asser, stilles  Eines Tages  vertraute sie ihnen unvermutet an, daß sie schon seit Jahr und Tag in einer französischen Lotterie eine bestimmte Nummer spiele und daß ein treuer Freund in Paris jedes Jahr den Einsatz für sie erneuere. Da könne sie einmal den Grand Prix, zehntausend Francs, gewinnen. Von da an hatten die Schwestern das Gefühl, daß die Reisetasche ihrer Köchin aus einem Stück Zauberteppich angefertigt sei; zu einem bestimmten Zeitpunkt mochte sie sich, wie in einen fliegenden Koffer, hineinsetzen und entschweben, zurück nach Paris.

Es konnte auch vorkommen, wenn Martine oder Philippa mit Babette sprachen, daß sie keine Antwort erhielten und sich fragen mußten, ob die Französin ihre Worte überhaupt gehört hatte. Oder sie fanden sie in der Küche, die Ellbogen auf dem Tisch, die Schläfen in die Hände gestützt, tief in die Lektüre eines schweren schwarzgebundenen Buchs versunken, von dem die Schwestern insgeheim argwöhnten, es müsse ein papistisches Gebetbuch sein. Zuweilen saß sie auch regungslos auf dem dreibeinigen Küchenstuhl, hatte die starken Hände in den Schoß gelegt und starrte aus weitoffenen dunklen Augen vor sich hin, rätselvoll und unheilschwanger wie eine Pythia auf dem Dreifuß. In solchen Augenblicken merkten sie, daß Babette ein tiefes Wasser war und daß im Unauslotbaren ihres Wesens Leidenschaften, Erinnerungen und Wünsche verborgen lagen, von denen sie nicht das geringste ahnen konnten.

Ein kalter kleiner Schauder überrieselte sie, und in ihrem Herzen mußten sie denken: Ob sie nicht vielleicht doch eine Petroleuse gewesen ist?  - Tania Blixen, Schicksalsanekdoten. Reinbek bei Hamburg 1988 (zuerst 1958)

 

Wasser

 

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