orleser Der König bestellte einen sogenannten gelehrten Vorleser, der die Neuigkeiten aus den Zeitungen zum Besten geben, sich selbst aber zur Zielscheibe des Witzes hergeben mußte.

Die Namen der nach und nach bestellten Vorleser, die man Gelehrte nannte, sind nicht werth, der Nachwelt aufbewahrt zu werden. Sie waren sämmtlich so roh und unwissend, sie wußten sich so wenig auf dem Boden des Hofes zu halten, daß sie nur des Königs und seines Hofes Abscheu gegen jede Art von Gelehrsamkeit noch vergrößern konnten und es kein Wunder ist, wenn mit ihnen Schwänke getrieben wurden, die wir jetzt höchstens auf Landkirmsen noch zu Hause finden.

Die in Tabaksrauch zu füllen, daß sie nicht lesen konnten, ihnen die Perrücke anzubrennen, unter ihrem Sessel Schwärmer und raketen loszulassen, sie zu umarmen un ihnen hiermit Gesicht und Kleider zu schwärzen oder ihnen Eselsohren, Affen, Papierschnitzel, Lumpen oder dergleichen anzuhängen, Affen in ihre Personen verkleidet vor dem ganzen Hofe erscheinen zu lassen, sie an Stricken ins Wasser zu lassen, daß sie vor Kälte halb erstarrten oder dem Ertrinken nahe waren, sie von Bären umarmen zu lassen, daß sie Blut spuckten, sie in Portechaisen zu stecken, die keinen Boden hatten, und dergleichen mehr, dieß waren die Späße, deren sie fast täglich gewärtig seyn mußten, zumal die meistem dem Trunke ergeben, nur zufrieden waren, durch eine solche Ehrenstelle ihren Bauch mit Speise und Trank beliebig füllen zu können. Das Tabakscollegium erreichte mit dem Tode des Königs sein Ende. - Friedrich Sternberg: Knasterkopfs Annehmlichkeiten und Freuden. Ein nothwendiges und höchst nützliches Taschenbuch für jeden Tabaksraucher, dem seine Gesundheit lieb ist und der eine angenehme Unterhaltung wünscht. Ronneburg 1834. (Neu: Harenberg 1978)

Vorleser (2)

- Tullio Pericoli, nach (man)

 Vorleser (3) Man wußte, daß Reader, der Verfasser des Textes - welcher nach seinem eigenen Wort ein unabschließbarer Text war -,  über ein ständig wachsendes Publikum verfügte, dessen kleine Gemeinden in vielen Vierteln der Stadt nisteten, ja daß Readers Ruf seit einiger Zeit sogar über die Stadtgrenze hinweg reichte, daß er es aber strikt vermied, eine über die seiner Leseveranstaltungen hinausgehende Öffentlichkeit in Anspruch zu nehmen, wiewohl er dazu beste Chancen gehabt hätte. Freilich war es geschehen, daß irgendein Radiosender von drüben den Bandmitschnitt eines seiner Vorträge ins Programm nahm, da Reader jedoch nicht zu bewegen schien, sich mit den Rundfunkredaktionen oder den Journalisten über sich und seine Absichten näher einzulassen, erlosch deren Interesse bald wieder; es gab genug bereitwilligere Figuren in jener Szene, die man als die inoffizielle Kulturszene im Ostteil Berlins bezeichnen mochte, und es gab dort genügend Ereignisse, die spektakulärer aussahen.   - (ich)

 Vorleser (4) Als ich im September 1901 nach dem Grunewald zog, war George für etwa vierzehn Tage mein erster Logiergast. Am 22. Oktober 1902 hielt George in meinem Hause eine Vorlesung seiner Dichtungen, darunter viele Gedichte aus dem erst im Herbst 1907 erscheinenden ‹ Siebenten Ring ›. Der Abend war höchst eindrucksvoll und ungemein feierlich; kein elektrisches Licht brannte, nur Wachskerzen leuchteten. Die Art, wie George las, stand in vollem Gegensatz zu aller Theatralik: etwas psalmodierend in gleich stark bleibendem Ton, ohne die Stimme zu heben oder zu senken. Es ging auch beim Lesen eine zauberhafte Wirkung von ihm aus, wie immer. Aber diese Art Gedichte zu lesen, konnte von keinem anderen übernommen werden: selbst bei Gundolf, der sich bemühte, Gedichte in der Weise des Meisters zu lesen, wirkte sie nicht (wenigstens auf mich).  - Georg Bondi, nach: Gert und Gundel Mattenklott, Berlin Transit. Eine Stadt als Station. Reinbek bei Hamburg 1987

 Vorleser (5)  Aus seinem Nordlichtepos, einem dreibändigen kosmologischen Kolossalwerk voll geheimer Symbolismen und Prophetien, die auszulegen nur Eingeweihten gegeben war, las er gerne vor. Sein Fehler dabei war, daß er sich an sich selbst berauschte (was den Dichtern ja leicht passiert) und nie aufhörte. War seine Freundin Else Lasker-Schüler anwesend, so hörte man sie oft gemütlich schnarchen, der dröhnenden Stimme des Nordlichtdichters zum Trotze friedlich entschlummert. Däubler pflegte sich nicht darum zu kümmern; er behauptete, es sei einfach unbewußte Eifersucht. George Grosz, Ein kleines Ja und ein großes Nein. Sein Leben von ihm selbst erzählt. Reinbek bei Hamburg 1986, zuerst 1955

 Vorleserin  (6)  Anne-Marie ließ mich auf meinen kleinen Stuhl ihr gegenüber Platz nehmen; sie beugte sich vor, senkte die Lider, schlief ein. Aus dem Statuengesicht kam eine gipserne Stimme. Ich wurde ganz verwirrt: wer erzählte? was? und wem? Meine Mutter war verschwunden: kein Lächeln, kein Zeichen des Einverständnisses, ich war im Exil. Und außerdem erkannte ich ihre Sprechweise nicht wieder. Woher nahm sie diese Sicherheit? Nach einem Augenblick hatte ich begriffen: das Buch sprach. Sätze kamen daraus hervor, die mir Angst machten: Wahre Tausendfüßler, ein Gewimmel von Silben und Buchstaben, sie streckten ihre Diphtonge vor, ließen die Doppelkonsonanten vibrieren; singend, nasal, unterbrochen von Pausen und Seufzern, reich an unbekannten Wörtern; so erfreuten sich diese Sätze an sich selbst und an ihren mäanderhaften Windungen, ohne sich um mich zu kümmern. Manchmal verschwanden sie, ehe ich sie verstanden hatte, ein andermal hatte ich schon vorher verstanden, und die Sätze rollten nobel weiter ihrem Ende entgegen, ohne mir ein Komma zu schenken. Diese Rede war offensichtlich nicht für mich bestimmt.  - Jean-Paul Sartre, Die Wörter. Reinbek bei Hamburg  1968 (zuerst 1964)

Vorleser  (7)   Am 9ten las Huelsenbeck. Er gibt, wenn er auftritt, sein Stöckchen aus spanischem Rohr nicht aus der Hand und fitzt damit ab und zu durch die Luft. Das wirkt auf die Zuhörer aufregend. Man hält ihn für arrogant und er sieht auch so aus. Die Nüstern beben, die Augenbrauen sind hoch geschwungen. Der Mund, um den ein ironisches Zucken spielt, ist müde und doch gefaßt. Also liest er, von der großen Trommel, Brüllen, Pfeifen und Gelächter begleitet:

Langsam öffnete der Häuserklump seines Leibes Mitte. Dann schrien die
geschwollenen Hälse der Kirchen nach den Tiefen über ihnen.
hier jagten sich wie Hunde die Farben aller je gesehenen Erden.
Alle je gehörten Klänge stürzten rasselnd in den Mittelpunkt
Es zerbrachen die Farben und Klänge wie Glas und Zement
und weiche dunkle Tropfen schlugen schwer herunter ...

- Hugo Ball, nach dem Nachwort zu: Richard Huelsenbeck, Reise bis ans Ende der Freiheit. Autobiographische Fragmente. Heidelberg 1984

 Vorleser  (8)

Der Mann am Vortragspult denkt:

Köpfe kugeln kahl und spitz wie Kerzen,
Und die runden, rot wie Kinderluftballons,
Um die Brüstung meines Sprechbalkons,
Und viel Hände zielen schroff nach meinem Herzen.

Eine lüpft die Lippen - oh! die schwülen!
Eine zeigt kokett ein Stückchen Seidenbein ...
Eine träumt wie sanfter Sonnenschein ...
Schauten schaukeln stutzig auf den Stühlen.

Einer tut, als ob er lächeln müßte,
Und ein Jude juckt sich überlegen.
Eine bringt mir ihren Mund entgegen,
Und ich beiße mein Gedicht in ihre Brüste.

- Max Hermann-Neisse, nach: Dich süsse Sau nenn ich die Pest von Schmargendorf. Erotische Gedichte des Expressionismus. Hg. Hartmut Geerken. München 1985

 

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