Waterloo  Inmitten der stumpfsinnig dahintrabenden Infanteristen, der roh vorwärtsdrängenden Kürassiere und Jäger zu Pferd erscheint im zarten Mondlicht ein Geist im grauen Rock, auf einem weißen Pferdchen sitzend. Nur noch drei hohe Offiziere, die ihre finsteren Gesichter in dem ungeheuren goldgestickten Kragen verbergen, sind bei ihm. Der Kaiser ist wachsbleich, fast gelb. Er scheint wieder seine Krämpfe zu haben. Er hält sein Pferd an und krümmt sich, mit einem Griff nach dem Unterleib, im Sattel zusammen. Sein Gesicht ist feucht, es glitzert von Schweiß und Tränen. Verloren schweift sein Blick über die Gesichter der abgesessenen Reiter. Da steht Lallemand, da steht Colbert. Er erkennt sie nicht. »Wer seid ihr?« fragt er.

Colbert tritt einen Schritt vor. Er grüßt mit seiner verbundenen Hand. Das Mondlicht fällt auf sein schönes, gespanntes Gesicht. »Die Lanzenreiter Ihrer Garde, Sire.«

»Ach so, ja natürlich, die Lanzenreiter meiner Garde ... und wo ist Piré?«

Schweigen. Warum fragt er nach Piré? Zwar hat Piré noch zwei heile Regimenter, aber damit ist das Unglück doch nicht mehr aufzuhalten. Was will er nur von Piré? »Sire«, sagte Colbert mit erstickter Stimme, »wir haben keine Ahnung, er war nicht bei uns.« »Ja, ja, das ist schon richtig, aber wo ist Piré?« Aus dem Schatten, in dem die Reiter halten, ertönt ein Schluchzen, das wilde ungewohnte Schluchzen einer Männerstimme. Es ist ein Soldat, der plötzlich vom Unglück überwältigt wird. Das ist er also, der Halbgott von Austerlitz, von Jena, von Wagram! Der Kaiser blickt plötzlich, als sei er aufgewacht, Colbert scharf m die Augen und sagt: »Wer sind Sie eigentlich, Sie?«   - Friedrich Sieburg, Napoleon. Die hundert Tage. München  1966

Waterloo (2)  »Savini, Sie sind wie der«, sagte er zu mir, »der sein Haus mitten in der Ebene von Waterloo hatte, als die berühmte Schlacht von Napoleon war.«

Ich sage: »Und wie wäre der?« Und der Präfekt: »Das können Sie sich vorstellen. Als der Krieg ausbrach, schloß sich dieser Mann schnell in sein Haus ein, und er sah vom Fenster aus, wie die Armeekorps, die Dragoner, Lanzenreiter und der Troß durch seinen Garten zogen; entweder in der einen Richtung oder in der anderen, je nachdem, wer gerade der Sieger war. Und über seinen Kopf pfiffen die Kanonenkugeln hinweg. Dann lagerten sich Kürassiere in seinem Garten, und während sie aus ihren Blechnäpfen aßen, sah er, wie von hinten die Ulanen zu Pferd über sie herfielen und sie in einer halben Minute ausgerottet hatten. Und während diese schon im Abziehen waren und ihre Sä'bel in die Scheiden steckten, fallen drei oder vier Granaten, als kämen sie vom Himmel geregnet. Und viele sind tot, verletzt oder verstümmelt.

Und der kleine Mann, der in dem Haus wohnte, sagte bei sich: »Aber wer weiß, was hier geschieht. Was man heute alles im Garten zu Gesicht bekommt.«

Da er aber schüchtern und auch vorsichtig war, hatte er nicht den Mut, hinauszugehen und alle wegzujagen: Sie zertraten seine Blumen und seine Beete, hatten den Zaun umgeworren und ihre Pferde fraßen den Obstbäumen die Blätter ab. Also stand der kleine Mann halb versteckt hinter seinem Fensterladen und schaute zu, wie es ausging. Und er fragte s1ch, warum sie ausgerechnet seinen Garten wählen mußten, um zu schießen, zu schlafen, ein Feuer anzuzünden, wo es soviel Platz ringsum gab.

Der Mann wußte, daß das Dorf Waterloo war, denn er war dort geboren; aber er wußte noch nicht, daß es durch die Schlacht berühmt werden sollte. Also konnte er nicht verstehen, was passierte. Und er sah nur ein Gewirr von Uniformen und Mannschaften, denn einige schienen es sehr eilig zu haben, und sie kamen mit Geschrei und im Galopp durchgeritten; andere wieder warfen sich auf den Boden, als wären sie vor Müdigkeit schon tot; wieder andere kochten Mittagessen, und noch einmal andere, die vorher schon sauber und ordentlich vorbeigekommen waren, erkannte er wieder, wenn sie nicht besonders lustig, schmutzig und verkratzt zurückkehrten.

Und der kleine Mann sagte: ›Da sieh mal einer an! Wer weiß, hinter was sie herlaufen‹; und da er immer ein friedlicher und zurückgezogener Mensch gewesen war, hatte er keine Ahnung von den Gewohnheiten des Militärs. Und vor allem verstand er nicht, aus welchem Grund sie alle durch seinen Garten mußten.«  - (mond)

 

Schlacht Napoleon

  

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