Weiden  Wahrhaftig, hatte ich nicht, mit dem untrüglichen Blick des Kinds, wenn es noch hell war auf dem Rückweg zur Mühle, undefinierbare Fasern und Klumpen im Wasser gesehen, hatte ich nicht geglaubt, Hautstücke zu sehen, noch mit Borsten bedeckt, zergehende Fleischfetzen, die in Schleim und weißgelber Fettbrühe trieben ....  ich durfte, während des Nachhausewegs, wenn ich nichts mehr sah, dem Wasser keinesfalls zu nahe kommen; mit Abscheu dachte ich daran, wie ich im Traum durch diese Lauge geschwommen war, inmitten eines Breis von organischen Resten, die bis zur Zersetzung gekocht waren, kaum neutralisiert von irgendwelchen Seifen, deren stickige Glyzerinlösungen den Lauf des beinahe siedenden Gewässers über Gebühr zu beschleunigen schienen. Und ich durfte den alten Weiden nicht zu nah kommen, welche das Öl der Fleische ausschwitzten, von denen sie sich nährten ... ich durfte den Kreis ihres maßlosen Stoffwechsels nicht berühren, ich durfte sie nicht anfassen, die alten Abdeckerweiden, denen phosphoreszierendes Leichengift aus den Blattlanzetten trat, denn sie gediehen ohne Pause, sie waren am Tod der Fauna stark geworden, so mächtig, daß sie in ihrem schwarzgrünen Glanz zu überwintern vermochten. Während mir aller übrige Pflanzenwuchs längs des Gewässers einen krankhaft übersättigten Eindruck machte - alle Vegetation erschien mir feist und phlegmatisch, überdüngt und überzüchtet, seltsam verzögert in ihrem natürlichen Prozeß im Herbst, wenn alles Kraut fetter aussah als gewöhnlich, und sich noch immer wuchernd weiterzufressen schien, obwohl sein Dunkelgrün stumpf und unsauber wirkte, so daß ich erwartete, es jeden Moment zusammenbrechen zu sehen -, glaubte ich die Weiden zu niegekannter Wildheit ausarten zu sehen: in der Dämmerung, wenn der Nebel immer dichter vom Ufer heraufkroch, schienen sie in phantastische Lebewesen verwandelt, Ausgeburten eines unberechenbar fruchtbaren Untergrunds, häßlich verkrüppelte Auswüchse, denen gerade dank ihrer Degeneration Macht und Bosheit zugefallen war. Ich sah in ihnen Gebilde, die in ihrer Fratzenhaftigkeit weder der Vegetation noch einer mir bekannten Tiergattung ganz zuzuordnen gewesen wären, ihrem Ausdruck eignete ein sonderbares Lauern, und immerfort schienen sie bereit, die Wurzeln, von denen sie mit wenig Verläßlichkeit gehalten wurden, wie Gewürm aus dem Schlamm zu ziehen, um wirr und vielfüßig zu wandeln, dem Lauf der Wasser nach, die ihnen Nahrung und Tod zugleich waren ...   - Wolfgang Hilbig, Alte Abdeckerei. Frankfurt am Main 1991

Weiden (2)

Weiden (3) Die Landschaft hatte sich auf irgendeine Weise verändert. Es lag nicht daran, daß mein erhöhter Aussichtspunkt mir einen ändern Blick eröffnet hatte — nein, es war ein ins Auge springender Wandel im Verhältnis des Zelts zu den Weiden, oder vielmehr in jenem der Weiden zu unserem Zelt! Ich war völlig sicher, daß die Weidenbüsche das Zelt nun viel enger umdrängten - unnötig, ja unbehaglich eng: sie waren nähergerücktl

Auf lautlosen Füßen, herankriechend über den wandernden Sand, näher und näher sich schiebend, unmerklich, mit leisen, langsamen Bewegungen - so waren die Weiden im Dunkel der Nacht vorgerückt gegen das Zelt! Nur: hatte der Wind sie verschoben — oder waren sie selbst es gewesen? Ich dachte an jenes Geräusch unzähliger, kleiner Schritte, an den Druck auf das Zelt und auch auf mein eigenes Herz, der mich so entsetzt aus dem Schlaf hatte auffahren machen. Und mir schwindelte plötzlich inmitten des Windes, ich begann zu schwanken wie jene Weidenbüsche.  - Algernon Blackwood, Die Weiden. In: Phantastische Träume. Hg. Franz Rottensteiner (Phantastische Bibliothek 100). Frankfurt am Main 1983

Weiden (4)  Zu beiden Seiten des Baches traten die Weiden ein Schrittchen vor, ein Schrittchen zurück, drehten sich, hatten Hüften, Bauchnabel; und eine Weide - denn selbst unter Weiden gibt es die eine Weide - war hohl hohl hohl, bis drei Tage später Amsel sie ausfüllte: hockt dicklich freundlich auf beiden Hacken, studiert das Innere einer Weide, weil Kriwe gesagt hat... Und aus der Weide heraus, in der er hockt und neugierig ist, mustert er die Weiden links und rechts des Baches aufmerksam; besonders eine dreiköpfige, die einen Fuß irn Trocknen hält und den anderen Fuß im Bach kühlt, weil der Riese Miligedo, der mit der Bleikeule, ihr vor Zeiten auf den Weidenfuß trat, wertet Amsel als Modell. Und sie hält still, obgleich es aussieht, als wolle die Weide davonlaufen, zumal nun Bodennebel - so früh ist es, ein Jahrhundert vor Schulbeginn - vom Fluß her über die Wiesen robbt und den Weiden am Bach die Rümpfe wegfrißt: bald wird nur noch der dreiköpfige Kopf der Modellstehenden auf dem Nebel schwimmen und Zwiesprache halten.  - (hundej)

 

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