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Herman Melville, Typee. Ein Blick in das polynesische Leben... München
1979 (zuerst 1846)
Verteilung (2) Einer namens Neufchastel, der jüngere Bruder des Barons von Chapelaine, dessen Vater sein Vermögen mit der Salzsteuer erworben hat, kaufte den Besitz von Chapelaine in der Champagne und einige andere, ließ ihn prachtvoll ausbauen und ließ es sich eine riesige Summe kosten. Dieser Neufchastel, der ein beherzter Junge war und dabei sehr gut aussah, verliebte sich in die Marquise von Sy und genoß ihre Gunst. Das Liebesverhältnis trug sich so frei heraus zu, daß die Verwandten des Marquis von Sy ihn nötigten, Neufchastel zu fordern. Obgleich jener sehr wenig Mut besaß, schlug er sich, aber so übel, daß man deutlich sah, er hatte sich nur geschlagen, weil er nicht gewagt hatte, dem Rat seiner Verwandten zuwiderzuhandeln. Der Kampf gab Neufchastel noch mehr Freiheit: Er sucht die Dame weiterhin auf und mit solcher Befugnis, daß er und der Gatte halbteil machten und er sogar eine Nacht in der Woche mehr bekam als der Gatte. Diese Närrin bekommt einen derartigen Widerwillen gegen den Marquis, daß sie nicht mehr will, daß er mit ihr schläft.
Er war, wie gesagt, sehr erbarmungswürdig und höchst verliebt in seine Frau. Als er nicht mehr ein noch aus weiß, wirft er sich Neufchastel zu Füßen, um jene Gunst von seiner Frau zu erlangen, die niemals einwilligen wollte. Seine Verwandten aus Lothringen kamen mit bewaffneter Hand, ohne daß er sie gerufen hätte, und überraschen Neufchastel mit der Marquise im Bett. Er rettet sich indessen, gefolgt von einem Diener, in eine Stube am Ende eines Gangs. Dort verteidigten sie sich mit einigen Waffen, die sie besaßen, töteten einen und entkamen dann. All das führte dazu, daß ihre Liebhaber noch dreister wurden: Sie verkaufen die Herden und fällen den Wald; schließlich fühlt sie sich schwanger, und da alle Welt wußte, daß ihr Mann seit zwei Jahren nicht mit ihr geschlafen hatte, begab sie sich nach Holland, um niederzukommen. Dort suchte Neufchastel sie auf, und danach kehrte sie in die Champagne zurück.
Das Folgende ist noch schlimmer als alles übrige. Sie verheiratet ihre Tochter, die erst elf Jahre alt ist, mit Neufchastel und küßt ihn vor aller Augen als ihren Schwiegersohn, und sie waren übereingekommen, daß er dreimal in der Woche mit ihr schlafe und dreimal mit ihrer Tochter und daß er sich am Sonntag ausruhe. Sie begnügte sich nicht damit und entzog ihrer Tochter einen Tag. Als der Gatte sah, daß Neufchastel mehr denn je zu tun hatte, bat er darum, dann und wann mit seiner Frau schlafen zu dürfen, aber vergebens. Er suchte sie mehrmals auf, als sie im Bett lagen, und versuchte zu erreichen, daß man ihn eine Stunde nur mit seiner Frau schlafen lasse. Eines Nachts, als sie nicht schlafen konnten, peitschten sie zur Kurzweil den armen Mann aus.
Neufchastel wurde ungefähr ein Jahr nachdem er geheiratet hatte, bei
der Einschließung von Paris getötet. Sie verheiratete ihre Tochter sofort
wieder mit einem Edelmann namens Juvigny, unter der Bedingung, daß der
Vater jenes Jungen mit ihr schliefe; sie fand ihn aber bald zu alt. Zuletzt
kam sie dahin, es sich von Lakaien besorgen zu lassen. Sie starb im Alter
von neununddreißig bis vierzig Jahren. - (
tal
)
Verteilung (3) Am Hafen von Coullon unweit Nyort gab es eine Fährfrau, die Tag und Nacht jedermann übersetzte. Nun begab es sich, daß zwei Franziskanermönche aus dem genannten Nyort ganz allein mit ihr über den Fluß fuhren. Und weil diese Überfahrt eine der längsten in Frankreich ist, verfielen die beiden, um der Frau die Langeweile zu vertreiben, darauf, ihr Liebesanträge zu machen. Sie aber gab ihnen die gebührende Antwprt. Da die beiden weder von ihrer Wanderschaft ermüdet noch von dem kalten Wasser abgekühlt und auch über die Zurechtweisung der Frau nicht beschämt waren, beschlossen sie miteinander, sie sich mit Gewalt gefügig zu machen oder sie, wenn sie eine Klage laut werden ließe, in den Fluß zu werfen.
Sie war aber ebenso schlau und gewitzt, wie die beiden böswillig und verschlagen waren, und sagte zu ihnen:
»Ich bin nicht so widerborstig, wie ich mir den Anschein gebe. Aber ich möchte euch um zweierlei bitten; gewährt ihr mir das, so sollt ihr erkennen, daß ich größere Lust habe, euch zu Willen zu sein, als ihr verspürt, mich darum zu bitten.« Die Kuttenträger schworen ihr bei ihrem guten heiligen Franziskus, sie könne verlangen, was sie wolle, es werde ihr zugebilligt, wenn sie ihnen dafür gewähre, was sie von ihr wollten.
»Ich bitte euch fürs erste«, sagte sie, »daß ihr mir schwört und gelobt, niemals zu einer Menschenseele etwas von unserem Handel verlauten zu lassen.« Das versprachen sie ihr aufs bereitwilligste. Ferner sagte sie zu ihnen: »Einer nach dem andern möge seine Lust an mir büßen, denn ich müßte mich allzusehr schämen, wenn ihr mich beide zur gleichen Zeit sähet. Seht nun zu, welcher von euch mich zuerst haben will.«
Sie fanden ihr Ansinnen billig und gerecht, und der jüngere Mönch war einverstanden, daß der ältere den Anfang machen sollte. Und als sie zu einer kleinen Insel heranfuhren, sagte sie zu dem jüngeren: »Hochwürdiger Vater, sprecht hier Eure Gebete; ich will indessen Euern Begleiter da vorne zu einem andern Eiland rudern, und wenn er bei seiner Rückkunft meiner froh geworden ist, lassen wir ihn hier und gehen zusammen fort.«
Der Junge sprang ans Land und wartete auf die Rückkehr seines Genossen;
den aber ruderte die Fährfrau zu einer andern Insel. Und als sie am Ufer
anlegten, tat sie, als bände sie ihren Kahn an einem Baum fest, und sprach
zu ihm: »Lieber Freund, seht Euch nach einem Plätzchen um, wo wir uns hinlegen
können.« Da ging der ehrwürdige Pater ans Land, um einen Ort zu suchen,
der ihm zusagte. Sobald sie aber sah, daß er am Ufer stand, stieß sie aus
Leibeskräften mit dem Fuß von dem Baum ab, fuhr mit ihrem Kahn in den Fluß
hinaus und ließ die beiden leichtgläubigen Mönche in der Wüstenei zurück,
rief ihnen auch, so laut sie konnte, zu: »Harret aus, liebwerte Herren,
bis Gottes Engel kommt, euch zu trösten; denn von mir kriegt ihr heute
nichts, was euch behagen könnte!« - Margarete von Navarra, Das Heptameron.
München 1960 (zuerst 1558)
Verteilung (4) Die Vorausberechnungen in den Rentenanpassungsberichten wiesen aus, daß die Überschüsse in den kommenden 15 Jahren auf über 200 Milliarden Mark anwachsen würden. Unterstellt waren dabei ein andauerndes, kräftiges Wirtschaftswachstum, ein andauernd hoher Beschäftigungsstand und starke Zuwächse der Löhne von nominal sieben bis acht Prozent jährlich.
Einfache Alternativrechnungen zeigten zwar, daß die Milliarden zu einem
Nichts zusammenschrumpften, wenn die optimistischen Annahmen etwas verändert
wurden. Aber das fand keine Beachtung. Koalition und Opposition behandelten
die 200 Milliarden Mark als schon erwirtschaftete, reale Verfügungsmasse.
Also wurde sie verteilt. - Ministerialrat Thilo Sarrazin im «Spiegel»
(13/1983, S. 102) über die Verhandlungen der Rentenreform im Deutschen
Bundestag im Jahre 1972, nach: Dietrich Dörner, Die Logik des Mißlingens.
Strategisches Denken in komplexen Situationen. Reinbek b. Hamburg 1992
(rororo Sachbuch 9314
Verteilung (5) Wenn die Haut
abgeputzt ist, nimmt eine Mannsperson den Erschlagenen, schneidet ihm die Beine
über den Knien ab und die Arme vom Leib. Dann kommen die vier Weiber,
nehmen die vier Stücke und laufen mit großem Freudengeschrei um die Hütten.
Danach schneiden sie ihm den Rücken mit dem Hintersten
von dem Vorderteil ab. Das teilen sie unter sich, aber die Eingeweide
behalten die Weiber, sieden sie und machen aus der Brühe einen Brei, Mingáu
genannt, den sie und die Kinder trinken. Die Eingeweide essen sie, ebenso das
Fleisch vom Kopf. Das Hirn, die Zunge
und was sie sonst genießen können, essen die Kinder. Wenn das alles geschehen
ist, dann geht ein jeder wieder heim und nimmt seinen Anteil mit sich. Derjenige,
der den Gefangenen getötet hat, gibt sich noch einen Namen, den der Häuptling
des Dorfes ihm mit dem Zahn eines wilden Tieres oben in den Arm kratzt. Wenn
die Wunde richtig geheilt ist, sieht man die Narben; das ist die Ehre für die
Tat. An diesem Tage muß er danach in einer Hängematte stilliegen. Man gibt ihm
einen kleinen Bogen mit einem Pfeil, und damit er sich die Zeit vertreiben kann,
schießt er auf ein Ziel aus Wachs, um die Arme von dem Schreck des Totschlagens
nicht unsicher werden zu lassen. - Hans Staden,
nach
(lte)
Verteilung (gleichmäßige) Der nächste Tag ist mir durch eine grossartige Prügelei und ihre richterliche Entscheidung unvergesslich. Zwei Araber waren über einander hergefallen und schlugen fürchterlich darauf los. Wenn ich Dragoman Abdallah richtig verstanden habe, so betrug das Streitobjekt noch nicht einen Silbergroschen. Der Kampf war nahe daran, in Mord und Totschlag auszuarten, als die Polizei sich ins Mittel Jegte. Die beiden Streiter wurden in Begleitung eines Zeugen vor den Kadi geführt. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, der Eskorte — doch leider nicht der gerichtlichen Verhandlung — zu folgen. Die Entscheidung des alten Rechtsgelehrten ist mir noch heute unerklärlich, denn er verurteilte nicht nur die beiden Kampfhähne, sondern auch den Zeugen zur Bastonnade, die sogleich, ein musterhaftes Beispiel schneller Gerechtigkeitspflege, in seiner Gegenwart mit dünnen Bambusstäben vollstreckt wurde.
Mein Vertrauen zur orientalischen Rechtspflege hat durch die Abprügelung des nichts ahnenden Zeugen nicht gewonnen. s später ein bekannter preussischer Abgeordneter in der Kammer dem Justizmmister in den Bart warf: er für sein Teil wolle sich im Orient an den nächsten Kadi wenden, als an den preussischen Consul, fiel mir der alte Grimmbart von Kairo ein, und ich glaubte als Antwort auf diese starke Behauptung das Jammergeschrei des Zeugen zu hören.
Nach eingezogenen Erkundigungen erfuhr ich, dass derartige Fälle nicht vereinzelt
dastehen; man glaubt durch eine gleichmässig verteilte körperliche Züchtigung
allen in einen Auflauf Verwickelten einen heilsamen Schrecken einzuflössen.
Das Gerichtsverfahren ist übrigens öffentlich. - (
hel
)
Verteilung (7) Die Bürgermeister
von Pisa und von Venedig waren übereingekommen, die Besucher ihrer Städte, die
jahrhundertelang von Pisa wie von Venedig in gleicher Weise entzückt gewesen
waren, urplötzlich vor den Kopf zu stoßen, indem sie heimlich und über Nacht
den Turm von Pisa nach Venedig und den Kampanile von Venedig nach Pisa schaffen
und aufstellen lassen wollten. Sie hatten aber ihr Vorhaben nicht geheimhalten
können und waren, genau in der Nacht, in welcher sie den Turm von Pisa nach
Venedig und den Kampanile von Venedig nach Pisa hatten transportieren lassen
wollen, in das Irrenhaus eingeliefert worden, naturgemäß
der Bürgermeister von Pisa in das Irrenhaus von Pisa und der Bürgermeister von
Venedig in das Irrenhaus von Venedig. -
Thomas Bernhard, Der Stimmenimitator. Frankfurt am Main 1978
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