ergiftung  "Keinen Beweis", korrigierte mich der Alte sanft, "bis auf das Ergebnis der Autopsie: Chronische Vergiftung."

Es war noch nie meine Art, mich durch Vermutungen von Experten bremsen zu lassen. Ich sagte: "Das stützt sich nur darauf, daß man in ihrer Leiche so wenig Arsen gefunden hat — weniger als eine tödliche Dosis. Und was man im Magen eines Toten findet, hängt davon ab, wieviel er vorher noch erbrochen hat."

Der Alte lächelte mich gütig an und fragte: "Aber Sie fühlen sich mit dieser Theorie noch nicht sicher genug, um einen Bericht zu schreiben, nicht wahr? Was wollen Sie jetzt als nächstes tun?"

"enn im Moment nichts anliegt, geh ich nach Hause, räuchere mir das Hirn mit Fatimas aus und versuche, diese Geschichte auf die Reihe zu kriegen. Ich denke, ich besorge mir den Graf von Monte Christo und lese es mal durch. Ich habe den Wälzer nicht mehr gelesen, seit ich ein Junge war. Das Fliegenpapier steckte möglicherweise nur deshalb in dem Buch, weil man ein dickes Bündel brauchte, das man in den Spalt zwischen Herd und Küchenwand klemmen konnte. Trotzdem, vielleicht findet sich im Buch irgendwo ein Hinweis. Ich seh mirs jedenfalls mal an."

"Das habe ich gestern abend schon getan", murmelte der Alte.

"Und?" fragte ich.

Er nahm ein Buch aus der Schublade, öffnete es an einer Stelle, die er mit einem Stück Papier markiert hatte, hielt es mir hin und deutete mit seinem rosigen Zeigefinger auf einen Abschnitt:

"Angenommen, Sie nehmen von diesem Gift am ersten Tag ein Milligramm, am zweiten Tag zwei Milligramm, und so weiter. Nun, nach zehn Tagen hätten Sie dann 55 Milligramm genommen, und nach zwanzig Tagen wären es 210 Milligramm — eine Dosis, die Ihnen keine Beschwerde bereiten würde, aber sehr gefährlich wäre für jede andere Person, die nicht dieselben Vorkehrungen getroffen hat wie Sie. Nun denn: Wenn Sie am Ende eines Monats zusammen mit einer anderen Person vergiftetes Wasser aus derselben Karaffe trinken, würden Sie diese Person töten, selbst aber nur ein leichtes Unwohlsein verspüren, das Ihnen sagt, daß sich in dem Wasser eine giftige Substanz befand."

"Das ist es", sagte ich. "Das ist es. Sie hatten Angst vor Babe und wollten ihn umbringen, ehe sie fortgingen, weil sie sich ganz sicher waren, daß er sonst Jagd auf sie machen würde. Sue versuchte, sich gegen Arsen immun zu machen, indem sie ihren Körper langsam daran gewöhnte und die Dosis von Tag zu Tag stetig erhöhte. Wenn sie dann das Essen mit einer Dosis vergiftete, die für Bäbe tödlich war, konnte sie selbst gefahrlos davon essen. Sie würde eine Weile krank sein, aber nicht daran sterben, und die Polizei konnte ihr seinen Tod nicht anhängen, weil sie ja selbst mitgegessen hatte. Das paßt. Nach dem Krach am Montagabend und dem Brief an Joe, daß sie es eilig hätte, wollte sie ihre Immunität beschleunigen und hat zuviel genommen. Deshalb hat sie Joe am Ende verflucht: Es war sein Plan gewesen."

"Möglich, daß sie eine zu hohe Dosis genomen hat, weil sie es eilig hatte", stimmte der Alte zu. "Aber es muß nicht so gewesen sein. Es gibt zwar Menschen, die sich an Arsen in hoher Dosierung gewöhnen können, aber bei ihnen scheint es so etwas wie eine natürliche Gabe zu sein, eine besondere Eigenart ihrer Konstitution. Jeder andere, der es versucht, würde dasselbe erleben wie Sue Hambleton — er würde sich langsam vergiften, bis sich eines Tages soviel angesammelt hat, daß es zum Tod führt."

Babe McCloor wurde sechs Monate später wegen des Mordes an Holy Joe Wales gehenkt. - Aus: Hans Hillmann. Fliegenpapier. Nach Dashiell Hammetts Kriminalgeschichte Flypaper. Frankfurt am Main 1990

Gift
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