erschwiegenheit
Sein Geheimnis bewahren! Das ist für Balzac fast soviel
wie eine sittliche Forderung. Er hat die größte Bewunderung für die Naturen,
die es vermögen, ihr Geheimnis zu wahren
und es mit sich ins Grab zu nehmen. «Nachdem er einmal gefangen war, ist Toussaint
Louverture gestorben, ohne ein Wort zu sagen, Napoleon aber, als
er auf seinem Felsen war, hat geschwatzt wie eine Elster: er hat sich explizieren
wollen ... Es gibt keinen Verbrecher, der nicht, wenn er seine Geheimnisse mit
seinem Kopf in den roten Korb
fallen lassen könnte, das rein soziale Bedürfnis empfände, sie jemandem zu sagen.»
Ein Grund für die Bewunderung, die Balzac für Cooper hegte, war
der, daß dessen Rothäute auch am Marterpfahl ihre Geheimnisse nicht verraten.
- Ernst Robert Curtius, Balzac.
Bern 1951
Verschwiegenheit (2) «Freunde! Sind wir doch bislang nicht unerfahren in schlimmen Dingen! Gewiß steht uns dort kein größeres Übel bevor als damals, wo uns der Kyklop einschloß in der gewölbten Höhle mit übermächtiger Gewalt. Doch auch von dort sind wir durch meine Tüchtigkeit: meinen Rat wie wachen Sinn, entkommen. So werden wir uns auch dessen hier, so denke ich, einmal erinnern. Doch auf jetzt! folgen wir alle, wie ich es sage: Ihr schlagt mit den Rudern die tiefe Brandung des Meeres, hinsitzend auf die Ruderbänke: ob Zeus es vielleicht gibt, daß wir diesem Verderben entrinnen und entschlüpfen mögen. Dir aber, Steuermann! befehle ich so — du aber lege es dir in den Sinn, da du das Ruder führst in dem gewölbten Schiffe —: von diesem Rauch dort und der Brandungswelle dränge hinweg das Schiff und halte auf die Klippe zu, damit es dir nicht unvermerkt nach dorthin abtreibt und du uns ins Unheil stürzest.»
So sprach ich, und sie folgten eilig meinen Worten. Doch von der Skylla sagte ich nichts weiter: der Plage, gegen die nichts auszurichten, damit mir die Gefährten nicht in Furcht abließen von der Ruderarbeit und sich in dem Schiff zusammendrängten. Und da vergaß ich nun der Kirke schmerzliche Weisung, daß sie mir befohlen, daß ich mich nicht rüsten sollte, sondern tauchte in die herrliche Rüstung, ergriff zwei lange Speere mit den Händen und stieg am Bug auf das Verdeck des Schiffes. Dort wartete ich, bis mir Skylla zuerst aus dem Stein erscheinen würde, die mir Leid bringen sollte über die Gefährten. Doch konnte ich sie nirgendwo erblicken, und müde wurden mir die Augen, während ich überall umher an dem dunstigen Felsen spähte.
So fuhren wir in die Enge, weheklagend: hier Skylla, drüben aber schlürfte
die göttliche Charybdis furchtbar das salzige Wasser des Meeres ein. Wahrhaftig,
und wenn sie es ausspie, so brodelte sie ganz auf wie ein Kessel auf vielem
Feuer, herumstrudelnd, und hoch auf flog der Schaum bis auf die Spitzen der
beiden Klippen. Doch wenn sie das salzige Wasser des Meeres wieder verschluckte,
so wurde sie, herumstrudelnd, bis ganz nach innen hinein sichtbar, und ringsher
brüllte fürchterlich der Fels, und unten wurde die Erde sichtbar, schwarz von
Sand. Die aber ergriff die blasse Furcht. Wir blickten auf sie hin, in Furcht
vor dem Verderben: unterdessen holte sich mir Skylla aus dem hohlen Schiffe
sechs Gefährten, die an Armen und an Kraft die besten waren. Und als ich auf
das schnelle Schiff und zugleich nach den Gefährten blickte, sah ich von ihnen
schon die Füße und die Hände darüber, wie sie in die Höhe schwebten. Und sie
erhoben ihre Stimme und riefen mich und nannten mich beim Namen, damals zum
letztenmal, betrübten Herzens. Und wie wenn ein Meerfischer auf einem Vorsprung
mit der gar langen Gerte den kleinen Fischen Bissen als Köder zuwirft und schleudert
in das Meer das Röhrchen am Angelhaken, das aus dem Hörn gemacht ist eines Rindes
auf dem Viehhof, und wirft den zappelnden alsdann hinaus, sobald er ihn gefaßt
hat: so schwebten sie zappelnd den Felsen hinauf. Und dort fraß diese sie an
dem Eingang, die Schreienden, indessen sie die Arme nach mir streckten in dem
schrecklichen Verderben.
- (
hom
)
Verschwiegenheit (3)
Verschwiegenheit (4)
Verschwiegenheit (5) Verschwiegen seit frühester Kindheit, erwies sich Georges S., geboren am 24. Januar 1889, immer als ein ehrerbietiger Sohn. Keine Bestrafung während seines Militärdienstes. Keine Eintragung ins Strafregister. Er heiratet am 2. Juli 1912 Marie Dr., neunzehn Jahre alt, Tochter eines Notars. Er betrügt sie nicht. 1914 eingezogen, desertiert er nicht. 1919 überträgt ihm sein Vater die Leitung eines Modewarengeschäftes. Er übernimmt sie. Seine Angestellten loben einmütig seine Freundlichkeit. Madame S. bezeichnet sich einer Freundin gegenüber als sehr glücklich, obgleich sie es bedauert, daß ihr Mann so wenig gesprächig ist.
Nachdem S. am 17. August 1921 wie gewöhnlich vor seiner Frau aufgestanden
ist, pfeift er; Adieu, mein Schatz, nur Mut! sagt das Dienstmädchen.
Er geht in den Garten hinunter, harkt ein Lattichbeet, dann schließt er sich
in sein Arbeitszimmer ein und schreibt einen Brief
an einen unbekannt gebliebenen Adressaten. Er setzt seinen Strohhut auf und
bringt seinen Brief zur Post. Auf dem Rückweg begegnet er dem Pfarrer von N.,
grüßt ihn, geht dann zu seiner Frau hinauf, findet sie immer noch schlafend
vor und erwürgt sie. Er öffnet vor dem Weggehen die
Jalousien und verschwindet. -
(lib)
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