Viehlu    Zunächst wäre nun etwas über Richard Eckemecker zu schreiben. Seine Geschichte ist kurz. Wer er war, ist gleichgültig. Denn er war eben weiter nichts als Richard Eckemecker, stammte vom alten Eckemecker ab, sah seinem Vater und seinerüebenMutter nicht unähnlich und hatte schon von seinem Vater eine gewisse Scheu, speziell vor Menschen, geerbt. [Unsinn Aujuste, heiraten mußte.] Von dem alten Eckemecker stammte das berühmte Wort: «Der Mensch ist ein Vieh, ja ein Viehlu sogar.» [Unsinn Aujuste, heiraten mußte.] Der kleine Richard war schon als kleines Kind scheu gewesen. Vieh war ihm greulich. Die Mücken stachen, die Bienen stachen, die Ameisen pieten, die Schlangen bissen, die Pferde und Esel schlugen, die Löwen bissen, die Katzen kratzten, usw. [Unsinn Aujuste, heiraten mußte.] Ein Viehlu aber, so schien es ihm, das stach, piete, biß, schlug, boxte, kratzte und schoß sogar, je nach Bedarf. Kein Wunder, daß der kleine Richard scheu wurde. [Unsinn Aujuste, heiraten mußte.] Er scheute vor Menschen. Wie ein Pferd. Ein einzelner Mensch war ihm nicht unangenehm, denn kein Viehlu hat je Mut gehabt. [Nach Eckemecker natürlich.] Ein Viehlu allein würde nie angreifen. Aber in der Mehrzahl wurde das Viehlu kühn. [Unsinn Aujuste, heiraten mußte.] Und sowie nun der kleine Richard 2 und mehr Menschen sah, so scheute er. Seine Hebe Mutter hatte ihm deshalb 2 niedliche Scheuklappen gearbeitet, damit er nicht gleich so viele Menschen auf einmal sähe. Richards Leiden hatte sich auch schon etwas gebessert, denn er scheute nicht mehr bei 2 Menschen, sondern erst bei 3, falls ihn nicht andere Gründe zu der Annahme zwangen, daß er einem wildgewordenen Viehlu auf Gnade ausgeliefert wäre. An Schule war nicht zu denken gewesen. Richard war nicht vor dem Lehrer, aber vor den Mitschülern scheu geworden und war jedesmal durchgegangen, wie ein Pferd. Weder Strenge noch Milde hatten etwas vermocht. Und so war er auch nicht konfirmiert. Als man ihn seinerzeit zum Soldaten machen hatte wollen, hatte Richard die Kaserne demoliert, war dann festgenommen worden und vor seinen Feldwebel gestellt, wobei ihn der Unteroffizier einen Filou genannt hatte. Richard hatte Viehlu verstanden und war abermals durchgebrannt. Wie ein Topf. Und man hatte ihn laufen lassen. Ebenfalls wie einen Topf.  - Kurt Schwitters, Auguste Bolte. Erzählung. Zürich 1966 (zuerst 1923)
 

Menschen, wirkliche

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