eltenbaum  

 

Weltenbaum

Araukanische Schamanin (Chile) auf dem Weltenbaum

- Aus: Alfred Stolz, Schamanen. Ekstase und Jenseitssymbolik. Köln 1988 (dumont Taschenbücher 210)

Weltenbaum (2)  Nachdem die Asen den Ur-Riesen Ymir getötet haben, schaffen sie aus seinem Leichnam alle existierenden Dinge. Die Weltesche Yggdrasil ist der erste Baum, den sie pflanzen. Er ist der größte und prächtigste Baum der Erdengeschichte. Seine Zweige überschatten die neun Welten und wachsen über den Himmel. Auf der Spitze befindet sich ein Adler ohne Namen. Zwischen den Augen des Adlers sitzt ein Habicht, der Vedrfölnir genannt wird.

Er hat drei große Wurzeln, von denen eine nach Jötunheim, dem Land der Riesen, wächst, wo sich auch Mimirs Brunnen befindet. Die andere Wurzel führt in das nebelige Niflheim nahe der Quelle Hvergelmir, wo der Neid-Drache Nidhogg an ihr nagt. Die dritte Wurzel findet sich in der Nähe von Asgard. Das Eichhörnchen Ratatöskr klettert immer an der dritten Wurzel hin und her und verbreitet dabei üble Nachrede vom Adler bis zum Neiddrachen. Vier Hirsche namens Dain, Dwalin, Dunneir und Durathor fressen die Knospen der Weltenesche ab. Die zwei Schlangen Goin und Moin, die von Grafwitnir, dem Grabeswolf, abstammen, nagen an den Wurzeln von Yggdrasil. - Wikipedia

Weltenbaum (3) Ich denke mir den Baum stofflich um ein Tausendfaches gelockert, ich denke seine Krone in den Himmel hinein unendlich weit ausgebreitet, ich denke mir Lebenskräfte viel weiter in der Erde entfaltet als das in einer Wurzel sein kann, einen Strom, ein unerhörtes Leben zwischen diesen beiden Gebieten - die ganze Erde in ihrer Oberfläche und der ganze Himmel in einer mächtigen Wechselwirkung - nicht sichtbar für uns, weil wir eben selbst nur die kleinen Wesen in diesem Wirken sind, wie der einzelne Baum oder das einzelne Tier, ja, dieser Himmel und diese Erde wollen etwas von einander, dieser Weltenbaum ist der gleiche, von dem nicht zuerst ich geträumt habe. Seinen Sinn zu erkennen, das ist nicht meine Aufgabe, ich könnte nur ihn zu leben versuchen. Und als Träger dieser Phantasie bin ich selbst der Baum, und der Baum ist Mensch geworden. - Ernst Fuhrmann, Der Weg in die Zukunft. Nach (fuhr)

Weltenbaum (4)  Die ganze Welt ruht auf den Hörnern eines riesenhaften Stiers. Wenn dieser sich jemals rühren würde, würde die Welt sogleich einstürzen. Die Erde selbst ist nicht eine. Es sind sieben Erdschichten flach übereinander. Darüber liegen die sieben Himmel. Die Menschen leben auf der fünften Erde. Zwischen der Erde und dem Himmel gibt es noch zwei Erden. Darüber kommt das Nichts, aus dem alles wurde.

Auf der untersten Erde wohnen die ganz kleinen Tidjal. Das sind Geschöpfe, die sind aus den Eiern der Ameisen hervorgegangen, und sie sind noch schlimmer (und anscheinend auch klüger) als die Ameisen. Auf der Erde der Tidjal steht ein mächtiger Baum, der ragt weit herauf, und wenn er je umstürzen sollte, so würden die Tidjal freien Weg zu unserer Erde hinauf , haben, und dann würden sie kommen, und alles würde bei uns zerstört werden. Das aber ist der Wunsch der Tidjal.

Deshalb arbeiten die Tidjal jeden Tag vom Morgen bis zum Abend daran, diesen Baum zu fällen. Es gelingt ihnen auch, dessen Stamm jeden Tag so weit durchzuschlagen, daß nur noch ein Rest von vier Finger Breite übrigbleibt und er somit dicht am Umstürzen angekommen ist. Wenn die Tidjal aber abends so weit gekommen sind, hören sie mit der Arbeit auf und sagen: »Nun wollen wir uns ausruhen, den Rest der Arbeit wollen wir morgen verrichten.« Damit hören sie also auf. Wenn sie dann aber am andern Morgen den Rest des Stammes durchschlagen wollen, finden sie, daß der Baum wieder wohlerhalten dasteht, als sei er am Tage vorher nicht angerührt worden. Der Baum wächst jede Nacht so viel nach, als die Tidjal ihm am Tage vom Holze wegschlagen, und so bleibt ihnen der Weg zu uns versperrt, sonst wären wir schon lange vernichtet worden.  - Märchen der Kabylen. Gesammelt von Leo Frobenius, Hg. Hildegard Klein. Düsseldorf u.Köln  1967

Weltenbaum (5)  Mein Baum von heute nachmittag hat keinen Namen, wie fast alle meine Bäume; ich habe nie gelernt, mehr als drei oder vier zu unterscheiden: Weide, Pappel, Platane, Eiche, und das war's dann auch schon. Von mittlerer Größe und breitem Wuchs, streckt er seine fünf oder sechs Etagen dickerer Äste aus und bläht sich zu einer weiten Kuppel, die von meinem Sitz am Fuß des Stammes kaum auszumachen ist. Der sanfte Wind bewegt nur leicht die großen Blätter; man hat das Gefühl, daß er in seiner Individualität ganz für sich steht, daß er sich selbst genügt. Doch er steht nicht nur für sich, das werde ich nach und nach lernen, und die erste Lektion erteilt mir ein Kitzeln auf der Nase, denn dort ist gerade ein Räupchen gelandet, nachdem es mit Absichten, die sich meiner Kenntnis entziehen, seine seidene Leiter von einem Blatt herabgelassen hat. Kaum habe ich den Seidenfaden abgetrennt, um es auf der Erde abzusetzen, damit es sich anderswo als Störenfried betätigt, da sehe ich viele andere Raupen, die mit derselben etwas engelhaft anmutenden Operation beschäftigt sind und mit Hilfe ihrer fast unsichtbaren Leitern vom Baum auf den Boden herabgleiten; ein Zyklus hat begonnen, eine Metamorphose steht bevor, die Raupen verlassen ihren schwankenden grünen Himmel, um sich in das erdige Abenteuer zu stürzen, das sie unten erwartet. Der Stamm seinerseits - das entdecke ich erst jetzt, da ich etwas näher hinschaue - ist wie ein Ygdrasil, auf dem sich zwischen oben und unten seltsame Passagen vollziehen; auf der einen Seite klettert eine Reihe großer schwarzer Ameisen hinauf, bis sie sich auf dem ersten Ast links verliert, während eine andere, weniger disziplinierte Reihe herabkommt, anscheinend nach einer Reise, die ihnen keine Nahrung verschafft hat, es sei denn, sie hatten sie gleich dort zu sich genommen, wo sie sie gefunden haben. Und welche Absicht leitet diesen blauen Käfer, der sich wie ein buddhistischer Mönch auf der Reise der Offenbarung in einer überaus langsamen Spirale voranbewegt? Er verschwindet hinter dem Stamm, um einige Zentimeter weiter oben wieder aufzutauchen; bei diesem Tempo wird er in zwei Stunden oben sein und vielleicht die Erleuchtung finden. Eine Libelle hat soeben ein hinreißendes Spiel entdeckt: Sie verläßt den freien Raum und dringt unter Umgehung aller Hindernisse in das Laubwerk ein, weicht nach der einen und anderen Seite aus, während sie zwischen den Ebenen der Blätter auf und ab steigt, vergnügt sich damit, eine Wegstrecke zu vervielfachen, die offenbar keinen anderen Zweck hat als das zwingende Gebot, sich bei der Einschätzung der Entfernungen nie zu irren. - Julio Cortázar, Carol Dunlop: Die Autonauten auf der Kosmobahn. Frankfurt am Main 2014 (BS 2481, zuerst 1983)

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