ersöhnung   Ein Wiedergutwerden in der Phantasie, dort, wo die Bilder greifen und gelten, ist mir bis jetzt erst einmal mit der Katalanin und einmal mit Filip Kobal gelungen. Die Katalanin, welche in jenem Tagtraum stumm gegen mich wütete, stumpfschwarze Augen und weißliche Lippen, habe ich da kurzerhand in einen Nebenraum geführt, mich neben sie gesetzt und ihr den wie unter Stromstößen zuckenden Kopf gehalten, zwischen den beiden Händen, die nichts taten, als zu warten, bis die wilde Jagd unter der Schädeldecke sich verzogen hatte.

Und der Filip Kobal kam mir in ähnlicher Weise auf einem vorfrühlingshaft sonnigen Waldpfad hier in der Bucht entgegen. Die Schatten der noch laublosen Baumkronen musterten den Wegsand, und ich zauberte, als ich auf gleicher Höhe mit Kobal war, wiederum in einer Bewegung der beiden Hände, aus dem Erdreich und dem Licht beiläufig das Fabeltier des Landstrichs herbei. Es war keine Schimäre, vielmehr ein Steppentiger, ein friedlicher, sonnengelb, zweigschattenschwarz, worauf mein Kumpan und ich, so als wäre zwischen uns nie etwas gewesen, den Weg gemeinsam fortsetzten.

Das sind meine Phantasien der Versöhnung, und ich glaube an sie. Daneben aber muß in mir ein anders traumtiefes Mißtrauen, gar ein Widerwillen gegen ein jedes Wiederzueinanderfinden wirken.

Wie anders soll ich meinen Traum der letzten Nacht auffassen, genau nach dem Tag, da ich vom guten Ausgang der Geschichte zwischen mir und meiner Schwester erzählte?: Sie erschien da rabiat und riesenhaft, warf mit Erdbrocken nach mir, dann mit Steinen, immer schwereren, und war schließlich mit einer ungeheuren Mordlust darauf aus, mir mit einem Felsblock den Schädel einzuschlagen. - Peter Handke, Mein Jahr in der Niemandsbucht. Frankfurt am Main 1994

Versöhnung (2) mit dem Leben  Das ist ein Ausdruck, der oft auf der Zunge geführt wird, und den ich dann und wann für etwas Pflichtgemäßes angesehen habe. Aber nachdem ich gesehen habe, was dieses Leben ist, mit seinen lumpigen Kompromissen, seinem Streben, einen niederzuziehen, alle zu gleich guten Kohlfressern zu machen, bin ich bei dem Gegenteil stehengeblieben: keine Versöhnung mit diesem Leben, denn es ist nur ein Scheinleben oder ein Scheintod. Es soll so unversöhnlich sein, damit nichts einen zurückhält, wenn man aus ihm scheidet; kein Bedauern, nur ein lebhafter Abscheu, wie eine Pulverladung wirkend, welche einen hinaus in den Weltraum schleudert, aus dem Anziehungsbereich der Erde hinaus, so daß man neue Bahnen findet, die einen weiterführen. Ich habe von vielen gehört, die sich mit ihren Nächsten auf dem Totenbette versöhnten. Aber das verstehe ich nicht. Durchstreichen, vergessen und verzeihen, das begreife ich; aber mit prinzipiellen Feinden wieder anzuknüpfen, in Eile Sympathien zu improvisieren, wo keine sind, eine Freundschaft zu fingieren, die sinnlos ist, das ist wohl Schwäche.

Ich glaube im Gegenteil, daß man sich von Verwandtschaft und Freunden losmachen soll, so gründlich, daß man nicht demnächst wieder zurückgezogen wird, um hier umzugehen und zu spuken.  - (blau)

Versöhnung (3)  Thorkel ißt am Abend wenig und geht als erster schlafen. Und als er im Bette lag, da kommt Asgerd und hebt die Decke auf und will sich zu ihm legen.

Da sagte Thorkel: »Ich wünsche nicht, daß du heute nacht bei mir schläfst, und überhaupt nicht wieder.«

Asgerd sagte: »Was hat sich denn so plötzlich verändert? Und was ist los?«

Thorkel sagte: »Ich bin lange blind gewesen, aber jetzt wissen wir beide darum. Deiner Ehre wird es nicht eben dienen, wenn ich deutlicher werde.«

Da antwortet sie: »Du magst darüber denken, wie du willst. Aber ich will mich nicht lange mit dir um den Bettplatz streiten - sondern du hast zweierlei Wahl: entweder du nimmst mich zu dir und tust, als wäre nichts geschehen, oder ich hole mir hier auf der Stelle Zeugen und sage mich von dir geschieden, und lasse meinen Vater alles heimholen, was ich dir zugebracht habe. Dann werde ich dir nicht länger den Platz im Bett wegnehmen.«

Thorkel schwieg und sagte nach einer Weile: »So entscheide ich, daß du tust, was du willst - ich werde dir das Bett diese Nacht nicht verbieten.«

Sie zeigte schnell, was ihr am besten schien, und steigt sofort zu ihm ins Bett. Sie liegen nicht lange zusammen, da haben sie sich versöhnt, als wäre nichts geschehen.   - Gisli-Saga, nach: Die schönsten Geschichten aus Thule. München 1993. Hg. H.M. Heinrichs

Versöhnung (4)  Sie haben, als Sie mit Ihrer Arbeit, mich in Ihnen zu vernichten und mich wieder aus sich auszuscheiden, es für gut befunden, eine ganze Nacht ausgestreckt im Inneren meines Körpers zu schlafen, während auch ich schlief. Das will ich Ihre Versöhnung mit mir nennen. Am nächsten Morgen, als ich erwachte, da wachten auch Sie in mir auf. Als ich mich aufrichtete, verschwanden Sie leicht und schnell aus dem Inneren meines Körpers und von nun an bin ich ohne Sie. Ich habe den Eindruck, dass sie alles, was ich sonst noch beobachtet habe, selbst wissen. Was mir wohltat, war das Fehlen von Unzüchtigkeiten in Ihrer Vernichtungsarbeit an mir. Was mich tröstet, ist, dass Sie 7 Tage brauchten, um mich in Ihnen zu vernichten. Wenn es Ihnen an einem Tag gelungen wäre, hätte es mir Kummer bereitet, dass es Ihnen nicht mehr Anstrengungen gekostet hat. Aber 7 Tage, fast ohne Pause mich auszulöschen, um dann beruhigt und glücklich für eine lange Nacht in mir zu schlafen, das macht mich stolz. Ich sehe, Sie haben mich ernst genommen.  - Unica Zürn, Erdachte Briefe. In: U. Z., Das Weiße mit dem roten Punkt. Texte und Zeichnungen. Frankfurt am Main - Berlin 1988
 
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