Weltränder   Überhaupt kann man sagen, die Ränder der bewohnten Welt haben besonders schöne Dinge als Anteil erhalten, gleich wie Hellas bei weitem die beste Mischung der Jahreszeiten erhalten hat. Denn einmal liegt gegen Morgen am Rande Indien, wie ich kurz zuvor gesagt. Hier nun sind einmal die Tiere, Vierfüßer wie geflügelte, viel großer als in den andern Gegenden, die Pferde ausgenommen, denn die werden darin übertroffen von den medischen, die man die Nesaiischen nennt, zum andern gibt's dort unendlich viel Gold, das zum Teil gegraben, zum Teil von Flüssen herabgeführt, zum Teil, wie ich angab, erbeutet wird. Dann tragen dort wild wachsende Bäume als Frucht eine Wolle, die an Schönheit und Güte die Schafwolle übertrifft, und die Inder tragen Kleider aus dieser Baumwolle.

Gegen Mittag wiederum liegt Arabien am Rand der bewohnten Länder, und hier allein und sonst nirgends wächst Weihrauch und Myrrhe und Kasia und Zimtholz und Ledanon. Das alles, außer der Myrrhe, gewinnen die Araber nicht ohne Mühe. Um den Weihrauch zu sammeln, räuchern sie mit dem Harz des Styraxstrauches, das die Phönizier nach Hellas ausführen, das lassen sie verdampfen und können nun sammeln. Denn diese Bäume, die den Weihrauch tragen, werden bewacht von geflügelten Schlangen, klein von Gestalt und bunt von Ansehen und sehr viele an jedem Baum, und die sind es, die in Ägypten einfallen. Und man bekommt sie gar nicht anders von den Bäumen weg als mit dem Qualm des Styrax.

Die Araber sagen auch, die ganze Erde würde mit diesen Schlangen überschwemmt, wenn es nicht so mit ihnen ginge wie meines Wissens mit jenen Nattern. Auch hat ja, kann man sagen, die göttliche Vorsehung, wie es naheliegt, da sie ja weise ist, die furchtsamen und zugleich eßbaren Tiere alle miteinander sehr fruchtbar gemacht, damit sie nicht aussterben, wenn sie verzehrt werden, die schlimmen aber und schädlichen wenig fruchtbar. So auf der einen Seite der Hase, weil alles auf ihn Jagd macht, Raubtier, Vogel und Mensch, darum ist er sehr fruchtbar. Er ist das einzige unter allen Tieren, das mehrmals empfängt, und eins von den Jungen im Mutterleib hat schon Haare, eins ist noch kahl, eins bildet sich eben in der Gebärmutter, eins aber wird neu empfangen. So steht es also auf dieser Seite, die Löwin aber, das stärkste und mutigste Tier, wirft nur einmal im Leben und ein Junges; denn wenn sie gebiert, geht mit dem Jungen auch die Gebärmutter ab. Der Grund dafür ist der: Wenn das Junge in der Mutter sich zu regen beginnt, und es hat ja von allen Tieren die schärfsten Krallen, dann kratzt es an der Gebärmutter, und wie es nun wächst, zerkratzt es sie mehr und mehr, und dann steht die Geburt bevor und an der Gebärmutter ist nichts mehr heil.

So ist es auch mit einigen Nattern und den geflügelten Schlangen in Arabien. Wenn sie entständen, wie ihre Natur es ihnen erlaubt, dann könnten die Menschen nicht mehr bestehen. Nun aber, wenn sie sich paaren und das Männchen grade dabei ist und den Samen ausstoßt, packt das Weibchen es am Hals und beißt sich fest und läßt nicht los, bis es ihn durchgebissen hat. Das Männchen stirbt also auf die besagte Art, das Weibchen aber hat Buße zu zahlen für das Männchen, und zwar so: Die Kinder rächen ihren Vater noch im Mutterleib und beißen sich durch die Mutter, und wenn sie sich durchgefressen haben durch ihren Leib, haben sie so ihren Ausschlupf.  - (hero)

Weltränder (2)  Über die Ränder derWelt in Europa gegen Abend zu kann ich Genaueres nicht sagen. Denn daß es da einen Fluß gibt, den die Barbaren Eridanos nennen und der sich ergießt in das nördliche Meer, woher auch der Bernstein kommen soll, dem kann ich jedenfalls nicht beipflichten, und auch von dem Vorhandensein der Zinninseln weiß ich nichts, von denen das Zinn zu uns kommt. Denn einmal steht schon der Name Eridanos in Verdacht, daß er hellenisch ist und nicht fremdländisch und von irgendeinem Dichter erdichtet ist. Zum ändern vermag ich, trotz aller Mühe, von keinem, der es selbst gesehn, zu erfahren, wie es steht mit dem Meer jenseits von Europa. Das Zinn freilich kommt von dem äußersten Ende zu uns und auch der Bernstein. Im Norden von Europa ist sehr viel Gold, das ist deutlich; wie es aber gewonnen wird, das kann ich auch nicht mit Bestimmtheit sagen, man erzählt aber, daß es den Greifen weggenommen wird von den Arimaspen, Leuten mit einem Auge. Aber auch das laß ich mir nicht einreden, daß es Menschen gibt mit einem Auge, sonst aber ganz der gleichen Art wie andere Menschen. - Immerhin steht das eine fest, daß die Länder am Rand, die rings an das übrige Land grenzen und es in sich einschließen, das was uns das Schönste scheint und das Seltenste, daß sie das besitzen.  - (hero)
 

Welt Rand

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