erschlafen
Für unsere Freunde sterben wir jeden Tag, für uns selbst jedoch sterben wir
erst am Ende. Wir kennen den Tod nicht, wissen daher
nicht, wie oft er gerade unsere wichtigsten Lebensquellen auf die Probe gestellt
hat. Während wir im Wohnzimmer sitzen, macht er Visite in der Vorratskammer.
Montaigne sagt: >Um einen Menschen zu töten, bedarf es hellen Scheines
und klaren Lichtes‹, aber das betrifft nur das Gewissen gegenüber dem Nächsten.
Wie steht es jedoch mit unserem eigenen Tod? Unser Vorwurf sollte der Nacht
gelten, in der wir sterben, mehrfach und allein. Donne sagt: >Wir
alle werden in engem Gefängnis empfangen, In unserer Mütter Schoß sind wir alle
Gefesselte. Wenn wir geboren werden, werden wir in die Freiheit des Hauses geboren:
unser ganzes Leben ist nichts anderes als der Weg hinaus zum Platz der Hinrichtung,
des Todes. Hat man jemals einen Menschen schlafen gesehen, im Karren, der ihn
von Newgate nach Tyburn bringt? Zwischen Gefängnis und Exekutionsplatz, schläft
da irgendeiner?‹ Und doch sagt er: >Der Mensch verschläft den ganzen Weg.‹
Um wieviel fester ist daher der Schlaf, der ihn umhüllt, wenn er sich auf den
Rücken der Finsternis schwingt.
- Djuna Barnes, Nachtgewächs. Frankfurt
am Main 1981 (zuerst 1936)
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