mann & frau
in der welt des deutschen
der drus |
die drüse |
- Ernst Jandl, Idyllen. Darmstadt 1989
Verweiblichung (2) Laurence Hurst ist einem sehr vagen Hinweis auf einen möglicherweise geschlechtsverändernden Parasiten beim Menschen nachgegangen. In einer kleinen französischen Wissenschaftszeitschrift berichtete im Jahre 1946 ein Arzt aus Nancy über die erstaunliche Geschichte einer Frau, die damals ihr zweites Kind erwartete. Das erste, ein Mädchen, war bereits als Säugling gestorben. Sie war keineswegs überrascht, daß ihr zweites Kind ebenfalls eine Tochter war. In ihrer Familie, so erzählte sie, seien niemals Söhne zur Welt gekommen.
Ihre Geschichte las sich folgendermaßen: Sie war die neunte Tochter einer sechsten Tochter. Weder ihre Mutter noch sie hatten Brüder. Ihre acht Schwestern bekamen siebenunddreißig Töchter und keinen einzigen Sohn. Ihre fünf Tanten hatten achtzehn Töchter und keinen Sohn. Insgesamt waren in dieser Familie zweiundsiebzig Frauen geboren worden, aber kein einziger Mann.
Natürlich kann das reiner Zufall sein, aber das ist unwahrscheinlich: Die
Chancen stehen schlechter als eins zu einer Trillion. Die beiden französischen
Wissenschaftler, die diesen Fall beschrieben haben, R. Lienhart und
H.Vermelin, schlossen aufgrund fehlender Indizien hierfür das Vorkommen
von Spontanaborten, die selektiv die männlichen Feten betroffen hätten, aus.
Viele der Frauen waren sogar ungewöhnlich fruchtbar: Eine von ihnen hatte zwölf
Töchter, eine neun und eine andere acht. Sie mutmaßten statt dessen, daß bei
den Frauen und ihrer Familie ein zytoplasmatisches Gen vorhanden ist, welches
jeden Embryo, in dem es vorkommt, unabhängig von den jeweils vorhandenen Geschlechtschromosomen,
verweiblicht. (Es gibt übrigens auch keinen Hinweis darauf, daß es sich um Jungfrauengeburten
gehandelt haben könnte. Die älteste Schwester dieser Frau lebte als Nonne im
Zölibat und blieb kinderlos.) -
Matt Ridley, Eros und Evolution. Die Naturgeschichte der Sexualität. München
1995
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