okal Daß die Vokale wirklich eine enge Beziehung zum Magischen besitzen, deutet sich unter anderem dadurch an, daß sie dort, wo die Sprache sie rein anwendet, Erstaunen, Schrecken, Bewunderung zum Ausdruck bringen. Es fehlt uns an einer Lautlehre, die im Sinne der Goetheschen Farbenlehre, also »unwissenschaftlich«, verfahren müßte. Es scheint mir in unseren Tagen oft, als ob man bei Albertus Magnus wieder anknüpfen, als ob man versuchen müßte, die Dinge noch einmal zum Sprechen zu bringen.
Zu dem, was ich liebe, gehört
der tausendstimmige Aufschrei beim Feuerwerk; und zuweilen stelle ich
mir ein Schauspiel vor, auf einer wie ein roter Lampenschirm von Licht
gesättigten Bühne in einem dunkelsten Räume, ein Schauspiel von einer
Eindringlichkeit, wie sie hervorzubringen nur ein gewaltiger Zauberer
imstande ist. Hier müßten der Zuhörerschaft wie einem großen Tier die
Urlaute aus der Brust gerissen werden — man müßte sie einmal gründlich
buchstabieren lehren. Wir nähern uns Zuständen, in denen das wieder
möglieh scheint. Der Mensch in den Städten beginnt einfacher, das heißt
in jenem gewissen Sinne tiefer zu werden. Er wird zivilisierter, das
heißt barbarischer. - (
ej
)
Vokal (2) Wenn sich
heute abend ein Mann vom Monde bei mir anmelden würde, mit dem man sich
nur durch reine Lautsprache verständigen könnte, so würde ich
vielleicht, um ihm die beiden äußersten Pole anzudeuten, zwischen denen
sich unsere Erscheinung vollzieht, ihm zwei Worte unserer Sprache
vorsprechen — einmal eine jener Benennungen der organischen Chemie, in
denen der Intellekt einige Zeilen braucht, um sich zum Ausdruck zu
bringen, und dann den ebenso unmißverständlichen, gedehnten, heiseren,
zwischen A und U
vibrierenden Schrei, den man bei Sturmangriffen hören konnte und der
vom kochenden Blute nur durch ein hauchdünnes Häutchen geschieden
war. - (
ej
)
Vokal (3)
Worte
Einfalt erfundener Worte, Die man hinter Türen spricht, Aus Fenstern und gegen die Mauern, Gekalkt mit geduldigem Licht. Wirklichkeit von Vokabeln, Von zwei Silben oder von drei'n: Aus den Rätseln des Himmels geschnitten, Aus einer Ader im Stein. Entzifferung fremder Gesichter Mit Blitzen unter der Haut, Mit Bärten, in denen der Wind steht, Durch einen geflüsterten Laut. Vokale, — geringe Insekten, Unsichtbar über der Luft, Fallen als Asche nieder, Bleiben als Quittenduft. |
- Karl Krolow, nach: Gustav René Hocke, Manierismus in der Literatur. Sprach-Alchimie und esoterische Kombinationskunst.
Reinbek bei Hamburg 1969 (rde 82/83, zuerst 1959)
|
||
|
|
|