erkehrtheit
»Wie du bist, bist du mir recht bis zur Glückseligkeit.
Ich will dir sagen ... Vielleicht hängt meine Leidenschaft damit zusammen,
daß ich nie Mutter war, nie Mutter eines Sohnes.
Ich hätte ihn abgöttisch geliebt, war er nur halbwegs schön gewesen, was
freilich unwahrscheinlich, wäre er mir von Houpflé gekommen. Vielleicht,
sag' ich, ist diese Liebe zu euch versetzte Mutterliebe, die Sehnsucht
nach dem Sohn... Verkehrtheit, sagst du? Und ihr? Was wollt ihr mit unseren
Brüsten, die euch tränken, unserem Schoß, der
euch gebar? Wollt ihr nicht nur zurück zu ihnen, nicht wieder Brustkinder
sein? Ist es nicht die Mutter, die ihr unerlaubterweise im Weibe
liebt? Verkehrtheit! Die Liebe ist verkehrt durch
und durch, sie kann gar nicht anders sein als verkehrt. Setze die Sonde
an bei ihr, wo du willst, so findest du sie verkehrt... Aber traurig ist
es freilich und schmerzensreich für eine Frau, den Mann nur ganz, ganz
jung, als Knaben nur zu lieben. C'est un amour tragique, irraisonnable,
nicht anerkannt, nicht praktisch, nichts fürs Leben, nichts für die Heirat.
Man kann sich, mit der Schönheit nicht verheiraten. Ich, ich habe Houpflé
geheiratet, einen reichen Industriellen, damit ich im Schutze seines Reichtums
meine Bücher schreiben
kann, qui sont énormement intelligents. Mein Mann kann gar nichts, wie
ich dir sagte, wenigstens bei mir. Il me trompe, wie man das nennt, mit
einer Demoiselle vom Theater. Vielleicht kann er was bei der — ich möchte
es bezweifeln. Es ist mir auch gleichviel, - diese ganze Welt von Mann
und Weib und Ehe und Betrug ist mir gleichviel. Ich lebe in meiner sogenannten
Verkehrtheit, in meines Lebens Liebe, die allem zum Grunde liegt, was ich
bin, in dem Glück und Elend dieses Enthusiasmus mit seinem teueren Schwur,
daß nichts, nichts in dem ganzen Umkreis der Phänomene dem Reiz gleichkommt
jugendlicher Früh-Männlichkeit, - in der Liebe zu euch, zu dir, du Wunschbild,
dessen Schönheit ich küsse mit meines Geistes letzter Unterwürfigkeit!
Ich küsse deine anmaßenden Lippen über den weißen
Zähnen, die du im Lächeln
zeigst. Ich küsse die zarten Sterne deiner Brust, die goldenen Härchen
auf dem brünetten Grunde deines Unterarms. Was ist das? Woher nimmst du
bei deinen blauen Augen und blonden Haaren diesen Teint, den hellen Bronzeton
deiner Haut? Du bist verwirrend. Ob du verwirrend bist! La fleur de ta
jeunesse remplit mon cœur agé d'une eternelle ivresse.
Nie endigt dieser Rausch; ich werde mit ihm sterben,
doch immer wird mein Geist, ihr Ranken, euch umwerben. Du auch, bien aimé,
du alterst hin zum Grabe gar bald, doch das ist Trost und meines Herzens
Labe: ihr werdet immer sein, der Schönheit kurzes Glück, holdsel'ger Unbestand,
ewiger Augenblick!« - Thomas
Mann
,
Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Frankfurt am Main 1965 (Fischer-Tb.
639, zuerst 1954)
Verkehrtheit (2)
Als Misi und
ich durch unseren zerstörten Stadtteil gingen und nach unserer Straße suchten,
sahen wir in einem Hause, das einsam und unzerstört in der Trümmerwüste stand,
eine Frau die Fenster putzen. Wir stießen uns an,
wir blieben wie gebannt stehen, wir glaubten eine Verrückte
zu sehen. Das gleiche geschah, als wir Kinder einen kleinen Vorgarten säubern
und harken sahen. Das war so unbegreiflich, daß wir anderen davon erzählten,
als wäre es wunder was. Und eines Nachmittags gerieten wir in einen völlig unzerstörten
Vorort. Die Leute saßen auf ihren Balkons und tranken Kaffee. Es war wie ein
Film, es war eigentlich unmöglich. Ich weiß nicht, welcher Umwege des Denkens
es bedurfte, bis wir erkannten, daß nur wir mit verkehrten Augen auf das andere
Tun blickten. Und dann wiederum erschraken wir über uns. - Hans Erich
Nossack, Der Untergang. Frankfurt am Main 1987 (zuerst 1948)