Waffenschmiede   Der Name trügt, der Ur-Steiermann wanderte zwar wie viele Industrielle einmal vom Norden her in unser Land ein, doch schon um das Jahr 1191, als ein süddeutscher Herzog auf den boshaften Einfall kam, unsere heutige Bundeshauptstadt zu gründen. Der Einfall hatte bekanntlich Erfolg, und die Steiermanns sind Urschweizer. Was nun den Gründer des Geschlechts betrifft, Jakobus Steiermann, so zählte er zu den Galgenvögeln aller Art und Stände, die sich im Raubkaff auf dem Felsen über dem grünen Fluß einnisteten (damals vier tüchtige Tagesmärsche von uns entfernt), ein aus dem Elsaß entwichener Krimineller, der auf diese Weise seinen Kopf vor dem Straßburger Henker in Sicherheit bringen konnte und sich in der neuen Vaterstadt zuerst als Landsknecht betätigte, später jedoch den Beruf eines Waffenschmieds ergriff, ein wilder, verrußter Geselle. Mit der blutigen Geschichte dieser Stadt bleiben denn auch die Steiermanns durch Jahrhunderte zäh verbunden, als Waffenschmiede verfertigten sie die einheimischen Hellebarden, mit denen man in Laupen und St. Jakob drosch, und zwar nach dem Standardmodell des Adrian Steiermann (1212-1255). Auch das verbriefte Privileg, für sämtliche süddeutschen Bistümer Richtbeile und Folterwerkzeuge herzustellen, besaß die Familie. Es ging steil aufwärts, die Schmiede in der Kesslergasse kam zu Klang und Namen. Schon der Sohn Adrians, der glatzköpfige Berthold Steiermann der Erste (der Berthold Schwarz der Sage?) machte sich daran, Feuerwaffen herzustellen. Noch berühmter Bertholds Urenkel, Jakobus der Dritte (1470-1517). Er baute so berühmte Geschütze wie die >Vier Evangelien<, den >Großen Psalter« und den >Gelben Urian<. Mit ihm wurde eine Kanonengießertradition weitergeführt, mit der zwar sein Sohn Berthold der Vierte jäh brach, als Wiedertäufer verfertigte er nur noch Pflüge, doch schon sein Sohn Jakobus der Vierte nahm die Kanonengießerei wieder auf, konstruierte die erste Granate, die ihn und die Kanone beim Abfeuern freilich zerfetzte. Das die eigentliche Urgeschichte. Plastisch, relativ ehrbar, auch politisch erfolgreich, ein Schultheiß, zwei Säckelmeister, ein Landvogt. In den späteren Jahrhunderten entwickelte sich aus der Waffenschmiede allmählich ein modernes Industrieunternehmen. Die Familiengeschichte wird verwickelter, die Motive beginnen sich zu verbergen, die Fäden werden unsichtbar gesponnen, zu den nationalen kommen internationale Gesichtspunkte und Verbindungen. Man verlor an Farbe, gewann jedoch an Organisation, besonders als in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ein später Nachkomme des Ur-Steiermanns in den Osten unseres Landes zog. Dieser Heinrich Steiermann (1799—1877) ist denn auch als der Gründer der eigentlichen Maschinen- und Waffenfabrik Trog zu betrachten, die unter seinem ersten Enkel James (1869-1909) und besonders unter seinem zweiten Enkel Gabriel (1871-1949) aufblühte. Nicht mehr als Maschinen- und Waffenfabrik Trog freilich, sondern als Hilfswerkstätte Trog AG, lernte doch 1891 der zweiundzwanzigjahrige James Steiermann die damals einundsiebzigjährige englische Krankenpflegerin Florence Nightingale kennen, unter deren Einfluß er die Waffenfabrik in eine >Hilfswerkstätte< für Prothesen umwandelte, nach seinem frühen Tod baute sein Bruder Gabriel weiter aus, stellte jegliche nur denkbare Art von Prothesen her, Hand-, Arm-, Fuß-, Beinprothesen, heute versorgt die Hilfswerkstätte den Weltmarkt auch mit Endoprothesen (künstliche Hüften, Gelenke usw.) und mit extrakorporellen Prothesen (künstliche Nieren, Lungen). Den Weltmarkt: der Ausdruck ist nicht übertrieben. Erzielt durch hartnäckige Leistung, durch Qualität, doch vor allem durch entschlossenes Ausnützen der Lage durch den rücksichtslosen Ankauf aller ausländischen Prothesenhersteller (meist Kleinbetriebe). Diese neue Generation begriff die Möglichkeiten, welche die Neutralität unseres Staates einem Prothesenfabrikanten bietet, als die Freiheit nämlich, gleich alle Parteien zu beliefern, Sieger und Besiegte im Ersten und Zweiten Weltkrieg, Regierungstruppen, Partisanen und Rebellen heute. Ihre Devise: »Steiermann für die Opfer«, wenn sich auch unter Lüdewitz die Produktion der Hilfswerkstätte heute wieder dem ursprünglichen Charakter nähert, der Begriff Prothese ist dehnbar. Der Mensch sucht sich gegen einen Schlag unwillkürlich mit der Hand zu schützen, ein Schild ist damit eine Prothese der Hand, auch ein Stein, den er wirft, eine Prothese der geballten Hand, der Faust; diese Dialektik einmal begriffen, fällt auch die Waffenproduktion, welche die Hilfswerkstätte wiederaufgenommen hat, durchaus unter den Begriff Prothese: Panzer, Maschinenpistolen und Geschütze können als eine Weiterentwicklung der Handprothese gelten.    - Friedrich Dürrenmatt, Justiz. Zürich 1987
 

Schmied Waffe

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