Vitrine  Pascual Carlos mußte nackt in den mittleren Glasbehälter klettern und seine Performance sollte darin bestehen, die Reptilien, die rechts und links von ihm jeweils durch eine Glasscheibe abgetrennt waren, mit Feuer aufzuhetzen. Das Werk sollte den Titel ‹Reptilien-Aggression› erhalten.

Ein nicht sehr zahlreiches Publikum wartete draußen vor der verschlossenen Tür. Nach Carlos Auftritt am selben Morgen, der sehr schlechte Kritiken bekommen hatte, waren die Erwartungen des Publikums sehr gedämpft.

Der Künstler hatte sich schon entkleidet und war gerade dabei, in die mittlere Vitrine zu klettern, als man ihm mitteilte, daß er einen dringenden Anruf entgegennehmen müsse. Es war eine Frauenstimme.

Carlos hat einige Sekunden mit ihr gesprochen, zwei knappe Antworten gegeben und wieder aufgelegt. Der Angestellte des Zoos, der Pascual bei seiner Aktion zur Hand ging, konnte keine Veränderung in seinem Gesicht feststellen.

»Du kannst die Tür aufmachen«, hatte der Künstler gesagt. »Laß sie rein.«

Dann, nachdem der Angestellte die Tür geöffnet hatte, ging alles viel zu schnell. Pascual Carlos hat die Metalleiter, mit der er in den Glasbehälter steigen wollte, verschoben und ist hinaufgeklettert. In dem Moment, als die Zuschauer in den Saal traten, ist er in die Vitrine mit den Louis-XVI-Möbeln gesprungen. Vorerst begriff nur der Zoo-Angestellte, was dort vor sich ging. Die Zuschauer haben nur den Künstler gesehen, seine kränkliche, mit Sommersprossen übersäte, weiße Haut. Sie haben gesehen, wie er die Möbel, prächtige Sammlerstücke, zur Seite schob und sich auf den Boden fallen ließ. Erst Sekunden später haben sie die Reptilien gesehen, die Boomslang, die sich um Carlos' Hals legte, die Klapperschlange, die sich schwindelerregend um sein Bein wickelte, die Kobra, die wild zischend ihre eindrucksvolle Mantelfalte öffnete. Der Künstler hat nicht versucht, die Tiere abzuschütteln. Er drückte sich lediglich gegen die Glasscheibe und starrte mit eisigem Blick die Leute an, die ihn von außen hilflos und starr vor Schrecken beobachteten.

In diesem Szenarium, in dem sich die Reptilien schlängelten und krümmten, sich wild aufbäumten, sich in Pascuals Fleisch festbissen, sich um seine Glieder wickelten, schien Pascual, der breitbeinig dastand und die Handflächen gegen das Glas preßte, die Höllenqualen irgendeines mythologischen Helden darzustellen. Man brauchte ungefähr eine Stunde, um ihn dort rauszuholen. Er setzte sich heftig zur Wehr.

»Ich bin tot. Raus hier. Geht weg. Ich bin tot. Raus. Ich bewege mich, damit das Blut schneller zirkuliert. Damit sich das Gift über den ganzen Körper verteilt.« Er weinte.   - Andreu Martín, Aus Liebe zur Kunst. Frankfurt am Main 1994

 

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