Wahnsinn, redender    Der Wahnsinn existiert also zusammen mit der verwickelten Verschwörung der Vernunft, und die Rede des Wahnsinns verschmäht es nicht, die methodischen Vorsichten der konfiszierten Sympathie, die Einflüsterungen der Verführung und sogar das billige Augenzwinkern des Bordellbesuchers zu benützen - eines Bordells der Syllogismen natürlich.

Ich möchte nun aber nicht, daß dir bei der Rede des Wahnsinns etwas Neues und für mein und vielleicht auch dein Gefühl, wenn du gut achtgibst, ungemein Aufregendes entgeht. Es handelt sich in der Tat um dieses: während die Reden des Schlafs, des Wachschlafs und des Deliriums in bezug auf die Bedeutung peripher waren, kann man die Rede des Wahnsinns gerade deshalb ungestraft so definieren, weil sie mit der Sucht nach Bedeutung zu tun hat. Kurzum: obwohl die Rede des Wahnsinns - wie jede andere Rede, die ihr vorausging und vermutlich auch jede, die ihr noch folgt - keine Bedeutung beherbergt, hat dieses Fehlen von Bedeutung dennoch mit der Bedeutung zu tun; kurzum, die wahnsinnige Rede besitzt das, was die Professoren »Inhalt« nennen, und es wird wohl wahr sein, daß dieser Inhalt mit Nichts verseucht ist, ebenso wie es wahr sein wird, daß dieses Nichts, das ihn verseucht, irgendwie seinerseits, wie wir schon sagten, von der Verschwiegenheit verseucht ist. Kurzum: besagte Rede bedeutet nichts, obwohl sie mit der Bedeutung zu tun hat; und in der Tat, wenn du mit jener Sorgfalt zuhörst, die dir aus dem Bewußtsein erwächst, daß dein Hören nicht als unverzichtbarer Teil der stimmlichkeit vorgesehen ist, dann wirst du bemerken, daß die Stimmen, auch wenn sie niemals auch nur die bruchstückhafte Anmut einer Silbe, geschweige denn die kleinliche Würde eines Worts erreichen, in diesem ganzen Gefieber von Stillen und Ausrufen und Fragen hartnäckig darauf bestehen, etwas zu sagen - was von einem didaskalischen Standpunkt aus wirklich kurios erscheint, auch wenn es in keiner Weise möglich wäre, mit besagtem Sermon eine tägliche und sinnvolle Zusammenarbeit herbeizuführen, mit anderen Worten das Ende der nächtlichen Sprache, die ja die einzige Sprache ist, die uns bei dieser Rast zu kennen erlaubt ist, auch wenn diese Sprache unzählige Eigenschaften oder wenigstens Verhaltensweisen zeigt, die es gestatten, sie mit analytischer Behutsamkeit zu behandeln. Man beachte weiter, daß die Rede des Wahnsinns Raum für zahlreiche rhetorische Finessen bietet, wie etwa die Anapher, den Chiasmus, das Oxymoron, das Homöoteleuton, ja sogar die Tmesis, was gar nicht möglich erscheint, da es sich um das Zerbrechen eines Worts in einer Rede handelt, in der es gar keine Wörter gibt, aber vielleicht, wie ein plötzliches Auftauchen einer Versuchung im Bereich eines präverbalen Zustands, ein Beharren des Begriffs »Neuer Absatz« in einer Rede ohne Pausen - ungefähr so wie gewisse wiederholte wenn auch gänzlich unsinnige Kadenzen wie etwa H, ), + den melancholischen Liebreiz eines schicklich gefühlvollen Reims besitzen.  - Giorgio Manganelli, Geräusche oder Stimmen. Berlin 1989
 

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