eltkröte
Er grinste tragisch, und der Schweiß begann ihm noch stärker zu fließen. Je
mehr er grinste, je mehr er der Clown und Affen spielte, desto melancholischer
sah er aus. Er wollte nie, daß jemand ihn für traurig hielt. Er war Kronski,
der große, vitale, gesunde, aufgeräumte, nachlässige, unbekümmerte, sorglose
Bursche, der jedermanns Probleme löste. Er konnte stundenlang ohne Unterbrechung
reden - tagelang, wenn man den Mut hatte, ihm zuzuhören. Er wachte mit einem
Redeschwall auf, stürzte sich sofort in haarspalterische
Debatten, immer über das Schicksal der Welt, ihre biochemische Natur, ihre astrophysikalische
Beschaffenheit, ihre politisch-wirtschaftlichen Aspekte. Die Welt war in einem
unseligen Zustand: Er wußte das, denn er sammelte ständig alle Daten über die
Weizenknappheit oder den Öimangel, oder er stellte Untersuchungen über die Verfassung
der Sowjetarmee oder den Zustand unserer Arsenale und Befestigungsanlagen an.
Er behauptete, als sei das eine unbestrittene Tatsache, daß die Soldaten der
Sowjetarmee diesen Winter keinen Krieg führen könnten, weil sie nur soundso
viele Mäntel, soundso viele Schuhe usw. hätten. Er sprach über Kohlehydrate,
Fette, Zucker etc. Er dozierte über die Weltversorgung, so als sei er für die
Führung der Welt verantwortlich. Er wußte mehr von internationalem Recht als
die berühmtesten Kapazitäten. Es gab kein Thema unter der Sonne, über das er
nicht ein vollständiges und erschöpfendes Wissen zu haben schien. Bis jetzt
war er nur Assistenzarzt in einem städtischen Krankenhaus, aber in einigen Jahren
würde er ein gefeierter Chirurg oder Psychiater oder vielleicht auch etwas anderes
sein - er war sich noch nicht sicher, zu was er sich entschließen sollte. «Warum
willst du nicht Präsident der Vereinigten Staaten
werden?» erkundigten sich seine Freunde ironisch. «Weil ich kein Idiot bin»,
erwiderte er und verzog das Gesicht zu einer sauren Fratze. «Ihr glaubt, ich
könnte nicht Präsident werden, wenn ich wollte? Hört mal, ihr glaubt doch nicht
im Ernst, daß man Verstand braucht, um Präsident der Vereinigten Staaten zu
werden? Nein, ich will einen richtigen Job. Ich will den Leuten helfen, nicht
sie beschwindeln. Wenn ich dieses Land übernähme, würde ich erst mal den ganzen
Augiasstall ausräumen. Um damit den Anfang zu machen, würde ich Kerle wie euch
kastrieren lassen ...» So ging das stundenlang, er säuberte die Welt, brachte
den Augiasstall in Ordnung, bahnte den Weg für die Verbrüderung der Menschheit
und das Reich der Gedankenfreiheit. Jeden Tag seines Lebens kämmte er die Angelegenheiten
der Welt mit einem feinen Kamm durch, entfernte die Läuse, die das Denken der
Menschen verlausten. An einem Tag ereiferte er sich über den Zustand der Sklaven
an der Goldküste, zitierte einem den Preis von Goldbarren oder ein anderes sagenhaftes
Gebräu der Statistik, das unversehens Haß unter den Menschen säte und rückgratlosen,
schwachbrüstigen Männern, die die vertraulichen Finanzberichte erarbeiten und
damit die Bürde der undurchdringlichen politischen Ökonomie noch vermehrten,
einen Job verschaffte. Am nächsten Tag konnte er in Harnisch geraten über Chrom
und Permanganat, weil vielleicht Deutschland oder Rumänien den Markt von diesem
oder jenem aufgekauft hatten, was es den Chirurgen in der Sowjetarmee erschwerte
zu operieren, wenn der große Tag kam. Oder es wurde gerade das letzte Heilmittel
gegen eine neue und erschreckende Seuche gehamstert, was die zivilisierte Welt
bald in Anarchie stürzen würde - wenn wir nicht sofort und mit der größten Umsicht
handelten. Wie die Welt Tag für Tag ohne Dr. Kronskis Führung weiter voranstolperte,
blieb ein Rätsel, für das er keine Erklärung wußte. Dr. Kronski kannte keinen
Zweifel, was seine Analysen der Weltlage anging. Wirtschaftskrisen, Panik, Überschwemmungen,
Revolutionen, Seuchen - alle diese Erscheinungen bestätigten nur seine Beurteilung
der Dinge. Unglücksfälle und Katastrophen stimmten ihn heiter. Er krächzte und
quakte wie die Weltkröte im Embryonalzustand. - Henry Miller, Sexus. Reinbek bei Hamburg 1980 (zuerst 1947)
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