erhärtung
Hunter Hawk begab sich in die Mitte des Raums.
»Ich werde mich jetzt in eine Statue verwandeln«,
verkündete er, »so etwas ist noch nie zuvor geschehen. Ich werde
praktisch ein Gebilde aus Stein sein, obwohl mir meine geistigen
Fähigkeiten erhalten bleiben. Nur meine linke
Hand wird der Versteinerung entgehen.
Ich werde sie brauchen, um mich meiner geliebten Familie zurückzugeben.«
»Moment mal«, unterbrach ihn Daphne, »angenommen, die linke
Hand funktioniert nicht. Was soll ich dann tun?«
»Zerschlage mich in kleine Stücke und bewirf die Nachbarn
mit meinen Überresten«, erwiderte Hawk, »aber paß auf, daß du
sie triffst.«
»Keine schlechte Idee«, sagte sie. »Entsetzlich«, hauchte
Mrs. Lambert. Aus der Ecke drang ein unbändiges Kichern.
Opa Lambert amüsierte sich.
Hunter Hawk verzog das Gesicht zu einem bösartigen Grinsen,
verschränkte die Arme, drehte dann den Ring an seiner rechten
Hand und ließ die unsichtbaren Strahlen durch seinen Körper strömen.
Es war eine sehr knifflige Aufgabe. Er mußte sehr vorsichtig
sein, damit er es nicht übertrieb. Später, als er mit der Wirkung
der Strahlen vertrauter wurde, wußte er genau, wieviel sein Körper
vertrug. Im Augenblick besaß er keine Anhaltspunkte. Der Strahl
tat beinahe augenblicklich seine Wirkung. Das schreckliche Grinsen
auf Mr. Hawks Gesicht erstarrte und verfestigte sich. Sein Körper
wurde steif und nahm die Farbe von Marmor an. Unter dem Einfluß
des machtvollen Strahls wurden sogar seine Kleider starr und
steif.
Mrs. Lambert rang entsetzt nach Luft, als sie in das Gesicht
ihres Bruders blickte.
»Jetzt wird er uns alle umbringen«, sagte sie, »er hat das
Gesicht eines Mörders.
Seht es euch an.«
»Ich kann den Blick gar nicht von
ihm wenden«, erwiderte Alfred Lambert, »obwohl ich es, weiß Gott,
gerne tun würde. Wenn es stimmt, was er gesagt hat, ist er jetzt
hilfloser als je zuvor.« »Warum schlägst du ihm dann nicht den
Kopf ab und sagst, es war ein Unfall«, schlug der alte Mann vor.
Aus dem verzerrten Mund der Statue schien ein leises aber bedrohliches
Grollen zu kommen.
»Oh, mein Gott!« Diese Worte kamen von Alice Lambert, und
sie waren diesmal völlig aufrichtig. »Habt ihr das gehört?« »Ich
habe etwas sehr Unangenehmes gehört«, erwiderte ihr Mann.
»Du hast ihn gehört«, erklärte sie und wies dramatisch auf
den verhärteten Mr. Hawk. »Genau diesen Ton würde er von sich
geben, wenn er sich in eine Statue verwandeln
würde... ein beunruhigender, unheimlicher Ton.«
- (
goetter
)
Verhärtung (2) Weil
er Orli nicht sagen konnte, warum er zum Arzt ging, erfand er jeden Morgen eine
neue Ausrede. Ach, diese unbarmherzige Verhärtung. Sich so einem Arzt zeigen?
Nie, nie, nie. Aber als er sein Wasser überhaupt nicht mehr los wurde, warf
er sich auf die Maschine und fuhr, - jede Unebenheit schlug spitz in ihm ein
- zum Urologen hin, sagte leise, er habe eine, das ist ja längst kein Fremdwort
mehr, schaute zur Assistentin hin, eine, eine komische Krankheit, aber der Doktor
schickte das junge Ding nicht weg, wartete ungerührt, daß Anselm weiterspräche,
befahl, dort unten aufzumachen, Anselm drehte sich ein wenig, sollte doch das
junge Ding ihn nicht voll im Morgensonnenschein so sehen, aber Los-los-raus-damit,
sagte der Doktor mit Fleiß, und drehte Anselm wieder in die Sonne und zog ihm
das Hemd weg undsoweiter. Ach, warum zwingt, wer den Experten spielt, auch den
Unschuldigen, so zu tun, als sei er durch und durch ein temperaturloses Fremdwort.
Sah denn dieser angebliche Medizin-Apparat nicht, daß das junge Ding vor diesem
Krankheitsbild wenigstens ein wenig erschrak? Anselm hob die Hände. Höher als
nötig. Der sollte als Polizist oder Räuber, auf jeden Fall als gewalttätiger
Feind vor Anselm stehen. Anselm, das Opfer, machte Händehoch, war unschuldig
der Brutalität ausgesetzt. Dann durfte er (wenigstens) liegen. Das Doktorinstrument
setzte sich neben ihn, aber das junge Ding mußte sich auch dazusetzen, offenbar
sollte sie abgehärtet werden, auf Anselms Kosten, "was der Chef sagte,
kritzelte sie in das Buch auf ihren Knien. Miktionsfunktion reduziert bis auf
Tröpfeln. Da fiel etwas, sie bückte sich links hinab, dadurch rutschte von ihren
Knien was Härteres rechts hinab, sie fährt hoch und nach rechts hinab, die ganze
Kladde poltert nach links, sie selber fällt auf die Knie, greift unten weit
aus, kommt mit Entschu l digungs lauten langsam herauf, bringt allmählich alles
wieder unter ihre Kontrolle, der Doktor, der jedem fallenden Gegenstand so lange
als möglich nachgesehen hatte, übersetzt meine Krankengeschichte weiter ins
Medizinische. Als es ans Katheterisieren ging, schickte er das Ding dann doch
weg. Das Katheter. Also doch wieder. Nach der Operation hast Du gedacht: das
hast Du hinter Dir. O Orli, mon Arche, Orli, ma Trasse, Deinetwegen wird Anselm
auf dem Lederbett gemartert von Dr. Prokrustes. Weil sie Deinen Anselm durch
keine Kampfart völlig vernichten konnten, arbeiten sie jetzt direkt aufs Zentrum
los. Bietet doch dieser Doktor Anselm ganz offen die Wahl an zwischen zwei Vernichtungsarten:
hormonelle Kastration oder Elektroblockschock. Und als Anselm erfährt, sein
Zustand höre auf den Namen Priapismus, hält er es
für möglich, daß dieser ganze Verlauf einem Wunsch oder einer Verwünschung aus
München unterworfen sei, schließlich hatte Birga ein Wort aus diesem Wort fromm
und gebildet benutzt, damit ihr ihres Mannes Mann auch vormittags wörtlich erreichbar
bliebe und nicht entkäme aus ihrem Benennungsnetz.
Anselm lehnte die angebotenen Vernichtungen sofort ab. Lieber täglich die
Katheterplage. Im Herbst, Herr Doktor, vielleicht, aber doch nicht jetzt zur
Hochsommerszeit, wo er braucht, was er hat. - Martin Walser, Das Einhorn. Frankfurt am Main
1966