aldmann   Der Schrat ist Kobold und Waldgeist. Wie alle Elbe streben die Waldfrauen nach der Verbindung mit sterblichen Männern, den Waldmann verlangt nach schönen, christlichen Frauen. Die Waldgeister rauben kleine Kinder oder ziehen sie an sich und töten sie; oft sieht man die Geraubten grüngekleidet in ihrer Gesellschaft. Der den Wald erfüllende Nebel oder weiße, an den Bergen hängende Wölkchen gelten als die Wäsche der Waldfrauen. - (her)

Waldmann (2) Anfangs dachte Ich ja, er sei ein netter Kerl, aber als er mir eine Geschichte nach der anderen erzählte, da weiß man ja nicht, woran man sich halten soll. Und nun, da er ein so unglaubwürdiges Ende genommen hat, könnte das alles auch noch wahr gewesen sein. Daß er im Wald gelebt hat, hast Du ja schon einmal berichtet; er hat mir davon weiter nichts erzählt, nur wie er sich mit alten aber noch tauglichen Transistorbatterien ein Licht gemacht habe und wie groß seine Höhle gewesen sei und daß die Spaziergänger, die darüber gingen, nichts merkten. Ich erinnere mich an die Geste, mit der er sagte, daß Brot und Wurst und Konserven oft schachtelweise auf einen Müllplatz geworfen wurden, von dem er sie holte, der war 150 Meter von seiner Behausung entfernt. Ich fand, das anfangs interessant, als ich aber merkte, wie ich in jede leere Konservenbüchse guckte, ob auch ja nichts mehr drinnen sei, dachte ich mir, hopla Ilona, paß auf. Einmal erzählte er mir, daß er sich im Keller seiner Schwester versteckt habe, weil in der Kasse des Geschäfts, in dem er arbeitete, ein Fehlbetrag von 20 000 Mark festgestellt worden war. Er habe in dem Keller ohne Bücher und Zeitungen gelebt und ihn in all den Jahren niemals verlassen. Seine einzige Verbindung zur Außenwelt sei ein Radio und seine Schwester, ein ungebildetes Milchmädchen, gewesen. Seine Schwester sei im Sommer an einem Herzanfall gestorben. Daraufhin sei er in die Wälder geflohen, wo er sich die Hütte gebaut habe. Als ihm bei Anbruch der kalten Jahreszeit die Wölfe zu schaffen machten, habe er sich den Behörden gestellt. Von rechtlichen Schritten sei abgesehen worden, weil er ein schwergeprüfter Mann sei. Ich lachte damals, als er mir das In Tenerlffa erzählte, weil es doch bei uns keine Wölfe mehr gibt; las aber gestern in der Zeitung, daß ein amerikanischer Wissenschaftler im Bayerischen Wald das Sozialverhalten yon Wölfen studiere. Aber dagegen spricht nun wieder, daß letzte Woche Grzlmek im Fernsehen sagte, daß aus dem 300 Jahre sehr gründlich geführtem preußischen Archiv von keinem einzigen Fall, da ein Wolf Menschen angegriffen habe, geschrieben stehe. Du siehst, daß ich mit den Lügen dieses Mannes nicht fertig werde. Einmal fragte er mich, in Icod, dort ist der uralte Drachenbaum, ob ich jemals einen jungen Albatros in seinem Nest sitzen gesehen habe. Neulich hörte ich, daß ein Landtagsabgeordneter die Leiche eines offenbar längere Zeit auf einem Jägerstand hausenden Mannes gefunden hat. Da über seinen Kopf ein Plastiksack gestülpt war. Daneben habe man eine Gasflasche gefunden. Doch frage ich, ob den Kocher nicht eine Elster weggetragen haben kann und die Tüte nur als Schutzvorrichtung gegen den Regen diente. Leere Konservenbüchsen ließen darauf schließen, daß er ein längeres Einsiedlerdasein auf dem Hochsitz geführt habe, das mag sein, doch daß er sich mittels eines Gummischläuchleins vergiftet habe, bezweifle ich entschieden. Selbstmord käme bei ihm nie in Frage, hat er mir versichert, wenngleich sein Unterfangen auf Teneriffa danach aussieht; doch bin ich überzeugt, daß er eine Chance sah und in einem schönen Traum bin ich sogar mit ihm übers Eis gewandert, es gab zwar eine Menge Mücken, aber die Sonne ging nicht unter. Das begann so, ich schlief, da vernahm ich seine Stimme: Seit ich weiß, daß die Kinder, die unter der Obhut einer Großmutter aufwachsen, kontaktfreudiger, selbständiger und widerstandsfähiger sind als andere, spreche ich zwar mehr Leute an, habe mich aber in diese Lage gebracht. Und ich bin sicher, daß ich in die Karibische See gelange, ja in den Golfstrom, der mich nach Grönland triftet. Dann sah ich ihn im tiefen grünen Wasser des Fjords, es dürfte + i° Celsius haben und in wenigen Minuten zum Tod führen; grün ist das Land und die Berge zu beiden Seiten, überall schimmern von der Sonne in einen matten grünen Glanz getaucht weite Flachen von Flechten. Da geschieht schon das Unglaubliche, auf einem kleinen Kutter drängen Sommergäste nach Backbord, ein paar Grönländer stehen an der Kaimauer und diskutieren lebhaft. Aufgeregt zeigen die kleinen dunklen Gestalten aufs Wasser. Dort schwimmt tatsächlich quietschvergnügt ein Mann. Ein Mann mit einem blonden Schöpf und einem knallroten Gesicht. Der Schiffer hat die Situation sofort erfaßt. Blitzschnell sitzt er in einer kleinen Jolle und rudert ihm entgegen, treibt ihn, unaufhörlich fluchend an den kleinen Steg und zwingt Ihn, an Land zu steigen. Aufgeregt kehrt er zu seinem Kutter zurück. Seine Passaschiere bilden einen Kreis um ihn und verlangen Aufklärung. Ein betrunkener Isländer, keucht er. Der hatte sich den Tod holen können, murmelt er und schaut noch einmal zu ihm hinüber, der sich seelenruhig die Sachen anzieht, die man ihm gegeben hat und folgt in einen kleinen Barackenraum mit alten Feldbetten, aber fluchend nur damit beschäftigt, wo denn In aller Welt seine Badehose hingekommen sei, ein schönes Stück von braunem Frottee, das er sich auf Teneriffa von mir ausgeliehen, als an unseren kleinen Strand, wo wir nackt badeten, von einem jungen Kerl, der bayerisch sprach, eine Deutsche die unzähligen Stufen der Küste heruntergeführt wurde, die ein lahmes Bein hatte und einen Brotbeutel mit sich trug.

Ebenfalls auf dem Jägerstand lagen eine alte Armeepistole, mehrere Morphiumampullen und eine Spritze. Ob er rauschgiftsüchtig gewesen sei, hätte man an dem Skelett nicht mehr feststellen können. Das Morphium könnte auch von einem Einbruch stammen, was glatt aus der Luft gegriffen ist; denn von Einbruchsdelikten war zwischen uns nie die Rede. Er hat mir zwar versichert, mit seiner Frau Schwierigkeiten zu haben, aber zum Stehlen hat es bei ihm nicht gereicht. Ich fragte ihn einmal, wie zu alldem seine Frau stünde. Er sagte: Für sie ist Renate das Ehehindernis. Von dir hat sie keine Ahnung. Er hat mir erzählt, daß er Renate nach Machtlfing fuhr, vor Andechs in einen Feldweg einbog, Renate auf die Hügel aufmerksam machte, auf das Gras, die Waldränder, Bachufer, Hügelkuppen, Seeufer, Talsäume, aus der optischen und klimatischen Spannung ihrer Grenzzonen sich der erholsame Reiz ergibt, wie er mir versicherte, und während sie sich zu ihrer Handtasche wandte, für die Begattung, die sie wohl unter den Bäumen des Hügels erwartete, nach einem Tuch kramte, sich dann den Schoß abzuwischen, schoß er sie in den Rücken, gab drei weitere Schüsse auf sie ab, von denen jeder für sie tödlich sein mußte. Er hob unter den Bäumen eine Grube aus, denn er war auf den Moränenhügel als Versteck für die Leiche verfallen. Dann erschien ihm jedoch das Versteck nicht als sicher genug. Er ist, nachdem er Renate getötet, was ich Dir eigentlich sehr gerne schreibe, lange mit der Leiche im Kofferraum rumgefahren, auch zum Kleinen See gefahren, ein letztes Stück mußte er sie durch den Wald tragen, aber der See hatte noch eine dicke Eisdecke und ein Loch hineinzuschlagen wäre zu auffällig gewesen, kam er verschiedentlich zu mir und erzählte mir im Bett das Verbrechen - ich glaubte natürlich kein Wort - aber, gestand er mir, er hatte eine intensivere Beziehung zu mir und er war tatsächlich in den Hüften nicht ganz so verkrampft auf sein Glück aus wie sonst.

Eine andere Geschichte ist es mit seiner Schriftstellerei; ich weiß, daß er nicht weiter wußte und ins Haus seiner Großmutter zurückging, das provokativ, seine Bezeichnung, ultramarinblaue Fensterläden hatte, und auf den 14 Tagwerk Feldern arbeitete, noch ein Kind machte und Kartoffeln erntete, im Winter in der Stadt arbeitete und so mit der ganzen Familie in die AOK kam, sie immer noch kein Elektrisches hatten. Sonntag vormittag saß er vorm Hasenstall oder Matthias kam mit seiner Häsin und sie ließen sie in den Stall seines Haserers. Weiß ich, daß er dann im Wald zu wenig Brennmaterial für den Winter zusammenstahl. Dann wuchs Gras auf dem Aushuh am Hang, in dem er eine Wasserader für seinen Haushalt vermutet hatte. Matthias kaufte ihm die Hasen ab. Er ging wieder zu Res, ihre Brust war hart wie ein Kasten Bier geworden, wie er sich ausgedrückt hat. Er bekam im E-Werk Arbeit; weiß ich, daß er mit der Familie ins E-Werk zog, wo sie elektrisches Licht, Radio, Fernseher, Kühlschrank hatten. Die Egge, sagte er, habe ich verkauft. Und man ihm das Schweißen beigebracht habe. Res hat ihren Mann soweit gebracht, daß sie in das Haus neben dem E-Werk gezogen sind und er über Mittag zu Res hat hinüberspringen können. Aber die Geschichte ist ja noch viel älter; so viel ich weiß, ist er, nachdem er von der Gegend weggegangen war, zurückgekommen und hat ihr einen Heiratsantrag gemacht. Da muß sie gelacht und gesagt haben: Ich mag doch keinen Mann, der keine Zähne hat. Und wie er dann mit 4 Goldzähnen zurückkam, hat das ganze Dorf gelacht und zum Dank für diese Abfuhr soll er ihnen das Schaschlik gelernt haben, wie man das macht. Was, soll er gesagt haben, ihr kennt kein Schaschlik? Wir machen heute ein Schaschlikessen, soll er gesagt haben und in die Küche gegangen sein, so jedenfalls hat es mir die Gusti auf Teneriffa erzählt, ist in die Küche gegangen und hat die Anordnungen gegeben. Res soll damals  dabei  gewesen sein, ihr Bruder Ludwig und ihr Mann. Ludwig soll, wie jetzt Gusti zugab, soll gesagt haben: Den schlagen wir jetzt richtig, und erst dann sei Karl aufgesprungen. Ich behaupte heute, daß Karl nicht auf das Mädchen von Res geschossen hat, das ist nichts als ein Warnschuß gewesen, der schießt doch nicht auf sein eigenes Kind! Und bei der Verhandlung hat er ja auch mit Recht gesagt: Ich schieße doch nicht auf einen Menschen, das ist doch Wahnsinn. Karl hätte Res geheiratet, das weiß ich. Hätte er sich hinstellen und verdreschen lassen sollen? Ein schlauer Kopf, der er gewesen ist, ist er weggerannt. Und als er aus der Wirtstube hinaus war, haben sie ihm den Hund eines gewissen Max nachgehetzt, da ist er in die Tankstelle eines Franz, ich müßte erst nachforschen, ob damit ein Bruder Ludwigs gemeint sein kann, wo er an der Wand dessen Jagdgewehr gesehen hat. Das war Liebe! Pack sie doch, habe ich ihm nachträglich den guten Rat gegeben und hau ab mit ihr! Aber dieser Teufel ist ja so stolz gewesen. In der Tankstelle nimmt er das Gewehr von der Wand und läßt einen Schuß in die Nacht hinaus und sagt vor Gericht: Ich habe geglaubt, mich trifft der Schlag, wie ich das Mädchen schreien hörte, und ganz richtig hat das  Gericht gesagt,  daß  er um  die Durchschlagskraft von so einer Waffe wissen hätte müssen und daß er deshalb in Kauf genommen hat, daß jemand durch das  Gewehr   zu Tode  kommen  kann.   Die 4000 Mark Schmerzensgeld, die er zahlen hat müssen, werden der Familie gepaßt haben. Ludwig hat er gemeint, wird das seine davon schon bekommen haben, aber er machte keinen verbitterten Eindruck. Er hat es ausgesprochen als Glück bezeichnet, daß die Kugel neben der Wirbelsäule ins Genick traf und 3 Zentimeter unterm rechten Ohr wieder austrat. Als er spater wieder in der Nähe von Res lebte, starb deren Mann, der buchstäblich im Bett verfault sein muß. Res, rief er, Res, bring mir ein Bier. Res, schimpfte er, ein Bier! Res! brüllte er, hilf mir! Res! er warf den Nachttopf an die Tür. Dann weinte er laut kruzifixsakra-ment kruzifix Hund angenagelter, Rest Ja, rief sie, scheißen werde ich doch noch dürfen, was willst denn? da hast dein Bier. Zu Karl habe sie gesagt, daß ihr so grause und kein Essen mehr schmecke. Dann starb er, und als sich Karl dachte, daß es jetzt mit Res einen freien Lauf hat, da merkte er, wie sie gealtert war. Natürlich hat er auch mich stehen lassen, unvergleichlich der Abend, da er sich an ein dickes Buch von Haeckel erinnerte, in dem viele Quallen aufgezeichnet seien, die er mir zum Studium empfahl. Am nächsten Morgen, es war noch sehr früh, da noch keine Wolken um das Massiv des Teide entstanden, erging er sich allein auf der Veranda, als Peter und Gusti kamen und er ihnen bekannt gegeben haben soll, daß ich krank sei. Gusti gab einen Ton des Bedauerns von sich, sagte Peter. Gott sei Dank, sie ist krank geworden, und ich werde nicht mehr in allem, was ich Lust habe zu tun, gehindert durch ihre Vorhaltungen. Eine Stille, daß man eine Ameise hätte laufen hören können, folgte diesem Ausbruch, sagte Peter. Sogar die Arbeiter, die seit Tagen die Veranda ausbesserten, verhielten sich regungslos. Als er schließlich ganz nah an dem Bassin betrachtet hatte, was es darin Betrachtenswertes gab, zuckte er die Achseln. Es war ihm wohl gleichgültig, daß ihn niemand schätzte und alle wußten, daß er nur sich selbst Ziel und Ende war. Katholische Majestät, soll Peter geflüstert haben. Und erst später merkten wir, wozu das der Auftakt war. Wenn ich so dasitze und über ihn schreibe, merke ich, wie ich immer noch in Gefahr bin, ihm hörig zu sein, und vorerst bin ich unfähig, mehr zu Deinem Beitrag beizusteuern; wie das alles zu bewerten ist, müßte man wohl ohnedies einem Arzt überlassen. Und, darf ich Dir zum Schluß gestehen, daß ich das alles nicht mehr so albern finde, etwa, daß sich seine Frau von ihm trennte, und zwar nach dem Zerrüttungsprinzip, weil er, sooft er mit ihr an der Kaiserstraße in München vorüberkam, sagte, daß er hier, abgesehen von den Heimen, seine frühste Kindheit verbrachte, daß er im Kino nicht neben mir sitzen wollte, weil er im Luftschutzkeller auch unter fremden Menschen saß, obwohl seine Großmutter bei ihm war, bitte sitz hinten^ sagte er, sooft wir in Peters Auto fuhren, daß er vor einer Obstverkäuferin Angst hatte, weil sie ihn einmal als hirnlos bezeichnete, da er unversehens vor den noch gar nicht aufs Trottoir getragenen Obststeigen ausspuckte, wie man nur vor einem Kolonialwarengeschäft ausspucken könne, sagte sie, ja, daß er schließlich nur deshalb mit nach Teneriffa flog, weil ich Ihm ein Paar leichter Wanderschuhe von meiner Mutter zeigte, deren helle Kreppsohle schwarz war von der vulkanischen Erde auf Teneriffa; also, ich finde das alles gar nicht mehr so albern, erinnere ich mich doch an eine Geschichte meiner Großmutter, die für ihre 3 Kinder Brot gestohlen hatte und auf die der Bäcker den Gendarm hetzte, die sich rechtfertigte, drei nackte frierende Kinder hinterm Herd zu haben, so daß die Angaben zu überprüfen sie der Gendarm nachhause begleitete und tatsächlich drei Kinder fand, die froren. Wo ist euer Vater, fragte er sie. Hinter der Tür. Er schloß die Tür und erblickte den Vater, der sich aufgehängt hatte. - Herbert Achternbusch, L'État c'est moi. Frankfurt am Main  1972


Waldmenschen Mann

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