Vorstadt-Rummel    Die Bewohner dieser Hades-Vorstädte lieben keine dauerhafte Gesellschaft; sie sind Eigenbrötler, nicht aus Verbitterung, sondern aus Sammlung; sie erdulden wohl kurze Gespräche, leise wie im Halbschlaf; sie kennen voneinander nicht die Namen, und nicht selten vergessen sie bald ihren eignen: so fremd ist ihnen jede Absicht auf Wortzärtlichkeit, so feindlich sind sie dem stimmlichen Genius. Dennoch sind auf einigen weniger unwirtlichen Geländen örtlichkeiten entstanden, geeignet zu flüchtigen Zusammenkünften: zum Verweilen, wenige Augenblicke lang, höchstens ein Stunde. Die Vorstadtbewohner finden sich dort ein zu kurzen Spielen; halten einander eine verschiedene Anzahl von Fingern entgegen beim Hinstrecken der Hände, oder benützen gezeichnete Steine als Würfel, oder spielen auch mit gewissen ungepaarten und abgenützten Karten. Sie spielen ohne Wohlgefallen, ohne Zorn, mit verbissener Traurigkeit; und sie fluchen nicht, erregen sich nicht, tun hingegen alles mit melancholischem Ernst, nur spärlich gemildert von einem Blinken der Augen, der Gesten. Es ist zu bezweifeln, ob man diesen Zeitvertreib, diese Spielchen, diese Ausbrüche einer sonst keineswegs verbissenen und verschlossenen Stimmung als Vergnügung ansehen soll; und obgleich es sich in der solipsistischen Sprache der Unterweltlichen eingebürgert hat, diesen Stätten den Namen ›Rummelplatz‹ zu verleihen, ist es vielleicht nicht unvernünftig, eine andere, gewagtere Meinung vorzubringen: daß dieses Fingerwerfen, Steinewürfeln, Kartenspiel und Glückversuchen nichts anderes sei als eine versteckte Form des Gottesdienstes. In der Tat: wenn die Unterweltlichen in den Vorstädten eintreffen, entledigen sie sich in Kürze aller liturgischen Rückstände, daher läßt man, wie erinnerlich, diese Barockerien der Kirchen verkommen wie alte Nutten; daher der Verkehr mit dem bevorstehenden und trügerischen Hades; die augenzwinkernde Einsamkeit; die tote und drückende Luft; die unterirdischen Aufwinde der eingeschmuggelten Gottheiten; die Erinnerung an den großen Flug; der Drang nach Ekstase; die Sucht nach dem letzten Abstieg, nach Abwärtsentrückung, nach dem Abwärts, das kein weiteres Abwärts mehr kennt, in dem sich jedes mögliche Abwärts summiert; all dies treibt sie dazu, neue gottesdienstliche Betätschelungen auszuhecken; womit, das wissen sie selber nicht. Sie sagen: mit dem Gekröse der Welt; andre sagen: mit dem Atem dieses Gekröses, und sie meinen damit etwas Düsteres und Schmutziges; wieder andere: mit dem explikativen Exkrement; noch andre: mit der hermaphroditischen Schleimhaut; und schließlich: mit dem Abwasser des Lichts. Frei von diesen Jammerübungen, den anmaßenden Litanei-und Gebetsverhandlungen, den schmählichen Bittgesuchen, unfähig, die Härte der magren Kniescheiben in Anbetung der Himmelsfeistigkeiten abzunutzen, und schließlich vom Licht ihrer eigenen Würde aufgeklärt, haben sie dieses schlichte und würdige Ritual sich erfunden - sofern ein so zweideutiges Wort taugt, um eine Handlung zu bezeichnen, die so frei ist von geheimen, kritiklosen Umarmungen mit dem Göttlichen. Denn sofern dieses ein großer Widder wäre, wie man manchmal behauptet, so würden sie ihn auf die Probe stellen, indem sie ihn unter den Achseln hochreißen, um ihm die alberne und prophetische Lache zu entreißen; sofern er Stier wäre, würden sie ihn zum Beschälplatz führen, um seiner verliebten Ungebärdigkeit über gemeinnützigen Kühen Rechnung zu tragen.    - (nieder)
 

Vorstadt

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