Wanzenmethoden    Die Wanzen haben ihre Methoden. Sie warten, bis das Licht aus ist. Dann, im Dunkeln, kommen sie angekrochen. Sie kriechen nicht in zufalliger Richtung, sondern zielbewußt auf den Hals, den sie am liebsten „mögen"; manchmal auch aufs Handgelenk; etliche ziehen Fußknöchel vor. Man weiß nicht recht, aus welchem Grunde sie den Schläfer mit jener subkutanen Injektion versehen, deren Giftwirkung beim leisesten Kratzen unerträglich wird . . . Das Jucken, von dem Amadeus erwachte, war so heftig, daß er die Kerze wieder anzündete und vor den Spiegel lief, wo er unter dem Kinn eine mit weißen Pünktchen getüpfelte Rötung zu erkennen glaubte. Oder täuschte ihn die blakende Talgleuchte, der trübe Spiegel, die eigene Schlaftrunkenheit? ... Er legte sich wieder hin, unter andauerndem Kratzen; machte dunkel .. . und nach ein paar Minuten abermals hell, da das Brennen immer peinlicher wurde; sprang zum Waschtisch, benetzte sein Schnupftuch und preßte es auf die in ihren Ausläufern nun schon bis zum Schlüsselbein reichende Entzündungsregion. Fleurissoire glaubte, eine Krankheit sei im Anzug, und betete. Neue Dunkelheit. Die Kompressenfrische verging zu rasch, als daß der Leidende hätte wieder einschlafen können. Der Nesselfieberqual gesellte sich widrige Feuchte des Hemdkragens, den jetzt auch heiße Zähren tränkten. Dann jäh, ein Aufschecken: Wanzen! es sind Wanzen! .. . Hätte ihm das nicht gleich zum Bewußtsein kommen müssen!? Aber er kannte diese Tiere nur dem Namen nach, und wie hätte er dieses undefinierbare Brennen mit einem bestimmten Stich in Verbindung bringen sollen?! Mit einem Satz war er aus den Federn, und zum drittenmal brannte die Kerze.

Unerfahren und nervös, ekelgepeitscht, doch in absoluter Verkennung der Wanzenseele, begann er den eigenen Körper nach den Tückeboldcn abzusuchen. Entdeckte nichts. Und glaubte wieder nicht gebissen, sondern von Krankheit befallen zu sein. Auch auJ den Laken nichts! Plötzlich kam ihm die Idee, unter dem Kopfpfühl nachzusehen. Und da: da gewahrte er drei schwärzliche Plättchen, die sich eiligst in eine Falte verkrochen. Das waren sie:

Er stellte den Leuchter aufs Bett, jagte fünf Stuck aus dem freigelegten Schlupfwinkel hervor, schüttelte sie — oh, nur nicht mit dem Nagel zerquetschen! — in seinem Nachttopf, schiffte sie zusammen und sah ihrem Ertrinken mit einer Grausamkeit zu, die ihn etwas munterer werden ließ. Zurück ins Bett; Licht aus. Sofortiger Wiederbeginn des Juckens. Neue Stiche, im Nacken jeczt. Verzweifelt machte er wieder Licht, stand auf und zog das Hemd aus, über dessen Kragenrand er nun etliche rosa Tüpfelchen schleichen sah, die, gegen den Kattun gemalmt, leichte Blutspuren hinterließen. Konnten diese winzigen Bestien schon Wanzen sein!? Doch erneuter Pfühlhub enthüllte ein riesenhaftes Exemplar: sicherlich die Mama. Ermutigt, angeregt, fast belustigt durchsuchte Amadeus die ganze Lagerstatt von Grund aus. Überall vermeinte er jetzt welche zu sehen; erbeutete aber im ganzen nur vier; legte sich wieder hin und hatte eine Stunde Ruhe. Dann fing das Brennen wieder an. Noch ein letztes Mal ging er auf den Kriegspfad, um schließlich, am Ende seiner Kraft, die Tiere stechen zu lassen, soviel sie wollten. Übrigens verschwand ja der Juckreiz ziemlich rasch, wenn er nur nicht hinfaßte. Als der Morgen graute, zog die feindliche Nachhut, wohlgesättigt, sich zurück. Der Reisende sank in Betäubung. Um acht kam der Kellner und weckte ihn.  - André Gide, Die Verliese des Vatikan. München 1975 (dtv 1106, zuerst 1914)

 

Methode Wanze

 

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