Verhältnis  Neunzehn jahre lang haben wir ein Verhältnis miteinander gehabt. Eine auf beiden Seiten rein körperliche Leidenschaft. Sie kam zuerst eine Zeit lang jeden Tag von 5 bis 7 Uhr in mein Büro im Mercure.

Eines Tages (Donnerstag, den 18. Februar) kam sie mittags an. «Ich bin hier, um Ihnen zu sagen, daß ich nicht mehr kommen werde.» Und als ich mich wundere: «Es wird zu gefährlich für mich.» Ich stand von meinem Sessel auf und nahm sie in die Arme: «Ist es denn so unangenehm?» Erste Küsse und einige schwer wiederzugebende Einzelheiten. Unsere Anfänge fanden bei ihr statt, kurz darauf (Donnerstag, 25. März). Ich hatte es nie eilig. Sie: «Wann werden Sie sich entschließen?» - «Wann immer es Ihnen paßt, meine Liebe.» Wie sehr sie mich überraschte, 1. dadurch, daß sie in einem Hemd aus rauhem, grobem Leinen war, wie eine Frau vom Lande, was mich wirklich vermuten ließ, sie habe vor mir keinerlei Abenteuer gehabt, erst einige Zeit später hatte sie reizvollere Unterwäsche; 2. dadurch, daß sie an einer bestimmten Stelle völlig enthaart war, eine Enthaarung, die sie sorgfältig beibehielt. Ich fand das hübsch. (Als ich nach unserem Bruch meine Beziehungen zu Fanny aufnahm, die einige Zeit vorher eines Morgens in den Mercure gekommen war, um mich dazu aufzufordern: «Lieber Léautaud, wollen Sie zum Abendessen zu mir kommen» - sie nannte den Tag: «Sie werden es nicht bereuen», da legte ich ihr nahe, ein gleiches zu tun. Was ich da zu hören bekam!)  - eine Sinnlichkeit! Wenige Küsse schon brachten sie in Stimmung... was für eine Geliebte sie war, genießerisch in Wort und Tat, kundig in den Stellungen, die sie im Bett einnahm, und in ihren Liebkosungen; die Lust überkam sie in den unerwartetsten Augenblicken, bei ihr zu Hause, während eines Spaziergangs auf dem Lande, in einer Baubude, bei der Besichtigung eines zu vermietenden Hauses - in Pornic, bei unseren Spaziergangen in der Umgebung von La Passardiere, wo sie sich plötzlich entblößte, um alles meinen Blicken darzubieten, und so fröhlich, so lebhaft, so vergnügt, fast geistvoll in ihrer Lust: sie plapperte nicht nur über ihren Genuß und den, den sie selber schenkte (ich schreibe ihre Worte nicht hin, aber sage sie mir mit Wonne noch einmal auf) - wenn ich bei ihr die Nacht verbracht hatte und morgens aufstand, durch ihr Zimmer ging, während sie noch im Bett lag, und kurz stehenblieb, ließ sie sich... zeigen und bedeckte den Gegenstand ihrer Lust mit Küssen -die kleinen seancen, wenn es über sie kam, bei ihren täglichen Besuchen in meinem Büro im Mercure: ich an der geschlossenen Tür stehend, sie kniend, ohne ihren Hut abzusetzen... - einmal, als ich aus Pornic zurückgekommen war und sie mir ein gutes Dutzend Zeilen schrieb, in denen sie ihre Stellungen, ihre Gebärden, ihr verliebtes Tun schilderte - zu Beginn unserer Beziehungen, als sie mir sagte, bis dahin sei sie nie darauf gekommen, sich selbst anzusehen... und nachdem ich davon gesprochen hätte, habe sie in einem Spiegel untersucht, wie es aussehe, und es sehr hübsch gefunden - ich erinnere mich auch an einen Neujahrstag, als ich mürrisch und ungesprächig wie immer an solchen Tagen zu ihr kam, sie sich gegen ihre Kommode lehnte und sich entblößte: «Na, willst du ihr nicht auch ein gutes neues Jahr wünschen?» - ich lasse so manches andere weg, so zum Beispiel, daß sie eines Tages auf den Ein-fall kam, nachzumessen... und an einem anderen Neujahrstag, als ich mir auf den Boulevards die Buden angesehen und einen Vergrößerungsspiegel zum Betrachten der Stiche mitgebracht hatte, guckte sie sich darin... an - und mit fünfundsechzig Jahren (und noch in einigen darauffolgenden Jahren) waren ihr Körper, ihre Brüste so vollkommen geblieben. In mir hatte sie ihren Partner gefunden (so sagte sie mir eines Tages während unserer Anfänge: «Neben Ihnen ist mein Mann nur ein Trottel»).

Ihr Mann war ein großes altes Kind, entstammte einer adligen Familie aus Cahors, hatte sein Vermögen in seinen ersten Pariser Jahren durchgebracht, ein großer Verehrer Victor Hugos (durch meine herabsetzenden Äußerungen regte ich ihn immer auf), nahezu zwanzig Jahre älter als sie, nach anderthalb Ehejahren infolge Zuckerkrankheit impotent geworden; seither schliefen sie getrennt, für uns sehr günstig (ich hatte ein kleines Gelaß, das an ihr Zimmer stieß; dort schlief ich nach unseren Vergnügungen, wenn wir aus dem Theater zurückkamen, im Durchschnitt dreimal wöchentlich und sonntags, wenn ich zu ihr kam). Ich hatte ihm den Zunamen «Schultheiß» gegeben (wir nannten ihn nur noch so, auch in seiner Gegenwart), und zwar nach einem Theaterstück, das wir zusammen im Odeon gesehen hatten und dessen Hauptfigur ein Schultheiß war, der, wenn seine Frau nicht dabei war, den autoritären Aufschneider spielte und, sobald sie erschien, unterwürfig und sanft wie ein Lamm wurde. - (leau)

 

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