eiberstrafe  Auf einem Länderstreifen, der sich von Holland und Ostfriesland bis an die Elbe und weiter über Holstein, Schleswig, Jütland bis auf die westlichen dänischen Inseln erstreckt, sind zahlreiche Moorleichen aufgefunden worden, Körper von Männern und Frauen, die allen Anzeichen nach lebend in den Sumpf versenkt wurden und offenbar Opfer vollzogener Todesstrafen geworden sind. Vielfach sind Vorrichtungen nachweisbar, welche dazu bestimmt waren, die Selbstbefreiung der Versenkten oder vielmehr die Wiederkehr der Toten zu verhindern — Spuren von Fesselung, Knüppelrosten, Grassodenschichten. Manchmal lassen Verletzungen überwundene Gegenwehr oder vorhergehende Betäubung vermuten. Die Versenkten sind meist bekleidet, manchmal aber auch nackt — dann findet sich wohl neben ihnen ein Kleiderbündel. Die Beschaffenheit der Kleider und Schuhe beweist, daß die Bestraften nicht immer Kinder der Armut waren. Aus der großen Zahl der aufgefundenen Moorleichen ergibt sich, daß die Strafe des Versenkens recht häufig angewandt worden sein muß. Unter den Versenkten sind einzelne Kinder und wohl mehr Frauen als Männer. Die Versenkung ins Moor scheint deshalb eine Vorform der Weiberstrafen einer späteren Zeit zu sein, des Ertränkens und Lebendigbegrabens. Sie mag eine Strafe an Frauen für Ehebruch und Unzucht und eine Art der »intragentilen« Strafgewalt des Hausherrn über Familie und Gesinde gewesen sein.

Soweit aber Männer versenkt wurden, mag diese Strafe einen besonders beschimpfenden Charakter gehabt haben: als Strafe für weibisches, unmännliches Verhalten. Diese Annahme wird durch das Zeugnis des Tacitus (Germania c. XII) bestätigt:

»Feiglinge, Deserteure (imbelles) und solche, die ihren Körper geschändet haben (corpore infames), versenkt man in Sumpf und Moor und breitet ein Reisiggeflecht über sie«. Unmittelbar vorher erwähnt Tacitus eine andere Gruppe germanischer Kriminalität: Verräter und Überläufer — sie werden an Bäumen erhängt. Den Ehrlosen werden also die Treulosen an die Seite gestellt, eine für das germanische Ethos kennzeichnende Einteilung und Bewertung der Verbrechen. Zum Unterschied von jenen Weiberstrafen des intragentilen Strafrechts gehören diese Männerstrafen dem »übergentilen« Strafrecht an der sich über die Sippen erhebenden Stammesgemeinschaft (civitas), genauer: dem Heeresstrafrecht.

Die Verschiedenheit der Strafen — Erhängen und Versenken — deutet Tacitus allegorisch: sie ziele darauf ab, »durch die Art der Bestrafung jene Freveltaten zur Schau zu stellen, jene Schandtaten aber zu verbergen«. Aber unentwickelten Kulturen liegt die allegorische Ausdrucksform fern, sie heischen eine massivere Deutung. Die Todesstrafen der heidnischen Germanen sind allem Anschein nach sakraler Natur gewesen, sie sind als Menschenopfer aufzufassen: der Erhängte wird Wotan, dem Sturmgott, dargebracht, der Versenkte chthonischen Gottheiten oder den Spezialdämonen dieses Opfersumpfes. Einen ausdrücklichen Beleg für die ursprüngliche Opfernatur der Todesstrafe gibt es freilich nur in einer späteren Quelle — sie weist zugleich auf eine weitere Gruppe der germanischen Kriminalität hin: die Kultverbrechen. In der Lex Frisionum (Additio sapientum tit. XI.) findet sich die folgende, noch aus heidnischer Zeit herrührende Bestimmung: »Wer einen Tempel erbricht und etwas von den Heiltümern wegschafft, wird an das Meer geführt, auf dem Strande, den in der Flutzeit das Meer bespült, werden seine Ohren geschlitzt, wird er entmannt und — offenbar durch Ertränken — den Göttern geopfert, deren Tempel er verletzt hat.« - Gustav Radbruch, Heinrich Gwinner: Geschichte des Verbrechens. Frankfurt am Main 1990 (Die Andere Bibliothek 62, zuerst 1951)

Weiberstrafe (2)
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