ergötterung   Er ist ein Meteor gewesen, dessen Name in der Artistengeschichte bleiben wird, ein Meteor mit den Eigenschaften eines Sternes. War das ein Lärm bei seinem Auftauchen in Paris! Es war wie ein Wahnsinn, der alle ergriffen hatte, wie eine Epidemie der Vergötterung. Und der Grund? Er war wohl ein hübscher Junge, wenn auch sein Gesicht etwas Vogelartiges hatte, und war schön gebaut — aber das konnte doch nur die Frauen begeistern. Als Trapezkünstler war er freilich der erste, größte in seiner Art, einfach verblüffend und unerreichbar. Aber ich meine, der eigentliche Grund jenes »Léotard-Rausches« lag in seinem — Mute.

Sein »Todessprung« von einem Trapez zum andern — darin lag‘s! Man hatte dergleichen noch nie gesehen. Man war atemlos vor Entsetzen, man fühlte eine Gänsehaut, das Haar sträubte sich. Und wenn er diesen Todessprung wieder zurückgetan, atmete man auf und ein Beifallsbrausen durchtobte den Cirque Napoléon. Dieser Todessprung ist seitdem wohl nachgeahmt worden, er ist eine obligate Nummer des Trapez-Repertoires — aber er macht nicht mehr die elementare Wirkung.

Man macht sich keinen Begriff von der Begeisterung, die damals Paris ergriffen hatte — die Politik war vergessen, der Zirkus war das wichtigste Ereignis der Welt. Dazu kam noch die Liebesnarrheit der Frauen. Man rannte ihm auf der Gasse nach, man hielt seinen Wagen an, die schönsten Weiber lagen vor ihm auf den Knien, Herzoginnen wie Grisetten. Don Juan, Casanova waren arme Kerle gegen den Adonis!

Man hatte Léotard-Krawatten, Léotard-Spazierstöcke, Léotard-Handschuhe, Léotard-Kuchen und Léotard-Heringe. Die Weiber trugen sogar Léotard-Sacktücher und Léotard-Broschen. Man machte ihn zum Helden eines Romans, unzähliger Feuilletons, sogar zum Helden eines brillanten Theaterstückes, welches im Palais Royal Furore machte: »L‘amour au trapèze«.

Was die Sache noch verschlimmerte, war der Umstand, daß er bei all dieser Frauentollheit kalt blieb wie Eis. - Signor Saltarino, aus: Salto. 99 Luftsprünge, Purzelbäume und andere Kunststücke. Berlin 2001 (Wagenbach, Salto 100, Hg. Susanne Schüssler, Maren Arzt)

Vergötterung (2)  Der Ehemann trieb seine Vergötterung der noch jugendlichen Frau sogar so weit, daß er einen Altar errichtete, auf welchem diese viele Stunden des Tages und insbesondere der Nacht bei brennenden Kerzen und in Wolken von Weihrauch nackt zu liegen hatte, was sie aber anscheinend gerne tat; und daß er bei Anfällen ungerechtfertigter Eifersucht oder einfach der Liebe verschiedene Quälereien oder gar Foltern praktizierte, die sie anscheinend auch nicht minder gerne hinnahm. Unmittelbar nach solch unsinnigem Tun suchte er Zuflucht in ihrem Schoß und vergoß bittere Tränen über die Qualen, die er ihr verursacht hatte; und sie, die aus anderem Grunde weinte, bat ihn, ihr immer wieder neue zuzufügen, wenn nötig, zu erfinden.

Darüber hinaus pflegte sie die Kunst der Magie, die sie ihrem Mann und zum Teil auch ihrer Tochter weitergab; sie brachte darin natürliche und überraschende Fähigkeiten zum Ausdruck. Was gewiß nicht wenig zur Verstörung und Verwirrung der Sinne beitrug. Die Eheleute gelobten sich Treue über den Tod hinaus, machten tausend Pläne für das ihrer Überzeugung nach gemeinsame Leben im Jenseits, versprachen, einander Zeichen zu geben für den Fall, daß einer von ihnen vorzeitig sterben würde. - Tommaso Landolfi, Herbsterzählung. Reinbek bei Hamburg 1990 (zuerst 1975)

Verehrung
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