eltende
Dem Bürger fliegt
vom spitzen Kopf der Hut, Der Sturm ist da, die wilden Meere
hupfen |
- Jakob van Hoddis
Weltende (2) Bouvard neigte dem Neptunismus zu. Pécuchet dagegen war eher Plutoniker.
Die Feuersglut des Erdinneren hatte die Kruste des Globus durchbrochen, die Erdschichten aufgefaltet und Risse und Schrunden aufplatzen lassen. Das Ganze war wie ein Binnenmeer mit seiner Ebbe und Flut und seinen Stürmen; nur ein dünnes Häutchen trennt uns davon. Man könnte gar nicht mehr ruhig schlafen, wenn man fortgesetzt an das denkt, was da unter unseren Füßen brodelt. - Dennoch nimmt die Feuersglut des Erdinneren ab, und die Sonne wird schwächer, so daß die Erde eines Tages an Auskühlung zugrunde gehen wird. Sie wird unfruchtbar; alles Holz und alle Kohle werden zu Kohlensäure - und kein Lebewesen wird mehr darauf existieren können.
»Aber so weit sind wir noch nicht!« sagte Bouvard.
»Hoffentlich nicht!« erwiderte Pécuchet. - Gustave Flaubert, Bouvard
und Pécuchet. Frankfurt am Main 2003 (Die Andere Bibliothek 222, zuerst
1881)
Weltende (3)
Der Himmel ist ein Leichentuch. Alles drängt sich ans Fenster. «Das Meer!» Alle denken wir es zugleich. Sie fliegt auf uns zu! |
- Iwan Turgenjew, in: I.T., Meistererzählungen. Zürich 1973 (zuerst
ca. 1880)
Weltende (4) Am Ende von tausend Perioden von vier Zeitaltern ist die Erde zum größten Teil erschöpft... Der ewige Vishnu... tritt ein in die sieben Strahlen der Sonne, trinkt all die Wasser der Welt und läßt alle Feuchtigkeit, ob der Lebewesen oder der Erde verdunsten ... Der Zerstörer aller Dinge, Hari, kommt in der Form von Rudra, der Flamme der Zeit... zur Erde nieder und verschlingt sie. Ein ungeheurer Strudel wirbelnder Flammen erstreckt sich dann bis in Atmosphäre und Göttersphäre und umfängt sie mit Verderben.
Schwere Wolken, großen Elefanten gleich, bedecken den Himmel. Einige sind schwarz wie der blaue Lotus, weiß wie die Wasserlilie, einige tiefblau, hellblau oder leuchtend rot... Die Welt ist in Dunkelheit gehüllt, alles verdirbt, und die Wolken vergießen ihr Wasser.
Wenn der Weltgeist erwacht, belebt sich die Welt... Am Ende der Nacht erwacht
der ungeborene Vishnu in Gestalt des Brahma und erschafft von neuem die Welt.
- Wischnu Purana, nach (
zeit
)
Weltende (5)
Soweit ist es nun tatsächlich mit dieser Welt gekommen
Auf den Telegraphenstangen sitzen die Kühe und spielen Schach
So melancholisch singt der Kakadu unter den Röcken der spanischen Tänzerin wie ein Stabstrompeter und die Kanonen jammern den ganzen Tag
Das ist die Landschaft in Lila von der Herr Mayer sprach als er das Auge verlor
Nur mit der Feuerwehr ist die Nachtmahr aus dem Salon zu vertreiben aber alle Schläuche sind entzwei
Ja ja Sonja da sehen Sie die Zelluloidpuppe als Wechselbalg an und schreien: God save the king
Der ganze Monistenbund ist auf dem Dampfer «Meyerbeer» versammelt
doch nur der Steuermann hat eine Ahnung vom hohen C
Ich ziehe den anatomischen Atlas aus meiner Zehe ein ernsthaftes Studium beginnt
Habt Ihr die Fische gesehen die im Cutaway vor der Opera stehen schon zween Nächte und zween Tage?
Ach Ach Ihr großen Teufel - ach ach Ihr Imker und Platzkommandanten
Wille wau wau wau Wille wo wo wo wer weiß heute nicht was unser Vater Homer gedichtet hat
Ich halte den Krieg und den Frieden in meiner Toga aber ich entscheide mich für den Cherry-Brandy flip
Heute weiß keiner ob er morgen gewesen ist
Mit dem Sargdeckel schlägt man den Takt dazu
Wenn doch nur einer den Mut hätte der Trambahn die Schwanzfedern auszureißen es ist eine große Zeit
Die Zoologieprofessoren sammeln sich im Wiesengrund
Sie wehren den Regenbogen mit den Handtellern ab
Der große Magier legt die Tomaten auf seine Stirn
Füllest wieder Busch und Schloß
Pfeift der Rehbock hüpft das Roß
[Wer sollte da nicht blödsinnig werden] -
Richard Huelsenbeck, Phantastische Gebete. Zürich 1960 (zuerst 1916)
Weltende (6, früheres) Vor langer, langer Zeit trat das Ende der Welt auf folgende Weise ein: Eines Tages hörte man über und unter der Erde ein Geräusch. Mond und Sonne wurden rot, blau und dann gelb. Die wilden Tiere mischten sich unter die Menschen, ohne Angst zu haben. Einen Monat später vernahm man noch viel größeren Lärm, und zwischen Himmel und Erde breitete sich Finsternis aus. Der Donner grollte, und Regen fiel Tag und Nacht. Viele Menschen verirrten sich, und andere kamen auf unbekannte Weise um.
Das Wasser bedeckte die ganze Erde, so daß nur noch die obersten Zweige der
höchsten Bäume herausragten. Die Leute, die auf diese Äste flüchteten, starben
an Hunger und Kälte, außer Uassu und seiner Frau Sofara. Als das Wasser sank,
stiegen sie vom Baum herunter, auf dem sie Zuflucht gesucht hatten, und fanden
von den anderen weder Leichnam noch Gebeine. Die beiden bevölkerten wieder die
Erde. Ihre Nachkommen aber beschlossen, ihre Häuser am Flußufer auf Pfählen
zu bauen, denn so könnten die Häuser auf dem Wasser treiben, falls es wieder
steigen sollte. -
Südamerikanische Indianermärchen. Hg. Felix Karlinger und Elisabeth Zacherl.
München 1992 (Diederichs, Märchen der Weltliteratur)
Weltende (7)
An einem solchen Abend tritt vermutlich das Ende nichts mehr dazusein scheint, was sich ändern und dann ohne viel Interesse |
- Rolf Dieter Brinkmann, Standphotos.
Gedichte 1962 - 1970. Reinbek bei Hamburg
1980 (zuerst 1968)
Weltende (8) In der Hauptstadt
der Gamuna sieht man oft blinde alte Leute, die sich im Gänsemarsch vorwärtstastend
einen Ausgang aus der Stadt suchen; dann nehmen sie einen Weg in den Busch,
um nicht von einem Tor zum anderen verjagt zu werden und sich an ruhige Orte
zum Sterben zurückzuziehen. Diese alten Leute singen uralte Litaneien über das
Sternbild des Vitule, das einstmals wohl als kosmische Uhr betrachtet wurde,
um die Bahn der Gestirne zu berechnen. Und die uralten Litaneien sagen in geheimnisvollen
Formeln, wenn der Stern Panka (weder von Bonetti noch von anderen Forschern
der gamunischen Angelegenheiten identifiziert) wieder über dem Sternbild des
Vitule stehen wird, dann wird sich Boro Trai, der große Herrscher des Schlafs,
das Leben nehmen. Das heißt, er wird vor lauter Essen und Trinken platzen,
zusammen mit 1000 Untertanen, die eigens dazu auf die Welt gekommen sind, um
ihm in den Tod zu folgen. Wenn Boro platzt, werden seine Fettfetzen auf die
höchste Stelle des Sternbilds Vitule, unter den Stern Panka, geschleudert werden.
Und dann wird es keinen Schlaf mehr geben, aber es wird auch keine Welt mehr
geben, denn die Halluzination der Welt nistet im
Körper des schlafenden Menschen.
- (fata)
Weltende (9)
Der 65jährige Pariser Gelehrte Robert Pelterie erklärte, daß 90 Minuten nach der Explosion der Versuchs-Atombombe Nr. 3, die heute im Pazifik zur Zündung gebracht werden soll, eine Welle der Zerstörung über die Welt rasen kann. „Die Möglichkeit ist nicht auszuschließen, daß die im Ozean freigewordene Atomenergie sich in Form einer Kettenreaktion fortsetzt. Falls das geschieht, werden alle Ozeane der Welt in eine ungeheure Atombombe verwandelt werden. Eine Explosion würde in ungefähr 40 Minuten durch alle Ozeane rasen. Der zweite Schock würde innerhalb 90 Minuten eintreffen, begleitet von einer riesigen Feuerwelle, die eine Hitze von einer Million Graden ausstrahlen würde. Die Luft würde aufgezehrt werden. Nachher wäre die Erde ein toter Planet."
Mit dieser Sensation bewaffnet, beeilte ich mich, ins Bad zu kommen. Die
Nachricht erregte unter den sonst so lustigen Kameraden eine aufreizende Wirkung.
Es ist interessant, wie jeder sich zum Spaß das Weltende ausmalte, und die Wünsche
zur Gestaltung des letzten Tages sind charakteristisch: W, den ich erst später
näher kennenlernen sollte, legte zum erstenmal seine Brutalität an den Tag.
Er wünschte zu randalieren, Faustpolitik zu fuhren, an verschiedenen Leuten
Rache zu nehmen und ähnliches. M wünschte sich Belustigungen mit vielen schönen
Weibern. Etwas anders T: Sein Wunsch ging nach tollen Streichen, gutem Vollessen
und leichtem Rausch, nach gemäßigtem Tanz und ruhigem letztem Einschlafen. Zuletzt
Rainer: Er wünschte, ein schönes Buch zu lesen, dann ins Theater zu gehen mit
seiner Erika, nach Hause zu kommen, ein wenig mit ihr allein zu tanzen, dann
eine schöne Diskussion zu führen, sich ans Klavier zu setzen und so das Ende
abzuwarten. Dann malten wir uns die Hölle aus und erwogen, wer dort wohl anzutreffen
sein würde. Mich versetzten sie ins leichte Fegefeuer, B und T in die Hölle.
- (met)
Weltende (10)
- N. N.
Weltende (11) Der Wachtmeister stolperte. Immer wieder hob sich die Sandfläche vor seinen Augen und sank, schauderhaft schlingernd, unter seinen Füßen weg. Aber jetzt war er ruhiger, er hatte sich klargemacht, daß er diese Sache durchstehen mußte und daß er sich regelmäßig ins Badezimmer schleppen mußte, um sich zu übergeben und dann seine heiße und strapaziöse Reise fortzusetzen. Der kleine Treppenputzer war noch immer bei ihm, was ihn noch zusätzlich ermüdete. Die Anstrengung, vorwärts zu kommen, reichte ihm, er wollte sich nicht noch um den Schmerz seines Gefährten kümmern müssen, dessen geduldige, dunkel umflorte Augen ihn fortwährend anflehten, obwohl er sich nie umblickte. Manchmal waren sie allein, manchmal kamen Teufel mit Gabeln und piesackten sie, nicht um sie anzutreiben, sondern um sie zu quälen. Sie piekten den Wachtmeister meist in den Rücken, und das bereitete ihm große Schmerzen. Allmählich wurde es immer heißer. Wenn es noch sehr viel heißer würde, müßten sie sterben. Gottlob stand unter dem Bett der Kasten Mineralwasser... und jetzt heulten die Polizeisirenen, was hatte das zu bedeuten? Er hatte sich zwar schon einmal klargemacht, was mit ihm passierte, es inzwischen aber wieder vergessen. Es hatte mit einer Beerdigung zu tun ... oder mit der Heimfahrt. .. aber welche Rolle spielten dabei die Sirenen? Er hatte den Faden verloren ... wenn er bloß kurz einmal stehenbleiben und nachdenken könnte. Ihm wurde aber klar, daß er nicht stehenbleiben konnte, denn es war der Boden, der sich bewegte, und nicht er.
»Alle mal stillhalten«, rief er laut in das Dunkel hinein, doch nichts blieb stehen, und die Teufel piekten ihn munter weiter, während die Landschaft vor seinen Augen hin und her wogte. »Was ist los?« fragte der Wachtmeister, der aufhören wollte, die Lösung selbst zu finden. »Was ist hier los? Warum können wir nicht anhalten?«
»Haben Sie nicht gewußt?« sagte die Stimme des kleinen Treppenputzers, auch wenn er gar nicht mehr neben ihm war. »Es ist das Ende der Welt...«
Plötzlich hielt es der Wachtmeister nicht mehr aus.
»Nein!« brüllte er. »Nein! Das ist nicht das Ende der Welt! Das glaube ich
nicht. Ich habe wirklich mal gewußt, was mit mir nicht stimmt, jetzt habe ich
es vergessen, aber das Ende der Welt ist es nicht, und überhaupt, diese ganze
Geschichte bin ich leid, ich hab's satt, Nacht für Nacht, und ihr« - wütend
zeigte er auf die grinsenden Wesen um ihn herum -, »ihr könnt verschwinden!
Haut ab aus meinem Schlafzimmer! Alle miteinander, und laßt euch nicht wieder
blicken. Ich ertrage euch nicht länger, warum sollte ich auch, also raus jetzt
mit euch!« Er schrie sich heiser, aber sie gingen. »Gut. Na, dann werden wir
mal sehen, ob dies das Ende der Welt ist oder nicht. Nur einen Moment noch,
dann werde ich richtig aufwachen und ein Glas Wasser trinken. Das Ende der Welt!
So ein Quatsch!« - Magdalen Nabb, Tod eines Engländers. Zürich
1991
Weltende (12)
Das Ende der Welt Es kam ganz unerwartet, gerade als (Trommelwirbel), als Teeny mit großem Hurra und droben hing, es hing droben, es hing |
- Archibald MacLeish, nach
(mus)
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