olksredner
Im ersten Jahr, als König Karl IX. regierte, damals, als das Juli-Edikt erlassen
wurde und er sich im Faubourg Saint-Germain aufhielt, sahen wir, wie daselbst
ein Bursche des dortigen Gesindels aufgehängt wurde, der aus der Küche des Prinzen
von La Roche-sur-Jon sechs Silberschüsseln gestohlen hatte. Als er auf der Leiter
stand, bat er den Henker, er möchte ihm ein wenig Zeit zum Reden lassen, und
begann zu schwatzen und stellte dem Volke vor, daß er zu Unrecht umgebracht
würde, »denn«, sagte er, »ich habe niemals arme Leute, Bettler und Krüppel bestohlen,
sondern immer nur Fürsten und Große, die selbst größere Spitzbuben als wir sind
und die uns alle Tage plündern; es ist daher nur wohlgetan, daß wir uns von
ihnen wieder holen, was sie uns stehlen und abnehmen.« Er sagte noch viele andere
aufrührerische Reden, deren Erzählung überflüssig wäre, bis der Priester, der
mit ihm die Leiter hinaufgestiegen war, sich zum Volk wandte, wie man es sieht,
und ihm zurief: »Herrschaften, dieser arme Sünder empfiehlt sich euren Bitten
und Gebeten; wir wollen alle für ihn und für seine Seele ein Paternoster und
ein Ave-Maria sagen und das Salve singen«; und als das Volk ihm respondierte,
senkte der besagte arme Sünder den Kopf, betrachtete den Priester, begann wie
ein Kalb zu brüllen und machte den Pfaffen auf die lustigste Weise lächerlich,
dann versetzte er ihm eins mit dem Fuß und stieß ihn hoch von der Leiter herunter,
daß er sich ein Bein brach. »Ach! Herr Pfaffe«, sagte er, »bei Gott, ich wußte
wohl, daß ich's Euch hier versalzen würde. Nun hat er sein Teil, der Kerl.«
Als er ihn klagen hörte, begann er aus vollem Halse zu lachen, dann warf
er sich selbst in die Luft. -
(brant)
«Ich bin ein Junggesell und wohne ganz allein
Und bin ein Weber in der
Zwirnfabrik..,»
Stan ertappt sich dabei, wie er sein eigenes Gesicht in einem Spiegel ansingt. Eine seiner Brauen verschmilzt mit den Haaren, die andere mit den Wimpern. «... O nein, ich bin kein Junggesell, ich bin ein Ehemann ... Ich schlage jeden nieder, der behauptet, daß ich kein Ehemann bin, kein Bürger der Stadt New York, Bezirk New York, Staat New York...» Er hat sich auf einen Stuhl gestellt und hält eine Rede, die Faust in die flache Hand schmetternd. «Mitbürger, Freunde, Römer, borgt mir 'nen Fuffziger... Bedibbern will ich Cäsarn, nicht ihn ra-si-i-ieren... Nach den Bestimmungen der Verfassung der Stadt New York, Bezirk New York, Staat New York, vorschriftsmäßig beglaubigt und unterzeichnet in Anwesenheit eines Staatsanwalts .gemäß den Vorschriften des Gesetzes vom 13. Juli 1888 ... Hol der Teufel den Papst!» - «Mensch, hör doch auf!» - «Schmeißen wir ihn hinaus... Er gehört nicht zu uns ... Ich weiß nicht, wie er hereingekommen ist. Besoffen wie ein Nachttopf.» Mit geschlossenen Augen springt Stan in ein Dickicht von Fäusten. Ein Schlag aufs Auge, ein Schlag gegen das Kinn, wie aus der Kanone geschossen fliegt er in die nieselnde, kühle, stille Straße hinaus. Hahaha...
«Denn ich bin ein Junggesell und wohne ganz allein,
Und ein einziger
Strom noch sperrt mir den Weg.
Ein einziger Strom noch vor dem Jordan,
Ein
einziger Strom noch ...»
Als er wieder zu sich kam, blies ihm ein kalter Wind ins Gesicht, und er
saß im Bug eines Fährboots. Seine Zähne klapperten,
sein Körper zitterte. «...Das ist das Delirium. Wo bin ich? Wo bin ich? Stadt
New York, Staat New York... Stanwood Emery, A)ter 22 Jahre, Beruf Student ...
Pearline Anderson, 21, Beruf Schauspielerin. Der Teufel soll sie holen... Schau,
schau, ich besitze 49 Dollar und 8 Cent, und wo zum Teufel bin ich gewesen.
Ach, ich habe ja noch gar nicht das Delirium. Ich fühle mich prima, nur ein
bißchen empfindlich. Mir fehlt bloß ein Gläschen, na, was meinst du? Hoppla,
jetzt habe ich mir eingebildet, es sitzt einer neben mir. Halt lieber den Mund...» -
John dos Passos, Manhattan Transfer. Reinbek bei Hamburg 1977 (zuerst 1925)
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