anderprediger   Bereits 1897 war Haeusser an einer Endocarditis und Bronchitis erkrankt, weshalb man ihn 1915 für wehruntauglich erklärte. Seit 1907 litt er zudem ständig an Rheuma, Gicht, Halsgeschwüren, Mandelentziindungen und Gelenkergüssen. Es ist anzunehmen, daß diese Krankheiten vor allem psychosomatischer Natur waren. Seit 1918 ging es mit seiner Gesundheit kontinuierlich bergab. Regelmäßig laborierte er an Knieergüssen, eine Folge seines entbehrungsreichen Wanderlebens. Oft hatte er, wenn er von Vorträgen durchnäßt und verschwitzt war, bei Eis und Schnee im Graben der Landstraße genächtigt, so daß ihm die durchgeschwitzten Kleider am Körper festfroren.

Im Gefängnis verschlimmerten sich seine Leiden rapide. Bereits kurz nach seiner Verurteilung verweigerte er die Nahrungsaufnahme, da ihm der »Druck des Gemüts« den Magen verschließe und nimmt nur noch Flüssigkeit in Form seines eigenen Spermas und Urins auf. Es treten psychosomatisch bedingte Gehstörungen auf, die in völlige Lähmung übergehen. Der Arzt diagnostiziert »hysterischen Stupor«. Seine ausweglose Lage läßt ihn in immer tiefere Depressionen sinken. Der psychische Verfall äußert sich in einer nun auftretenden irreversiblen Zerfahrenheit. Er sieht sich als das »Lamm Gottes, das die Sünden der Welt trägt« und aufgrund der Lauheit seiner Anhänger »den Händen der Sünder überantwortet« und »zum Tode verurteilt« sei.

Im Oktober 1923 gerät er in Lebensgefahr und muß ins Gefängnislazarett eingeliefert werden, wo er insbesondere wegen akuter Herzschwäche, Lähmungserscheinungen und Gelenkerkrankungen behandelt werden muß. Haftverschonungen, Krankenhaus- und Sanatoriumsaufenthalte, aber auch erneute Verhaftungen und zusätzliche Verurteilungen erfolgen.

Im August 1924 bringt seine Frau die Tochter Louisegott Emmanuella Dieudonnée Christophorosa zur Welt; das Kind stirbt im Februar 1925; der in Vechta inhaftierte Vater hat es nie zu Gesicht bekommen. Bei der Weihnachtsamnestie 1924, durch die zum Beispiel Hitler und der Anarchist Erich Mühsam freikommen, wird er übergangen. - Ulrich Linse,  Barfüßige Propheten. Berlin 1983

Wanderprediger (2)

Wanderprediger (3)  Meine Brüder gingen oft zu diesen religiösen Versammlungen und halfen manchem unschuldigen Mädchen, das sich mit all dem Gewäsch von Sünde und Hurerei und Fleischeslust in einen religiösen Anfall hineingesteigert hatte, und brachten es wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Sie erzählten, daß so ein Prediger einen richtig aufgeilt, wenn man ihm zuhört, wie er über alle diese Schlingen und Fallen des weichlichen, verführerischen Fleisches der Lust und von all diesen Orgien sprach, die er aus der Bibel zitierte. Und er erklärte sehr genau, wie es zu Sodom und Gomorrha kam. Tom sagte: „Er bringt das viel besser, als wenn wir uns im Laden darüber unterhalten."    - Nell Kimball, Madame - Meine Mädchen, meine Häuser. Hg. Stephen Longstreet. Frankfurt am Main, Wien und Berlin 1982 (entst. ca. 1917-1932)
 

 

Wanderer Prediger

 

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