eiß  Abgesehen von den bei Moby Dick sich aufdrängenden Erwägungen, die für einen jeden mitunter etwas Beängstigendes haben mußten, umwitterte ihn noch ein weiterer, unsäglicher Schrecken, der an Heftigkeit bisweilen alles andere überwog, dabei aber so geheimnisvoll und schwer namhaft zu machen war, daß es fast aussichtslos scheint, ihn in Worte fassen zu wollen. Es war vor allen Dingen die Weiße dieses Wals, was mir ein Grauen beibrachte. Wie kann ich indessen hoffen, mich hier verständlich zu machen! Und doch muß ich es von ungefähr versuchen, so gul es geht, wenn nicht das Ganze umsonst sein soll.

Nun wird zwar im Reiche der Natur etwas Schönes, wie Marmor, Kamelien oder Perlen, durch die weiße Farbe oft noch verschönert und verfeinert, als käme dieser an sich schon ein besonderer Wert zu. Bei manchen Völkern ist dieser Farbe sogar ein gewisser königlicher Vorrang eingeräumt worden; selbst die großen Barbarenkönige von Pegu stellten einst den Titel «Herr der weißen Elefanten» allen ihren sonstigen hochtrabenden Beinamen voran; die heutigen   Könige  von   Siam  führen dasselbe schneeweiße Tier in ihrem Wappen; die Flagge Hannovers zeigt einen Schimmel; und auch im mächtigen Österreich, dem Erben des einst weltbeherrschenden Rom, ist Weiß die kaiserliche Farbe.  Der Vorrang dieser Farbe gilt   überhaupt   für   das   ganze   Menschengeschlecht und macht den Weißen von vornherein zum Herrn über alle dunkelhäutigen Rassen. Außerdem ist nicht zu verkennen, daß man Weiß sogar zur Farbe der Freude gemacht hat, bezeichnete doch bei den Römern ein weißer Stein einen Festtag, und dieselbe Farbe versinnbildlicht noch mancherlei menschlich rührende und edle Dinge, so die  Unschuld der Braut oder den milden Sinn des Greisenalters. Bei den Rothäuten Amerikas galt das  Verleihen der weißen Wampumschnur als das unverbrüchlichste Ehrenpfand. Ferner ist zuzugeben, daß mancherorts der weiße Hermielin des Richters die Hoheit von Recht und Gerechtigkeit verkörpert, und daß die Schimmel vor der Kutsche eines Königs oder einer Königin täglich zu deren Prachtentfaltung beitragen. Auch läßt sich nicht leugnen, daß in den geheimeren Gründen höchst erhabener Religionen Weiß zum Sinnbild göttlicher Macht und Makellosigkeit erkoren worden ist; so galt den persischen Feueranbetern die weißzüngelnde Flamme als die heiligste auf dem Altar, und in der griechischen Sage verwandelt sich Zeus in einen schneeweißen Stier. Beim edlen Stamm der Irokesen stellte das jeweils im Winter stattfindende Opfer des heiligen weißen Hundes bei weitem das feierlichste Fest ihres Glaubens dar, da dieses fleckenlose, treue Tier als der lauterste Bote angesehen wurde, den sie dem Großen Geist mit der alljährlichen Beteuerung ihrer eigenen Treue zukommen lassen konnten. Bei uns ist der Name für einen Teil der Amtstracht christlicher Priester, nämlich die unter dem Meßgewand getragene Albe oder das Chorhemd, von dem lateinischen Wort für «weiß» abgeleitet. Auch ist Weiß die Farbe, die an den Fronleichnamsfeiern der Römischen Kirche vorherrscht. In der Offenbarung des Johannes erscheint die Schar der Erlösten weiß gewandet; die vierundzwanzig Ältesten sitzen mit weißer und reiner Leinwand angetan um den großen weißen Stuhl herum, und der Ewige, der darauf sitzt, ist ebenfalls von schlohweißer Herrlichkeit. Alles das trifft freilich zu. Und doch, mag diese Farbe für unser Gefühl noch so sehr mit allem Lieblichen, Ehrwürdigen und Erhabenen verbunden sein, es lauert trotzdem im Inbegriff des Weißen etwas Unfaßbares, das mehr Furcht und Entsetzen verbreitet als etwa das beängstigende Rot des Blutes.

Dieses   unfaßbare Etwas   macht,  daß  die Vorstellung des Weißen, losgelöst von freundlicheren Anklängen und gepaart mit einem an sich schon grauenhaften Gegenstand, ganz danach angetan ist, dieses Grauen ins Maßlose zu steigern. Man denke an den Eisbären oder an den weißen Hai; woher kommt der unbegreifliche Schrecken, den sie einflößen, wenn nicht von ihrer glatten, flockigen Weiße ? Das gräßliche Weiß ist es, was ihrem stummen Wesen die abscheuliche Milde verleiht, die ebenso widerwärtig wie fürchterlich wirkt. Nicht einmal der reißende Tiger in seinem angestammten Mantel benimmt dem Menschen den Mut so sehr wie der in Weiß gehüllte Eisbär oder Hai.

Auch an den Albatros läßt sich dabei denken. Woher kommt es, daß sein weißer Spuk dermaßen von Staunen und bleicher Furcht umwölkt durch unsere Vorstellung geistert? Nicht erst Coleridge hat ihn verzaubert; vielmehr die Natur, die — unbestechlicher  als ein Dichter  —  den  Schöpfer verherrlicht.

Allbekannt in Geschichte und Sage des amerikanischen Westens ist die Gestalt des Weißen Hengstes der Prärie, eines prachtvollen Schimmels mit großen Augen, schmalem Kopf, breiter Brust und der Würde von tausend Herrschern in seiner stolzen, hochgemuten Haltung. Er war einst der erkorene Xerxes ungeheurer Herden wilder Pferde, deren Weidegründe damals nur vom Felsengebirge und den Alleghanies umzäunt waren. Blendend zog er an ihrer Spitze westwärts, wie der helle Stern, der allabendlich die Heerscharen des Lichts anführt. Der schimmernde Sturz der Mähne und der Komet seines Schweifs verliehen ihm eine Schabracke, wie sie ihm prunkvoller kein Silberschläger hätte anfertigen können. Eine höchst fürstliche, ja erzengelgleiche Verkörperung jener unschuldigen Welt des Westens, die einst in der Anschauung der Jäger und Fallensteller die Herrlichkeit einer Urzeit Wiederaufleben ließ, da der erste Mensch hoheitsvoll wie ein Gott einherschritt, mit furchtlos kühner Stirne, wie dieser gewaltige Hengst. Ob er nun in Begleitung seines Stabs den zahllosen Gewalthaufen vorauszog, die wie ein Strom die Steppen überschwemmten, oder ob er im Galopp seine ringsum in weitem Umkreis grasenden Untertanen musterte, mit rötlich durch das milchig kühle Weiß hindurchschimmernden Nüstern, welchen Anblick er auch immer bot, stets war der Weiße Hengst für die tapfersten Indianer Gegenstand ehrfürchtiger Scheu. Nach allem, was von diesem edlen Pferd überliefert ist, kann dabei keineswegs bezweifelt werden, daß es vornehmlich seine vergeistigte Weiße war, was ihn mit dem Schimmer des Göttlichen umgab, und daß dieses Göttliche etwas in sich barg, was zwar Verehrung gebot, gleichzeitig jedoch eine gewisse namenlose Furcht erzwang.

Nun gibt es aber andere Fälle, in denen der weißen Farbe dieser Gefühlswert des Hohen und Herrlichen vollständig abgeht, der beim Weißen Hengst und beim Albatros unbegreiflich mit ihr verknüpft ist.

Was macht den Albino zu einem so merkwürdig abstoßenden und peinlichen Anblick, daß er oftmals bei seiner eigenen Sippschaft verpönt ist ? Die weiße Färbung, die ihm anhaftet, wie schon sein Name sagt. Der Albino ist so gut gebaut wie irgendein Mensch, er ist durchaus nicht mißgestaltet, und doch wirkt nur schon dieses durchgehende Weiß befremdlicher und widerwärtiger als die garstigste Mißgeburt. Wie ist das zu erklären ?

Noch in ganz anderer Hinsicht macht sich die Natur in ihrem unauffälligeren, aber deshalb nicht wenigerarglistigenWaltendieseletzte und höchste Eigenschaft alles Fürchterlichen zunutze. Nach seinem schneeigen Aussehen wird das panzerfaustbewehrte Schreckgespenst der südlichen Meere die Weiße Bö genannt. Auch fehlt es nicht an Beispielen aus der Geschichte, wonach menschliche Arglist sich eine so wirksame Beihilfe nicht hat entgehen lassen. Wie schauerlich wird die Wirkung jener Stelle bei Froissart gesteigert, wo die aufrührerischen Bürger von Gent in ihrer weißen Verkappung den Landvogt auf offenem Platz ermorden!

In mehr als einer Beziehung wird das Unheimliche dieser Farbe auch durch Urerleb-nisse der Menschheit bezeugt. Zweifellos ist es beim Anblick eines Toten vor allem dessen marmorne Blässe, vor der uns graut, als ob sie, hienieden ein Zeichen der Todesangst, noch über das Grab hinaus Bestürzung bedeute. Dieser Totenblässe entlehnen wir auch die sprechende Farbe des Leichentuches. Selbst in unserem Aberglauben verfehlen wir nicht, das Spukhafte mit dem nämlichen leichen-haften Gewand zu begaben; erscheinen doch alle Gespenster in einem milchigen Dunstschleier. Und dieweil uns ein kaltes Grausen faßt, setzen wir gleich hinzu, daß selbst der König aller Könige, wie der Seher ihn schildert, auf einem weißen Pferd einherreitet.

Was immer man daher in anderer Gemütsverfassung Großes und Schönes mit dieser Farbe versinnbildlichen mag, niemand kann leugnen, daß sie in ihrer letzten, vergeistigten Bedeutung in uns eigentümliche Anwandlungen wachruft.

Dies kann somit ohne Widerrede als erwiesen gelten; wie soll aber der Mensch es sich erklären ? Es begrifflich zu ergründen, dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein. Läßt sich vielleicht durch die Aufzählung einiger Fälle unter der Hand ein Anhaltspunkt gewinnen und dem Urgrund des mannigfachen Zaubers näherkommen, den das Weiße auf uns ausübt, selbst wenn es zeitweilen gänzlich oder großenteils des Beigeschmacks entbehrt, der danach angetan wäre, ihm etwas Beängstigendes zu verleihen?

Versuchen wir es. Das Unwegsame dieser Dinge setzt allerdings einen gewissen Spürsinn voraus, und ohne eigenen Ahnungsdrang kann keiner einem andern in diese Gefilde folgen. Wenn auch zweifellos ein Teil der nachstehend angeführten Gefühlserlebnisse Gemeingut sind, haben doch wohl die wenigsten sie seinerzeit bewußt erlebt, so daß sie sich ihrer jetzt vielleicht nicht mehr entsinnen.

Warum erweckt in einem einfachen Gemüt, das mit dem eigentlichen Gepräge des betreffenden Tages nur mangelhaft vertraut ist, die bloße Erwähnung des zum Pfingstkreis gehörenden Weißen Sonntags die Vorstellung eines endlosen, lautlosen und trostlosen Aufzugs gemessen schreitender Pilger, die den mit Neuschnee verkappten Kopf hängen lassen? Warum denkt der unbelesene, unverbildete Amerikaner des protestantischen Mittelwestens bei der beiläufigen Erwähnung eines weißgewandeten Karmelitermönchs oder. einer ebensolchen Nonne an eine Art Gipsabguß ohne Augen?

Woher kommt es sodann, daß im Londoner Tower der Weiße Turm auf den unbewanderten Amerikaner so viel schauerlicher wirkt als die benachbarten Zwinger, den Blutigen Turm nicht ausgenommen, mit dem doch die gleichen Gruselgeschichten von eingekerkerten Kriegern und Königen verknüpft sind ? Und was bewirkt bei jenen erhabeneren Türmen, den Weißen Bergen New Hampshires, daß uns nur schon auf die Nennung des Namens hin ein unheimliches Gefühl beschleicht, während der Gedanke an die Blauen Höhen Virginiens vom zarten Schmelz einer träumerischen Ferne umspielt ist? Weshalb hat, abgesehen von allen Längen und Breiten, der Name des Weißen Meeres etwas Gespenstisches an sich, während derjenige des Gelben Meeres uns umgaukelt mit der Vorstellung langer, lässiger Nachmittage auf dem Wasser, gefolgt von ungemein farbenprächtigen und doch schlaftrunkenen Sonnenuntergängen? Um ein völlig märchenhaftes Beispiel heranzuziehen, nämlich den «großen, bleichen Mann» aus dem Harz, dessen unwandelbare Blässe geräuschlos durch die grünen Wälder geistert: Warum wirkt dieser Spuk fürchterlicher als all das tolle Treiben auf dem Blocksberg?

Wenn man sich ferner fragt, was Lima zur denkbar fremdartigsten, freudlosesten Stadt macht, so ist es nicht die Erinnerung an Kathedralen verschüttende Erdbeben, noch ist es der wilde Ansturm der Brandung; das Erbarmungslose des verdorrten Himmels, von dem kein Regen fällt; der Anblick massenhaft schiefer Türme, verschobener Quadern und halb umgekippter Kreuze (den schrägen Rahen einer vor Anker liegenden Flotte gleich); die Vorstadtstraßen mit den windschiefen Hausmauern, wie ein hingeworfenes Spiel Karten; das alles ist es nicht allein. Lima hat nämlich den weißen Schleier genommen; in diesem weißen Trauergewand liegt das Grauenhaftere beschlossen. Alt wie Pizarro, bleiben die Trümmer der Stadt durch ihre Weiße ewig frisch; das muntere Grün vollkommenen Verfalls ist ihnen versagt; über die eingestürzten Bollwerke liegt gewissermaßen die Totenblässe eines in all seinen Verzerrungen stehengebliebenen Starrkrampfs ausgebreitet.

Es ist mir bewußt, daß man gemeinhin diese Bewandtnis mit der weißen Farbe nicht als den Urgrund gelten läßt, aus dem die Überhöhung des Schreckens an sich schon schrecklicher Dinge in erster Linie hervorgeht; auch sieht ein ahnungsloses Gemüt oft überhaupt nichts Schreckliches in den Erscheinungen, bei denen für einen andern das Unheimliche fast ausschließlich in dieser einen Eigenschaft besteht, namentlich wenn sie in der Form einer gewissen stummen Allgegenwart auftaucht. Was mit diesen beiden Behauptungen gemeint ist, läßt sich vielleicht durch folgende zwei Beispiele veranschaulichen.

Zum ersten: Wenn der Seefahrer sich der Küste eines wildfremden Landes nähert und nächtlicherweile das Brausen der Brandung vernimmt, so rafft er sich zu entsprechender Wachsamkeit auf, und die Befürchtungen, die er etwa hegt, zeitigen höchstens eine Schärfung seiner Sinne. Wird er jedoch unter ganz ähnlichen Umständen aus seiner Hängematte geholt, wenn das Schiff des Nachts durch eine milchigweiße See läuft, als kämen von umliegenden Gestaden ganze Rudel gestriegelter Eisbären ringsum angeschwommen, dann beschleicht ihn eine abergläubische Furcht; der gleichsam in ein weißes Laken gehüllte Spuk der brodelnden Brecher wirkt gespenstisch auf ihn; umsonst vergewissert er sich mit dem Senkblei, daß er noch auf unauslotbarer Tiefe segelt; schweren Herzens dreht er ab, und es läßt ihm keine Ruhe, bis er wieder auf blauen Wassern weilt. Wo fände sich jedoch ein Seemann, der eingestünde:« Es war nicht so sehr die Angst, auf blinde Klippen zu laufen, als vielmehr die Angst vor dieser schauerlichen Weiße, die mir schwer auf die Seele schlug.

Zum andern: Dem Eingeborenen Perus flößt der ständige Anblick der Anden mit ihren Schneekuppen keinerlei Furcht ein, er dächte denn an die eisige Öde, die in solcher Höhe herrscht und an die grausige Möglichkeit, sich in solch unmenschlicher Einsamkeit zu verirren. Ähnlich verhält es sich mit dem Grenzer des Westens, der mit Gleichmut auf die unendliche, verschneite Prärie schaut, deren erstarrtes Weiß auch nicht vom Schatten eines Baumes oder Gezweigs gemildert wird. Nicht so der Seefahrer, der vor dem Schauspiel des Südlichen Eismeers steht, wo er zuweilen durch ein teuflisches Spiel der Natur in seiner Seenot statt eines tröstlichen Regenbogens gewissermaßen einen grenzenlosen Friedhof erblickt, der ihm mit seinen kahlen Grabmälern und zersplitterten Kreuzen aus Eis entgegengrinst.

Doch wendet einer vielleicht ein, dieses Bleiweißkapitel über das Weiße sei nichts als eine weiße Fahne, herausgehängt aus verzagter Seele: Vor Trübsinn streichst du die Segel, Ismael.

Sage mir einer, warum ein stämmiges junges Füllen, in einem friedlichen Tal Vermonts zur Welt gekommen, weit entfernt von allen reißenden Tieren, warum dieses Füllen am hellichten Tage scheut und schnaubt und mit schreckerfüllten Augen sich wie wild gebärdet, wenn man lediglich eine aus Büffelhaut verfertigte neue Reisedecke hinter ihm entfaltet, so daß es sie gar nicht sieht, vielmehr nur ihren tierischen Geruch wahrnimmt? Es hat in seiner grünen Heimat im Norden nie etwas von blutig zerfetzten Tieren erlebt; der fremdartige Geruch kann somit in ihm keine Erinnerung an bestandene Gefahr wachrufen; denn was weiß dieses Neuengländer Füllen schon von den schwarzen Bisons des fernen Oregon ?

Nein, hier gewahrt man sogar in einer stummen Kreatur das untrügliche Gefühl für die Arglist dieser Welt. Obgleich Oregon in weiter Ferne liegt, genügt dieser scharfe Geruch, und die mit ihren Hörnern alles zerfetzenden Büffelherden sind so gegenwärtig wie für das verlassene wilde Füllen der Prärie, das vielleicht im selben Augenblick zu Staub zerstampft wird.

Genau so verhält es sich mit dem milchig schäumenden Seegang, mit dem eintönigen Knistern im Rauhreif der Berge, mit dem Wandern der wüsten Schneeverwehungen der Prärie; alles das wirkt auf Ismael wie das Entfalten der Büffelhaut auf das erschreckte Füllen.

Zwar wüßte auch ich nicht zu sagen, wo die namenlosen Mächte lauern, von denen die unheimlichen Anzeichen künden; irgendwo muß es diese Mächte jedoch geben, in meinem Fall wie in dem des Füllens. Wenngleich die sichtbare Welt in mancherlei Hinsicht ein Werk der Liebe scheint, so entstammt sie in ihren lichtscheuen Gründen doch der Angst.

Noch haben wir freilich die zauberische Gewalt der weißen Farbe nicht enträtselt und die Frage nicht beantwortet, warum sie uns dermaßen aufs Gemüt schlägt, und — was noch befremdlicher und bedrohlicher ist — warum sie, wie wir gesehen haben, letztes Sinnbild geistiger Dinge, ja, schlechthin der Schleier der christlichen Gottheit ist, und gleichzeitig erwiesenermaßen das Grauen vor den Dingen, vor denen der Menschheit am meisten graut, maßlos übersteigert.

Liegt es daran, daß die weiße Farbe durch ihre Wesenlosigkeit an die leblose Leere und Unermeßlichkeit des Weltalls gemahnt und uns solchermaßen hinterrücks mit der Vorstellung der Vernichtung überfällt, wenn wir in die weiße Weite der Milchstraße schauen? Oder liegt es daran, daß Weiß eigentlich nicht so sehr eine Farbe als vielmehr die sichtbare Abwesenheit jeglicher Farbe ist, und gleichzeitig auch die Vereinigung sämtlicher Farben, so daß eine weite Schneelandschaft aus diesem Grunde etwas so unerlöst Leeres und doch Bedeutsames an sich hat — die farblose Allfarbe einer Gottlosigkeit, vor der wir zurückschaudern? Und wenn wir noch jene Anschauung der Naturphilosophen in Betracht ziehen, daß alle andern irdischen Farben, jedes laute oder liebliche Gepränge, das köstliche Farbenspiel des abendlichen Himmels oder Waldes, der zarte Schmelz des Schmetterlings oder der Wangen eines jungen Mädchens, daß alles das lediglich abgefeimte Täuschung ist, nicht dem Stoff selber innewohnt, sondern nur von außenher aufgetragen ist, und somit die gesamte vergötterte Natur sich schminkt wie die Dirne, deren Reize nichts als ein Gerippe verdecken; und wenn wir weitergehen und in Betracht ziehen, daß das geheimnisvolle Schönheitsmittel, das all die Buntheit der Welt hervorbringt, nämlich das Licht, selber allezeit weiß oder farblos bleibt und alle Dinge, selbst Tulpen oder Rosen, mit seiner eigenen Wesenlosigkeit anstecken würde, falls es ohne Zwischenträger auf den Stoff einwirkte — wenn wir alles das erwägen, dann liegt die Welt gelähmt und gleichsam von Aussatz befallen vor uns; und wie ein Lapplandreisender, der aus Eigensinn sich weigert, eine farbige oder farbgebende Brille aufzusetzen, so erblindet der beklagenswerte Gottesleugner zuletzt bei der Betrachtung des unendlichen weißen Leichentuchs, in das die Welt ringsum eingeschlagen ist.   - (mob)

Weiß (2)  

Das Weisse mit dem roten Punkt

Es wimmert Dein Totenspuk, das
Kummerweit ist da. Post senden
matte Kissen-Du im Rot. Wende. P. S.
Das Weisse mit dem roten Punkt
ist die Wundkammer. Pest-Tosen-
Mord. Wem stinkt, spei' aus. Ende.

 - Unica Zürn, Das Weiße mit dem roten Punkt. Texte und Zeichnungen. Frankfurt am Main - Berlin 1988

Weiß  (3)  

Weiß  (4)  Im WEISS sind alle Farben verschwunden, es ist großes Schweigen, aber voll Möglichkeit wie das Nichts vor der Geburt. - Wassily Kandinsky, nach: Walter Hess (Hg.), Dokumente zum Verständnis der modernen Malerei. Reinbek bei Hamburg 1964 (rde 19)

Weiß  (5)   Ich rechne sehr viel auf die Unbestimmtheit der Ausdrücke weiß, weißes Papier u.s.w. Die Menschen wissen freylich was das für eine Farbe ist die sie weiß nennen, aber wie vielen mag wohl je die reine weiße Farbe zu Gesicht gekommen seyn? Im gemeinen Leben nennen wir weiß, nicht was weiß aussieht, sondern was weiß aussehen würde wenn es dem reinen Sonnen Lichte ausgesezt wird, oder doch einem Lichte, das der Qualität nach nicht sehr von dem Sonnenlichte abweicht. Es ist mehr die Disposition zum weiß werden und weiß seyn können, in allen ihren Gradationen, was wir an den Körpern weiß nennen, als ihre reine weiße Farbe selbst. Ich halte diesen Bogen Papier z. B für weiß, in der tiefsten Dämmerung, selbst in der Nacht beym schwächsten Sternenlicht, bey Talg=, Wachs- und Lampenlicht, im höchsten Sonnenschein, in der Abendröthe, bey Schnee und Regenwetter, im Walde und im tapezierten Zimmer pp ich bin aber überzeugt, daß er den höchsten Sonnenschein, etwa auf einer Alpenspitze ausgenommen, wo man noch den Widerschein des blauen Himmels entfernt hätte, nichts weniger als weiß ist. Wir mercken dieses freylich nicht, weil in allen unsern Urtheilen die sich auf Gesichts Empfindungen gründen, Urtheil und Empfindung so zusammenwachsen, daß es uns in gewissen Jahren kaum möglich ist sie wieder zu trennen; wir glauben jeden Augenblick etwas zu empfinden was wir eigentlich blos schließen. Daher rührt es, daß die schlechten Porträtmahler die Gesichter gantz über und über mit Fleischfarbe anstreichen; sie können sich gar nicht vorstellen, daß in einem Menschen« Gesicht blaue grüne gelbe und braune Schatten seyn können, und bey ihrem Manschetten= Werck verfahren sie so sauberlich, daß man nur aus dem Ort und dem Umriß erräth, daß der Kalchfleck, den sie hingeklext haben, eine Manschette vorstellen soll. Meinem Fenster gegenüber steht ein weißer Schornstein, dessen beyden mir sichtbaren Seiten selten einerley Grad von Erleuchtung haben. Zuweilen wenn mir die eine Seite gelb | oder bläulich zu seyn scheint, frage ich Personen von übrigens sehr richtigem Verstand um die Farben des Schornsteins. Gewöhnlich ist die Antwort, er ist so weiß auf der einen Seite als auf der ändern, auf die eine scheint aber die Sonne, das macht den Unterschied. In der Camera obskura fallen die Urtheile schon richtiger aus; daher wird auch das Colorit leichter nach den Wercken großer Meister als nach der Natur studirt, weit man dort die Farbe schon vom Urtheil geschieden auf der Leinwand hat, u sie wie jeden ändern gefärbten Lappen untersuchen kan gegen allerley Licht und in allerley Neigungs Winckeln gegen dasselbe; hier aber erst Urtheil von Empfindung geschieden werden muß, das nicht jedermans Sache ist. Mit einem Wort: Weisse nennen wir die Disposition der Oberfläche eines Körpers alle Arten gefärbten lichtes gleich starck nach allen Richtungen zurückzuwerfen und ein solcher Körper erscheint auch würcklich weiß, wenn jenes gefärbte Licht, der Menge sowohl als der Beschaffenheit u In-tension nach, auf ihn fällt, in allen ändern Fällen nicht.9 Es läßt sich also fast das unendliche gegen Eins verwetten, daß ein Körper z.B. ein Bogen weißes Papier, der die Capacität zur Weisse im höchsten Grade besizt nie eigentlich weiß erscheinen werde und nie auf einem Gemählde weiß dargestellt werden dürfe. z.B. Ich schreibe jezt einem Fenster gegenüber, das nach Mitternacht sieht, der Himmel ist ziemlich heiter u mehrere Dächer, die gegen Mittag u Abend gerichtet sind, werden von der Sonne etwas | beschienen; mein Zimmer ist himmelblau tapeziert, die weiße Decke desselben wird beträchtlich durch die genüberstehende Häußer erleuchtet, was für mannigfaltiges Licht fällt nicht auf dieses Blatt? Daß aber alle die Farben dieser Gegenstände auf dem Papier liegen bedarf dünckt mich keines Beweißes. Denn, wenn ich das Zimmer gantz verfinstern und nun nach Belieben bald hier und da ein Loch in die Wand stechen könte, so würde sich auf ihm allemal die Farbe eines Gegenstandes an der Stelle zeigen, die mit dem Gegenstand und dem Loche in einer geraden Linie läge. So wie ich also, nachdem ich das Loch bald hier bald da bohrte, blaue rothe u gelbe pp Flecke auf meinem Papier hervorbringen könte, so entstehen auch die Schatten auf einem sogenannten Weißen Papier, wenn Licht abgehalten wird, das nöthig ist die sogenannte Weisse (die es aber nicht ist) hervorzubringen. - Lichtenberg an Goethe, 7. Oktober 1793, nach (mehr)

 

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