- Ernst Jünger, Strahlungen.
25. Mai 1941
Vexierbild (2) Was nun die Vexierbilder betrifft, so zielte Nigromontanus vor allem wohl auf die Erschütterung, die uns ergreift, wenn wir unvermutet in einem das andere sehen. Vielleicht gedachte er so die feinen Wurzeln zu lösen und abzusprengen, durch die unser Wesen dem Alltäglichen und Gewöhnlichen verhaftet ist. Es ist richtig — wenn wir das Vexierbild lösen, kann Verblüffung, Staunen, Schrecken, aber auch die Heiterkeit sich einstellen. Wo solche Eindrücke sich häufen, beginnen wir mit Vorsicht an die Dinge heranzugehen; wir betrachten selbst die einfachen Bausteine unserer Anschauung mit Aufmerksamkeit, mit Erwartung oder auch mit Mißtrauen. Das gerade mochte Nigromontanus beabsichtigen; seine Methodik war nicht wie die der hohen Schulen auf das Suchen, sondern auf das Finden gestimmt. So zeichnete ihn auch eine Art von Zutrauen aus, daß in jeden unserer Gänge, selbst den scheinbar absichtslosen und vergeblichen, gleich dem Kern der Nuß ein besonderes Ergebnis eingeschlossen sei; und er verlangte, daß man vor dem Einschlafen den Tag in der Erinnerung wie eine Muschel aufbräche.
Solche Übungen sollten darstellen, daß auch die Welt im Großen nach der Art
eines Vexierbildes geordnet sei — daß ihre Geheimnisse auf der offenen
Oberfläche dalägen, und es nur einer geringen Anpassung
des Auges bedürfe, um die Fülle ihrer Schätze und Wunder zu sehen. Gern zitierte
er den Spruch des Hesiod, daß die Götter den Menschen die Nahrung verbergen,
und die Welt so fruchtbar sei, daß die Arbeit eines Tages für ein Jahr der Ernte
ausreiche. -
(ej2)
Vexierbild (3)
Vexierbild (4)
- Dali, Vermeer zitierend
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