erwechslung  Die elegante yacht, die im morgengrauen von Hammersmith in richtung Themsemündung schwamm, führte neben der englischen gösch eine gelbe flagge mit einem roten chinesischen glücksdrachen und den initialen PH. M. Im zusehends hellerwerdenden himmel stand eine blasse mondsichel, der Big Ben schlug irgendeine frühe stunde, und in den uferbäumen begannen die ersten vögel zu erwachen. Und als die ersten Sonnenstrahlen über den grauen Kanal fielen, hatte die yacht PHOO nahezu das offene meer erreicht und drehte auf südöstlichen kurs.

In einem luxuriösen salon mit verhängten bullaugen saß Jane Heslop, man hatte ihr die fesseln und den lächerlichen sack abgenommen, in einem gelben lederfauteuil, aus porzellanenen räuchergefäßen strömte duft, der eine definition, ob angenehm oder widerlich, nicht ohne weiteres erstellen ließ, prächtige lampions schaukelten in verschiedenen höhen von der blaugoldenen decke, von irgendwoher drang leiser östlicher falsettgesang, den exotische instrumente passend begleiteten.

Jane Heslop, das mädchen mit dem herrenschnitt, hatte sich mit seiner lage soweit abgefunden und beschloß, das kommende mit fassung zu erwarten. Links und rechts von der türe, die aus dem salon führte, standen die beiden bezopften schurken Ying und Ling, hielten die hände über die brust verschränkt und lächelten wie butter in der sonne.

Dann öffnete sich der zweiteilige wertvolle vorhang, der den saloneingang verdeckte, und zwischen den beiden sinistren lächlern erschien ein hochgewachsener, schlanker, mongolisch wirkender mann in tadellosem abendanzug, sein jackettaufschlag war von einer lotusknospe unterstützt, ein langer, fast lackiert erscheinender chinesenbart, der oberhalb der ironischen mundwinkel begann, zog sich einige inches lang links und rechts vom kinn fort. Im übrigen sah er wie Christopher Lee aus, war es aber nicht im mindesten. Die beiden wachen verschwanden auf einen wink des eingetretenen sardonikers, der nun gegenüber von Jane Heslop in einem der gelben lederfauteuils platz nahm und das mädchen in herrenkleidung eingehend, ja fast belustigt musterte. Endlich sagte er, indem er die fingerspitzen seiner linken mit denen seiner rechten zusammenbrachte und vor die nase hob:

„Sie haben mich gesucht, Miss Heslop, sie haben mich gefunden. Und meine Wenigkeit hat dazu etwas beigetragen. Sind sie mir dafür nicht dankbar, Miss Heslop?"

„Ich habe sie nicht gesucht, mein herr; und von dankbarkeit kann überhaupt nicht die rede sein, zumal ihre beiden kreaturen meine wohnung in brand gesteckt und mich gegen meine ausdrücklichen proteste auf das, was ich für eine yacht halte, gebracht haben!" antwortete Jane Heslop und warf trotzig den köpf zurück. "und sie behaupten gewiß auch, mich nicht einmal zu kennen?" „Ich sehe, daß sie, gelinde gesagt, ein nicht unvermögender orientale sind, aber da sie sich bislang nicht vorgestellt haben, weiß ich natürlich nicht ihren namen ..."

„Ich bin Dr. Phoo Manchu", erwiderte der gentleman des Reiches der Mitte, „doch das wissen sie genauso gut wie ich."

Jane Heslop blickte mit kühler verachtung auf den vor ihr sitzenden: „Es mag völlig richtig sein, daß sie so heißen", sagte sie stolz, „doch ist mir das gleichgültig. Und wenn sie ein gentleman sind .. ." Dr. Phoo Manchu ließ die hände sinken und stand auf, er war etwa sechs fuß hoch, und sein schatten warf sich bunt und unheimlich durch den lampionerhellten raum:

„Miss Jane Heslop", sagte er mit gefährlicher milde, „Miss Jane Heslop, sie sind vor mir der schatten einer maus, der schatten einer unbedeutenden, kleinen maus, den ein kerzenlicht wirft, das ich jederzeit verlöschen kann! Also spielen sie nicht mit ihrem leben!"

„Also gut. Was wollen sie von mir", sagte Jane Heslop, „ich bin, wie man sagt, ganz ohr!" Sie schlug ein bein über das andere und trommelte mit den fingern etwas nervös auf die Seitenlehne des gelben fauteuils.

„Sie befinden sich, oder befanden sich, das hat sich nunmehr geändert, im dienste meines feindes, des königs von Groß Britannien, welches ich klein zu machen gedenke. Ihr auftrag ist oder, besser gesagt: war, mich aufzuspüren und Scotland Yard zu übergeben. Sie haben deshalb männerkleidung gewählt.. ."

„Ich habe diese äußerst praktische kleidung deshalb gewählt, weil ich sonst den Job im Orpheum nicht bekommen hätte!" unterbrach ihn Jane Heslop. Sie schleuderte dem etwas verdutzten Dr. Phoo ihren unmut ins gesicht:

„Und außerdem heiße ich nicht Heslop, sondern Pengilly und komme aus Cornwall." „Das werden wir sogleich festgestellt haben", sagte der chinese nach einer weile des schweigens und klatschte, indem er sich dem kostbaren vorhang zuwandte, dreimal in die hände. Ling und Ying erschienen in der salontüre und verbeugten sich. „Von wo habt ihr Miss Heslop abgeholt?" herrschte er die beiden eidotterfarbenen gorillas an. „Wie befohlen aus dem obergeschoß des hauses 35 in Lobson Lane", klang es wie aus einem munde. Dr. Phoo wandte sich triumphierend an das mädchen, das nun Pengilly heißen sollte; in seiner stimme geisterte eine starke spur schlecht verhohlenen hohns:

„Ist das ihre anschrift oder nicht, Miss Jane?" „Ich wohne nicht in der Lobson, sondern in der Robson Lane. Die Lobson Lane befindet sich meines wissens in Finchley und nicht in Kilburn. Und wenn ihre beiden wunderknaben das l nicht vom r zu unterscheiden verstehen, so ist das nicht meine schuld!"

Dr. Phoo Manchu erbleichte vor wut, sein gesicht leuchtete wie ungelöschter kalk, seine elegante ruhe machte einem unbeherrschten zorn platz:

Tseng wei wui ting örh bo ming hui!" brüllte er die unglücklichen zopfköpfe an, die sich winselnd zu boden warfen. „Tschü ling tschung kwai!" - (flag)

Velwechserung (2) Einmal, als Racan mit seinem Vetter Bussy-Lamet übernachtet hatte, nahm er ein kleines Buch aus jener Zeit mit dem Titel «Das sterbende Frankreich» und ging damit auf den Abtritt. Anstelle des Papiers, dessen er sich bedient hatte, warf er sein Buch hinein und kam mit dem Papier vor der Nase zurück, das er dann auf den Nachttisch legen wollte. «Was ist das denn?» fragte Bussy. «Das ist das ‹Sterbende Frankreich›.» - «Aber gewiß doch! Schaut es doch näher an; riecht ein wenig daran.» - «Oh, dann habe ich es wohl in den Abtritt geworfen.» Er nimmt ein Endchen Wachslicht, entzündet es und wirft es auch hinein. «Ah! Wirklich, da ist das Buch!» - (tal)

Velwechserung (3) Am Tage der ersten Vorstellung von Apollinaires Couleur du Temps am Konservatorium Renée Maubel unterhielt ich mich während der Pause auf dem Balkon mit Picasso; da nähert sich mir ein junger Mann, stammelt ein paar Worte und gibt mir schließlich zu verstehen, daß er mich für einen seiner Freunde gehalten habe, der im Krieg gefallen sein soll. Natürlich bleibt es dabei. Bald darauf beginne ich durch Vermittlung eines gemeinsamen Freundes einen Briefwechsel mit Paul Eluard, den ich noch nicht kennengelernt hatte. Während eines Urlaubs besucht er mich: ich stehe derselben Person gegenüber wie bei der Aufführung von Couleur du Temps.   - (nad)

Velwechserung (4) »Selbstverständlich, Verehrtester, werde ich die Lanze an Sie verkauft haben.« —

Seine Augendeckel hingen tief herab; seine Finger stopften Tabakfasern in das Mundstück einer Zigarette zurück. Sein ganzes Aussehen war gesättigt mit Selbstverständlichkeit. Ich aber fuhr auf: »Was für Scherze, mein Bester! Niemals habe ich dergleichen Dinge bei Ihnen gekauft. Nicht einmal gesehen habe ich so etwas bei Ihnen! Sie irren auf eine Weise, wie ich es kaum verstehen kann!«

»So?« antwortete Lipotin trag. »Nun, dann war es eben früher, daß ich Ihnen die Waffe verkauft habe.« »Niemals! Nicht kürzlich und nicht früher! Begreifen Sie doch! — Früher!! Was soll das heißen?! — Seit wann kennen wir uns überhaupt? Seit einem halben Jahr, und für diese Zeitspanne müßte Ihr Gedächtnis wahrhaftig ausreichen!«

Lipotin sah mich schräg von unten herauf an und antwortete: »Wenn ich ›früher‹ sage, so meine ich wohl: in einem frühern Leben — in einer andern Inkarnation.« »Wie meinen Sie? In einer — —?«

»In einer früheren Inkarnation«, wiederholte Lipotin deutlich. Ich glaubte den Spott herauszuhören; daher nahm ich seinen Ton auf und sagte ironisch: »Ach so!« Lipotin schwieg.

Da es mir aber darum zu tun war, von ihm zu erfahren, weshalb er mir die Fürstin zugeschickt hatte, so begann ich wieder:

»Ich verdanke Ihnen übrigens, auf diese Weise mit einer Dame bekannt geworden zu sein, die — — —« Er nickte. Ich fuhr fort:

»Leider setzt mich die Mystifikation, die Sie dabei für nötig hielten, in einige Verlegenheit. Ich möchte der Fürstin Chotokalungin, soviel in meinen Kräften steht, zu der gewünschten Waffe verhelfen — —« »Aber, sie ist doch in Ihrem Besitz!« heuchelte Lipotin mit Ernst.

»Lipotin, mit Ihnen ist heute nicht zu reden!« »Warum nicht?«

»Es ist zu toll! Sie lügen einer Dame vor, in meinem Besitz befinde sich eine Waffe —« »— die Sie von mir erworben haben.« »Mensch, vorhin — soeben noch haben Sie zugegeben — —« »— daß es in einer früheren Inkarnation war. — Mag sein!« — Lipotin tat so, als verfalle er in Nachdenken, und brummte:

»Es ist leicht möglich, daß man einmal das Jahrhundert verwechselt.« - Gustav Meyrink, Der Engel vom westlichen Fenster. München 1984 (zuerst 1927)

Verwechslung (5)  Judas  legte sich an den Ort, da Jesus geruht hatte. Und Gott der HERR wirkte ein Wunder und gab Judas das Aussehen und die Sprache des Jesus. Da wir nun erwachten, meinten wir, er sei unser Meister und fragten ihn: HErr, wen'suchst du? Und jener sprach: Mir scheint, ihr seid nicht bei Sinnen und erkennt mich nicht, mich, den Judas Ischariot.

Und es betraten Soldaten den Raum, und da sie Judas sahen, der dem Meister gleich sah, legten sie Hand an ihn und fesselten ihn. Da jammerte der Verräter Judas, daß er nicht Jesus sei und wahrlich, dies sagte er zu Recht. Doch die Soldaten verspotteten ihn und sprachen: HErr fürchte dich nicht, denn wir sind gekommen, um dich zum König von Israel zu krönen! Und wir haben dich gebunden, weil du dein Königtum zurückgewiesen hast.

Da schrie Judas: Verrückt seid ihr! Ich bin gekommen, um euch Jesus zu zeigen, auf daß ihr ihn ergreift; doch ihr habt mich gefesselt, der ich doch auf eurer Seite stehe. Da wurden die Soldaten ungeduldig und schlugen und stießen ihn und schleppten ihn nach Jerusalem. Und sie brachten ihn auf den Kalvarienberg, wo die Verbrecher hingerichtet werden. Dort nahmen sie ihm seine Kleider, um ihm zu schmähen, und kreuzigten ihn. Er aber rief zum Himmel: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen ? Unschuldig sterbe ich und der wahre Übeltäter ist entkommen. - Das Evangelium nach Barnabas, in: Die andere Bibel. Hg. Alfred Pfabigan. Frankfurt am Main 1990

Verwechslung (6) Am 1. Thermidor wird ein Junge von siebzehn Jahren namens Saint-Pern aus Versehen vorgeführt. Man hat ihn nämlich mit seinem fünfundfünfzigjährigen Vater verwechselt. Obwohl die Anklageschrift sich nicht mit ihm befaßt, wird das Verfahren auf ihn ausgedehnt. Er wird zum Tode verurteilt. Es gibt »Verschwörer«, die blind, taub, völlig gelähmt oder geistesschwach sind und doch dem »Rächer des Volkes« überantwortet werden. Madame de Maille hätte mit ihrem sechzehnjährigen Sohn, der dem Gefängniswärter einen faulen Hering an den Kopf geworfen hat, vor dem Tribunal erscheinen sollen. Beim Aufruf meldete sich infolge des Gleichklangs eine Madame de Mayet. Das Gericht erkennt die Verwechslung und verurteilt sie trotzdem, »weil sie einmal da ist«. Ein Mann namens Deselle wird gefragt, ob er etwas von der Verschwörung in den Gefängnissen wisse, was er mit Nein beantwortet. »Ich erwartete diese Antwort«, erklärt der Vorsitzende, »warst du nicht Graf?« -»Man gab mir früher diesen Titel.« - »Der Nächste!« ruft der Vorsitzende aus, und damit ist ein Leben ausgelöscht. Ein Verwalter namens Balthazar Gart wird gefragt: »Warst du nicht Intendant der ehemaligen Prinzessin de Marsan, deren Kinder emigriert sind?« - Cart erklärt, daß es sich um eine Dame handle, die nicht Marsan, sondern Morsan hieß und keine Kinder hatte. Er wird am gleichen Tag hingerichtet. Der alte Loizerolles kann sich nur deshalb für seinen Sohn opfern, weil niemand mehr hinhört, wenn ein Schriftsatz verlesen oder eine Antwort gegeben wird. Auf die Frage, ob er »Francois Simon Loizerolles, Alter zweiundzwanzig Jahre« sei, antwortet der weißhaarige Greis »Ja«, ohne daß jemand dies auffallend findet. - Friedrich Sieburg, Robespierre. München 1965 (zuerst 1935)

Verwechslung (7) Man kennt die lächerlichsten quid pro quos von Betrunkenen. Jener Student setzte sich zu Hause ruhig auf dem Arme seines Lehnsessels zurecht und glaubte auf dem Abtritte zu sitzen, ein anderer glaubte, in der vom Monde erleuchteten Straße an einem Flusse zu sein und machte Anstalt, durch den Mondschein hindurchzuschwimmen, während ein dritter Nachtschwärmer die Sonne für den Mond ansah und eine Laterne verlangte, um heimzukehren. Ein Arzt, ein bekannter Zecher, fuhr einst mit seinem gleichfalls betrunkenen Johann zwei Stunden weit ohne Hinterräder, beide glaubten, es gehe bergauf, und eben derselbe, dem eine kranke Gräfin nach aufgehobener Tafel ihren Urin zu besehen sandte, leerte das Uringlas auf einen Zug unter tiefer Reverenz gegen Seine Erlaucht und die ganze Tafelgesellschaft. - (kjw)

Verwechslung (8)

- Rattelschneck

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