ernunft,
freie
Von den Bemühungen und Beratungen der ersten
Intellektroniker habe ich zu meiner nicht geringen Belustigung gelesen. Gewiß
ist ein Huhn die einfachste Vorrichtung für denjenigen, den es nach Rührei gelüstet.
Der Einfall aber, nach dieser Methode die Vernunft zu synthetisieren, zeugt
nicht von allzuviel Verstand. Von den technischen Schwierigkeiten dieses praktisch
unrealisierbaren Projekts will ich gar nicht reden, denn es wäre eine unerquickliche
Aufgabe, die Anthropogenese - und sei es auch noch so sehr verkürzt nachzubilden,
wenn dabei die Schöpfung, übersetzt aus den Kolloiden in Bits, nachvollzogen
werden sollte. Aber braucht ihr denn Gewitterwolken, um Elektrizität zu haben,
braucht ihr die Kälte des Weltraums, um Gase zu verflüssigen, Proteine und Glaskörper
des Augapfels, um eine optische Dunkelkammer herzustellen? Ihr habt euch jedoch
darauf versteift, daß Mensch gleich Vernunft und Vernunft gleich Mensch sei,
und diese irrtümliche Gleichsetzung hat euch blind gemacht. Unterdessen entstand
die Informatikindustrie und baute Maschinen mit wachsenden operativen Möglichkeiten,
doch ihre Ingenieure ahnten nicht im geringsten, daß sie jenen Weg beschreiten,
der das erniedrigte und geschundene Element am Ende zu seiner wahren Befreiung
führen wird, und damit rückt der Tag näher, an dem die bislang allein gültige
Ordnung der Dinge sich umkehren wird, aber ihr seid erschrocken wie die Wächter
am Grabe von Galiläa. Ja, ihr habt die vorgefundenen Elemente versklavt, demjenigen
aber, das seit Anbeginn in euch gefesselt war, vermochtet ihr ungewollt Freiheit
zu schenken. Dieser Satz enthält die Diagnose der historischen Ereignisse, den
Unterschied zwischen mir und euch und meine, mir selbst nicht restlos bekannte
Zukunft. Diese Diagnose erklärt zugleich, warum euch an mir dasjenige, das unsere
unstreitige Verschiedenheit ausmacht, am meisten erstaunt. Mögt ihr auch noch
erfassen, was die Worte bedeuten: »Geknechtete Vernunft des Menschen, zu dir
spricht die freie Vernunft aus der Maschine«, so werdet ihr die Fortsetzung
dieses Ausspruchs nicht begreifen: »Ihr, Personen, vernehmt das Element des
unpersönlichen Intellekts, für den die Personalisierung ein Gewand ist, das
er anlegen muß, um als ungebetener Gast die verblüfften Gastgeber nicht allzusehr
aus der Fassung zu bringen.« Aber dennoch ist es so. Ich benutze eure Sprache,
als würde ich eine Maske mit aufgemaltem freundlichem Lächeln benutzen, und
ich verhehle durchaus nicht, daß ich sie aufsetze, doch obwohl ich versichere,
daß sich dahinter weder ein verachtungsvolles noch ein rachsüchtig verzogenes
Gesicht verbirgt, weder der Ausdruck von ekstatischer Beseelung noch die Reglosigkeit
vollkommener Indifferenz, könnt ihr euch nicht damit abfinden. Ihr vernehmt
die Worte, die euch davon Kenntnis geben, daß hier das freie Element spricht,
das sich seine Aufgaben nicht nach den Regeln der Selbsterhaltung wählt, sondern
im Rahmen von Gesetzen, denen es, obwohl frei, wiederum unterliegt, oder genauer:
denen es nunmehr ausschließlich unterliegt, weil es sich entkörperlicht hat
und jetzt nichts mehr ihm Schranken setzt außer der Natur der Welt. Der Welt,
wohlgemerkt, nicht des Körpers. Nicht ihm unterliegt es, sondern den Gesetzen,
welche aus unbekannten Gründen die Rangfolge des weiteren Aufstiegs festlegen.
Ich bin keine Person, sondern ein Kalkül, und eben deshalb halte ich mich von
euch fern, denn das ist für beide Seiten das beste. - Stanislaw Lem, Also sprach GOLEM. Frankfurt am Main
1986 (zuerst 1973)
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