliegen mir teilen.

So ist dieses Erlebnis: langsam begebe ich mich der Sonne und der großen Flächen, die mich im Falle einer Notlandung aufgenommen hätten. Ich begebe mich der Richtpunkte, die mir einen Weg hätten zeigen können, der Schattenlinien der Berge gegen den Himmel, die mich an drohenden Klippen vorbeiführen konnten. Ich tauche in die Nacht und ziehe meine Bahn. Nur noch die Sterne gehören mir. Ganz allmählich vollzieht sich der Weltuntergang, ganz allmählich schwindet mir das Licht. Himmel und Erde verschwimmen ineinander, als ob die Erde emporstiege und wie Rauch die Luft erfüllte. Die ersten Sterne zittern noch wie durch grünliches Wasser. Erst viel später werden sie zu harten Diamanten, erst sehr viel später kommt zu mir das stumme Spiel der Meteore. Ich habe Nächte erlebt, in denen ihre Feuergarben so massenhaft fielen, daß es schien, als ob ein schrecklicher Sturm unter den Sternen wütete. - Antoine de Saint-Exupéry, Wind, Sand und Sterne. Düsseldorf  1976 (zuerst 1939)

Weltuntergang (25)  Eines Morgens erzählte sie ihrem Vater folgenden Traum (ich gebrauche ihre eigene Sprache): die dicksten Glocken der Welt läuteten. Als dies vorüber war, fielen Erde und Häuser in Stücke; alle Seen, Flüsse und Teiche flossen zusammen und bedeckten das ganze Land mit schwarzem Wasser, so tief wie die See, auf der die Schiffe fahren. Die Menschen ertranken. Sie selbst flog über das Wasser, hoch und niedrig, in voller Angst, hineinzufallen. Dann sah sie, wie ihre Mama ertrank, und flog schließlich nach Hause, um es ihrem Papa zu erzählen.  - N. N. [James Sully], nach (je)

Weltuntergang (26)  Mai 1873. Heute nacht hatte ich einen schrecklichen Traum: l Wir waren in einem Hause, das ich nicht kannte, als auf einmal ich oder ich weifi nicht wer (ich erinnere mich nicht mehr daran) durch das Fenster sieht: Ich sehe, wie die Sonne größer wird und fast die Hälfte des Himmels bedeckt, aber sie leuchtet nicht und wärmt nicht. Darauf teilt sie sich, ein Viertel verschwindet, der Rest teilt sich wiederum und verändert seine Farbe; wir sind gleichsam vergoldet. Darauf bedeckt sie sich bald mit einer Wolke, und alle Welt ruft: „Die Sonne steht still!" Wie wenn ihre natürliche Funktion wäre, sich zu drehen. Einige Sekunden ist sie dann unbeweglich, aber blaß geblieben, dann ist die ganze Erde seltsam geworden; nicht etwa daß sie gewackelt hätte, ich kanns gar nicht ausdrücken, denn etwas Ähnliches existiert gar nicht mehr in unserer alltäglichen Wirklichkeit. Es gibt keine Worte, um das auszudrücken, was wir nicht verstehen. Darauf hat sie sich wiederum gedreht, wie zwei Räder, das eine in dem anderen, das heißt, die helle Sonne war auf Augenblicke von einer Wolke bedeckt, die ebenso rund war wie sie. Der Schrecken war ein allgemeiner. Ich fragte mich, ob das das Ende der Welt sei; aber ich wollte glauben, daß das nur für einen Augenblick wäre. Mama war nicht bei uns, sie kam in einer Art Omnibus angefahren und schien gar nicht erschreckt. Alles war seltsam, der Omnibus war nicht so wie andere Omnibusse. Dann sah ich meine Kleider an; wir packten unsere Sachen in einen kleinen Koffer. In demselben Augenblick fängt alles wieder an. Es ist das Ende der Welt, und ich frage mich, warum Gott mir nichts vorher gesagt hat, und ich frage mich, ob er mich für würdig hält, daß ich diesen Tag überlebe. Alle Leute haben Furcht, und wir steigen mit Mama in den Wagen, und wir fahren, ich weiß nicht wohin.
Was soll der Traum bedeuten? Ist er von Gott geschickt, um uns irgendein großes Ereignis vorauszusagen, oder ist das bloß nervös von mir? - Maria Bashkirtseff, nach (je)


Welt Untergang Verschwinden

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