egschnippen
»Ich
las also ein persisches Märchen gelesen mit dem Titel Der große Schelm von
Schiraz, in dem eine Frau, die ihrem Mann Geld abknöpfen möchte, um zehn
Goldmün-zen mit ihm wettet, daß es ihr gelingen wird, mit einem Dattelkern einen
Kürbis zu treffen. Er geht auf die Wette ein, will es aber als erster versuchen.
An diesem Punkt heißt es in dem Märchen, daß der Mann den Dattelkern auf die
Spitze des Zeigefingers legt und ihn mit dem Daumen wegschnippt. Du wirst mich
fragen, warum ich dir diese Einzelheit erzähle. Ich erkläre es dir sofort. Mich
hat die Gebärde interessiert, mit der er den Dattelkern weggeschleudert hat,
denn sie entspricht genau derjenigen, die unsere jungen Burschen anwenden, wenn
sie mit Murmeln spielen - tausendfünfhundert Jahre später. Es gibt also Gebärden,
die zur menschlichen Natur gehören, so wie Fußtritte austeilen oder sich an
der Nase kratzen. Dazu gehört auch die, unsere Feinde mit einer scharfen Klinge
zu durchbohren.«
»Kardinal Ottoboni ist nicht mein Feind«, sagte der Diakon schüchtern.
Der Kardinal setzte seine Rede fort, ohne ihm zuzuhören, so als hätte er
gar nicht gesprochen. »Um diese Bewegungen auszuführen, brauchst du nicht zur
Schule zu gehen oder zu üben, denn es handelt sich um eine natürliche Gabe des
Menschen. Ich halte dir diese lange Rede, um dir zu sagen, daß du dir wegen
deiner Unerfahrenheit keine Sorgen zu machen brauchst. In Jahrhunderten, ja
in Jahrtausenden, Generation auf Generation, hat der Mensch gelernt, den Dolch
zu benützen, wenn sich die Notwendigkeit dafür ergibt. Ich habe gehört, daß
sogar die Indianer im Neuen Kontinent, die vor den Priestern fliehen wie wilde
Tiere - eine primitive Rasse voller Laster und Roheit - große Experten im Gebrauche
der Klinge sind, um ihre Mitmenschen zu töten. Und warum glaubst du verübt man
in Rom in dieser Zeit so viele Morde? Weil töten leicht ist - sogar zu leicht,
wenn man die Tatsache bedenkt, daß der größte Teil dieser Verbrechen aus unlauteren
Gründen verübt wird.« - Luigi Malerba, Die nackten Masken. Berlin 1995
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