ogelscheuchenballett Als die Ballettgruppe im Sommer vierundvierzig aus Frankreich zurückkam - sie wurde von der Invasion überrascht und verlor mehrere Dekors sowie einen Teil der Kostüme - wollte der Ballettmeister Hase-loff ein dreiaktiges Ballett einstudieren, an dem er schon seit seiner Kindheit herumbastelte. Nun, nach der Pleite in Frankreich, hatte er es eilig, seinen Kindheitstraum auf die Beine zu stellen, denn schon im August sollte das Ballett unter den Titeln «Die Vogelscheuchen» oder «Der Aufstand der Vogelscheuchen» oder «Die Gärtnerstochter und die Vogelscheuchen» uraufgeführt werden.
Da es ihm an geeigneten Komponisten fehlte, ließ er sich von Felsner-•Imbs eine Mischung aus Scarlatti und Händel arrangieren. Der in Frankreich zerstörte oder stark lädierte Teil der Kostüme fand zwanglos ins neue Ballett. Gleichfalls wurden die Reste einer Liliputanergruppe, die zu Haseloffs Propagandakompanie gehörte und bei Beginn der Invasion Verlust erlitten hatte, als akrobatische Statisterie aufgenommen. Es sollte ein Handlungsballett werden mit Masken, Zwitschermaschinen und beweglichen Automaten auf großer Zauberbühne.
Jenny schrieb an Harry: «Der erste Akt zeigt des alten bösen Gärtners bunten Garten, den tanzende Vögel plündern. Die Gärtnerstochter - das bin ich - halb im Bunde mit den Vögeln, neckt den alten bösen Gärtner. Der tanzt, von den Vögeln umschwirrt, einen furios komischen Solopart und befestigt ein Schild am Gartenzaun, drauf steht geschrieben: «Vogelscheuche gesucht!> Alsbald, mit Grand jeté über den Zaun, meldet sich ein junger Mann, malerisch zerlumpt, und bietet seine Dienste als Vogelscheuche an. Nach einigem tänzerischen Hin und Her - Pas battus, Entrechats und Brises dessus dessous - erklärt sich der alte böse Gärtner einverstanden, geht nach links ab, und der junge Mann verscheucht nun - Pas chasse und Glissaden in jede Richtung - alle Vögel und zuletzt eine besonders freche Amsel - Tours en I'air. Natürlich verliebt sich die junge hübsche Gärtnerstochter - also ich - in die junge sprungkräftige Vogelscheuche: Pas de deux zwischen den Rhabarberstauden des alten bösen Gärtners - süßes Adagio, gemessenes Führen: Attitüde en promenade. Gespielte Scheu, Zurückweichen, Ergebung und Entführung der Gärtnerstochter über den Zaun, abermals mit Grand jete. Wir beide - der kleine Fenchel macht übrigens den jungen Mann - gehen nach rechts ab.
Im zweiten Akt offenbart sich des jungen Mannes wahre
Natur. Er ist der Präfekt aller Vogelscheuchen und regiert ein
unterirdisches Reich, in dem sich Vogelscheuchen dieser und jener Natur
unermüdlich drehen müssen. Hier machen sie Springprozessionen, dort
sammeln sie sich zur Vogelscheuchenmesse und opfern einem alten Hut.
Schon bilden unsere Liliputaner, allen voran der alte Bebra, eine mal
lange mal kurze aber immer ineinander verknotete Liliputanerscheuche.
Jetzt wechseln sie anschaulich durch die Geschichte: zottelige Germanen,
pludrige Landsknechte, kaiserliche Kuriere, mottenzerfressene
Bettelmönche, mechanische Ritter ohne Kopf, geblähte Nonnen, von
Fallsucht besessen, Zieten aus dem Busch und Lützows verwegene Schar. Da
wandern vielarmige Kleiderständer. Da erbrechen Schränke
Herrscherdynastien samt Hofzwergen. Da werden zu Windmühlen alle: die
Mönche, die Ritter, Nonnen, Kuriere und Landsknechte, preußische
Grenadiere und Natzmer-Ulanen, Merowinger und Karolinger, zwischendurch
und wieselflink unsere Liliputaner. Es wird mit tollen Flügeln Luft
bewegt, doch kein Korn wird gemahlen. Dennoch füllt den großen
Mahlkasten: Lumpengedärm Spitzengewölk Fahiiensalat. Hutpyramiden und
Hosenbrei mengen sich zum Kuchen, von dem alle Scheuchen geräuschvoll
essen. Da knarrt rattert heult es. Gepfiffen wird auf Schlüsseln.
Wimmern erstickt. Zehn Äbte rülpsen. Der Nonnen Furz. Ziegen und
Liliputaner meckern. Geklapper, Verscharren, Ausschlürfen, Wiehern.
Seide singt. Sammet summt. Auf einem Bein. Zwei in einem Rock. In Hosen
vergattert. Sie segeln im Hut. Sie fallen aus Taschen. Sie vermehren
sich in Kartoffel sacken. Arien, in Gardinen verwickelt. Gelblicht
bricht durch Nahte. Die selbständigen Köpfe. Der springende Leuchtknopf.
Die mobile Kindstaufe. Und Götter gibt es: Potrimpos, Pikollos,
Perkunos - dazwischen ein schwarzer Hund. Doch mitten ins exerzierende,
gymnastische, kompliziert dressierte Hin und Her - unklassische Vibratos
wechseln sich ab mit reich variierten Pas de bourrée - setzt der
Präfekt aller Vogelscheuchen, also der kleine Fenchel, die geraubte
Gärtnerstochter ab. Und ich, also die Gärtnerstochter, fürchte mich auf
entsetzten Spitzenschuhen. Bei aller Liebe zu dem jungen Mann und
Prä-fekten - natürlich nur auf der Bühne - ängstige ich mich sehr und
tanze, nachdem mich die garstigen Scheuchen mit mottenwolkendem
Brautstaat behängt, mit klappernder Nußschalenkrone gekrönt haben, zu
feierlich scheppernder Hofstaatmusik - die Liliputaner tragen die
Schleppe -. ein ängstlich königliches Solo; wobei es mir, also der
gekrönten Gärtnerstochter, gelingt, alle Vogelscheuchen nacheinander,
einzelne und in Gruppen stehende, in den Schlaf zu tanzen: zuletzt den
kleinen Fenchel, den Präfekten also. Nur jener struppige schwarze Hund,
der zum nächsten Gefolge des Präfekten gehört, wirft sich unruhig
zwischen hingestreuten Liliputanern, findet aber nicht auf seine zwölf
Höllenbeine. Da beuge ich mich als Gärtnerstochter aus vollendeter
Arabesque noch einmal über den schlafenden Präfekten, hauche den
schmerzlichen Bal-lerinenkuß - wobei ich den kleinen Fenchel nie berühre
- und entfliehe. Zu spät heult auf der schwarze Hund. Zu spät plärren
die Liliputaner. Zu spät läuft an die Mechanik der Vogelscheuchen. Viel
zu spät erwacht der Präfekt.
Es ergibt sich am Ende des zweiten Aktes ein furioses
Finale: Sprünge und Akrobatik. Musik, kriegerisch genug, um Türkenheere
zu jagen. Die hektisch gesteigerten Vogelscheuchen brechen auf und
lassen Schlimmes für den dritten Akt befürchten. - (hundej)
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