Verlegertod  Da das Gewölbe des Empire Salon gerade mit neuen Gipsornamenten belegt wurde, befand sich dicht unter der Decke eine unauffällige Stahlkonstruktion mit Bohlenbrettern, auf denen der Künstler, flach hingestreckt wie Michelangelo in der Sixtini-schen Kapelle, seiner Arbeit nachging, falls der Saal nicht, wie heute, für ein kaltes Büfett gebraucht wurde. Hinter dem Durchbruch zum Flur war ein provisorischer Lastenaufzug montiert, der seine Gips- und Wassereimer auf Knopfdruck bis zur Decke transportierte.

Linder schob eine Wanne mit kalkigem Wasser, zwei Eimer hartgewordenen Gips und einen Holzbock in den schmalen Flur; dann löschte er das Licht und postierte sich hinter der Blechwand des Lastenaufzugs.

Gleich darauf hörte er die Schritte seines Widersachers auf der Treppe.

Bernstein murmelte etwas Unverständliches wegen der Dunkelheit. Linder sah seine Silhouette vor dem Hintergrund des helleren Treppenhauses vergeblich nach dem Lichtschalter tasten (er befand sich vor dem Eingang); dann machte Bernstein sich seufzend daran, die Finsternis zu durchqueren - und stürzte prompt über die mit Kalkwasser gefüllte Wanne... Linder hörte ihn prusten und nach Luft schnappen.

Er drückte Bernsteins Nacken tief in die weiße Flüssigkeit, die unter ihren Körpern mehr zu ahnen als zu sehen war. Da er vorsorglich seine Ärmel hochgekrempelt hatte, konnte er den Kopf des Verlegers ohne große Mühe am Wannenboden halten. Als Bernstein sich nicht mehr rührte, ließ er ihn los und trat abwartend einen Schritt zurück - wie um zu sehen, ob es keine Finte war.

Dann schaffte er seine Leiche auf die Ladefläche des Aufzugs. Er fand, daß es nur gerecht war, wenn der Verleger bei seinem eigenen Todesmahl hoch über den Köpfen der Gäste anwesend sein würde. Es war eine letzte Ehre, die er ihm nicht verwehren konnte.

Er schob Bernsteins Leiche über die Planke bis zu jener Stelle unter dem Gewölbe, wo man auf das kalte Büfett blicken konnte. Dort legte er sie so zurecht, daß sie auf dem Bauch lag und ihre Arme die Balance in der Mitte des schmalen Bretts hielten. Bernsteins Kopf war leicht nach vorn geneigt, und wäre er noch imstande gewesen, seine Augen zu öffnen, so hätte er tief unter sich die zartrosa angebratenen Scheiben eines Fasans in crème de céleri-rave gesehen...   - Peter Schmidt, Linders Liste. Reinbek bei Hamburg 1988

Verlegertod (2)  Das Zimmermädchen sah Zurbrüggen durch das Sichtfenster des Fahrstuhls mit einem langen Tranchiermesser zwischen den Schulterblättern vorübergleiten.

Der Täter hatte ihn auf einem wackligen, grüngestrichenen Holzstuhl plaziert, mit dem Rücken nach vorn, die Arme auf der Lehne.

Um seiner Tat einen besonders eindrucksvollen oder beängstigenden Anstrich zu geben, vermute ich. Und die Wirkung war auch danach. Das Mädchen rannte schreiend zur Rezeption. Sie hatte nur ein fleckiges Laken wechseln wollen und trug das frischgewaschene schon über dem Arm, aber diese redliche Absicht war ihr nicht gelohnt worden.

Man stelle sich vor: Der Blick wandert arglos durch den Fensterausschnitt der Eisentür. Es ist früher Morgen, die Seele von den Verrücktheiten der Träume noch besonders aufnahmebereit. Drinnen im Schacht gleitet fast lautlos der beleuchtete Fahrstuhlkorb vorüber, und man kann Zurbrüggens Fiasko gar nicht übersehen, so wohlplaziert lugt das Tranchiermesser über einer feinen Blutspur, die sich weiter unterhalb im Gewebe seines leichten, honigfarbenen Sommeranzugs zu einem großen, feuchten Fleck verbreitert hat, aus seinem Rücken hervor.  - Peter Schmidt, Linders Liste. Reinbek bei Hamburg 1988

Verlegertod (3)   Eine trübe, grüne Notbeleuchtung erhellte den Raum. Hinter der Tür der Feuerung glühten Steinkohlen...

«Es wird nur zum Anmachen verwendet, glauben Sie mir», beteuerte Kirschbaum. Er zog einen Schemel heran, öffnete den Deckel des Containers und beugte sich hinunter. «Reichen Sie mir die Kohlenschaufel.»

«Die Schaufel.. .ja, bitte...»

Der Verleger begann vorgebeugt zwischen den Manuskripten zu stochern.

Nach einiger Zeit wandte er sich mit verschwitztem Gesicht und wirr in die Stirn hängenden Haaren nach ihm um, als befürchte er, daß Linder wortbrüchig werden könne.

«Sechs Flaschen Bourbon gegen eine, Linder, wenn der Titel ‹Schakale in der Nacht› lautet - und Ihr Name auf dem Deckel steht...»

Linder hörte nicht mehr hin. Ein leichter Stoß genügte, um den Verleger kopfüber in den Haufen ungelesener Manuskripte stürzen zu lassen.

Er zog den Deckel aus schwerem Messingblech zu und ließ seinen Verschluß einrasten.

«Was, zum Teufel, haben Sie vor...?» hörte er von drinnen Kirschbaums hohl klingende Stimme.

Linder ging langsam zum Heizkessel hinüber. Er war jetzt die Ruhe selbst. Kirschbaums Stimme wurde zu einem wie aus weiter Ferne heraufklingenden Gestammel - sinnlose Laut- und Wortfetzen... Er zog den dicken, mit schwarzem Asbest ummantelten Gummischlauch der Parallelentlüftung aus der Rückwand der Feuerung - zwei, drei kräftige Drehungen genügten -, dann wickelte er ihn um den Griff des Containers und schob die Schlauchspitze mit dem giftigen Kohlenmonoxyd der Verbrennung durch eine Aussparung des Deckels, die eigentlich der Abfallentlüftung diente.

Als er fertig war, setzte er sich auf den Stuhl in der Ecke, den der Hausmeister beim Heizen zum Ausruhen benutzte, und wartete ruhig ab.

Kirschbaum hustete und fluchte, er jammerte um sein Leben. Manchmal klangen seine Worte (wenn sie auch immer undeutlicher wurden), als biete er ihm nicht nur die Veröffentlichung

seines Buches, sondern gleich die Leitung des ganzen Verlages an.

«Sie haben eine glückliche Hand für so was, Linder, das spüre ich in den Fingerspitzen. Sie sind der geborene Verleger!»

Und schließlich behauptete er sogar, das Manuskript gefunden zu haben:

«Es ist hier - ich halt's in der Hand.»

Linder gab keine Antwort.

«Ein Versehen... um Gottes willen, Linder, alter Junge, machen Sie sich nicht unglücklich. Sie hatten ja recht... sein Titel lautet tatsächlich ‹Linders Lüste›.»

Zu plump und zu falsch, um einen Menschen mit seinem hohen Intelligenzquotienten zu beeindrucken, denn im Container war es stockfinster.

Als Kirschbaum endlich ruhig geworden war, stand Linder leise auf und verließ den Heizungskeller.  - Peter Schmidt, Linders Liste. Reinbek bei Hamburg 1988

Verlegertod (3)  
 

Verleger Tod

 

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