Vortragskünstler  War ich schon so durstig wie ein Araber, fühlte ich mich auch genau so kampfeslüstern. An einem Abend im Frühherbst fuhren Gala und ich nach Barcelona. Man hatte mich eingeladen, einen Vortrag zu halten, und ich hatte mir vorgenommen, mein rhetorisches Talent zu erproben und ein für allemal zu testen, ob ich fähig sei, eine Zuhörerschaft aufzuwühlen. Mein Vortrag fand im Ateneo Barcelonas statt, dem traditionsreichsten und imposantesten geistigen Zentrum der Stadt, und ich beschloß, die einheimischen Intellektuellen, die damals in grenzenlos philiströsem Lokalpatriotismus dahinvegetierten, mit äußerster Heftigkeit zu attackieren. Vorsätzlich traf ich eine halbe Stunde zu spät ein und sah mich sogleich einem Publikum gegenüber, das vor lauter Warten und Neugier aufs höchste erregt war, also in der richtigen Verfassung.

Mit einer kurzen, tönenden Lobrede auf den Marquis de Sade kam ich gleich auf das Thema meiner Rede zu sprechen. Ich kontrastierte ihn mit der entwürdigenden intellektuellen Schande eines Angel Guimerá, der ein paar Jahre zuvor verstorben war, einer der am meisten verehrten und geachteten patriotischen katalanischen Schriftsteller. An einem Höhepunkt meiner Rede sagte ich mit dramatischer Emphase: »Dieser Erzpäderast, diese ungeheure, haarige Fäulnis, Angel Guimerá...« In diesem Augenblick war mir klar, daß mein Vortrag zu Ende war. Die Zuhörer wurden völlig hysterisch. Man bewarf mich mit Stühlen und hätte mich sicher zu Brei geschlagen, wenn die Saalwächter mich nicht vor der Wut der Menge geschützt hätten. Von Wächtern umringt wurde ich bis auf die Straße eskortiert und in ein Taxi gesteckt. »Sie sind sehr mutig«, sagte einer von ihnen zu mir. Ich glaube, daß ich mich bei dieser Gelegenheit eigentlich ganz kühl verhielt und daß vielmehr die Wächter wirklich Mut zeigten, denn sie bekamen die mir zugedachten Schläge zu spüren.   - (dali)

 

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