eltchen
Einen solchen Katholizismus, wie er sich historisch
in Polen ausgebildet hat, fasse ich auf als ein Abwälzen der die Kräfte übersteigenden
Lasten auf jemand anderen - auf Gott. Es ist das ganz das Verhältnis von Kindern
zum Vater. Das Kind ist unter der Obhut des Vaters. Es soll ihm gehorchen, ihn
verehren und lieben. Seine Gebote erfüllen. Also kann das Kind ein Kind bleiben,
denn alles »Extreme« wird Gott-Vater überwiesen und seiner irdischen Gesandtschaft,
der Kirche. Der Pole hat dadurch eine grüne Welt erlangt - eine grüne, weil
unreife, aber auch darum eine grüne, weil in ihr Wiesen, blühende Bäume sind,
nicht aber schwarze und metaphysische. Am Busen der Natur leben, in einer begrenzten
Welt, das schwarze Weltall Gott überlässend.
Mich, der ich schrecklich polnisch bin und schrecklich gegen Polen aufgelehnt,
ärgerte immer das polnische kindliche Weltchen, das sekundäre, geregelte und
fromme. Die polnische Bewegungslosigkeit in der Geschichte schrieb ich diesem
zu. Die polnische Impotenz in der Kultur - denn uns führte Gott am Händchen.
Diese artige polnische Kindlichkeit stellte ich der erwachsenen Selbständigkeit
anderer Kulturen gegenüber. Dieses Volk ohne Philosophie, ohne Bewußtsein der
Geschichte, intellektuell weich, geistig schüchtern, ein Volk, das sich nur
zu einer »biederen« und »braven« Kunst aufgeschwungen hat, ein aus dem Leim
gegangenes Volk lyrischer Versschreiberei, der Folklore, der Pianisten, der
Schauspieler, in welchem sich sogar die Juden auflösten und ihr Gift verloren.
- (gom)
- Jean Paul, Selberlebensbeschreibung
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