Vergessenkönnen   «Die Künstler», sagt Nietzsche, «wenn sie etwas taugen, sind (auch leiblich) stark angelegt, überschüssig, Krafttiere, sensuell», und er rechnet die Mahlzeit neben dem Rausch zu den Zuständen, «in denen wir eine Verklärung und Fülle in die Dinge legen und an ihnen dichten, bis sie unsere eigene Fülle und Lebenslust zurückspiegeln». Nietzsches Worte charakterisieren auf das treffendste eine Seite von Balzacs Natur. Der Brand der unerfüllten Sehnsucht, die zermalmende Last der Arbeit, die Anfälle von Zweifel und Ekel, in denen er seine Existenz verneinte, ließen ihm doch eine unvergleichliche Elastizität und jene kostbare Gabe, von der er sagte, daß sie das Geheimnis der starken Naturen sei: das Vergessenkönnen. Wenn er sich einmal vom Druck der Arbeit freigemacht hatte, konnte er vergnügt wie ein Schuljunge einen ganzen Tag durch Paris bummeln, Ausstellungen und Konzerte besuchen und endlich diese Genüsse mit einer Mahlzeit beschließen, bei der er allein hundert Ostender Austern, zwölf Hammelkoteletten, eine Ente, ein paar Rebhühner, eine Seezunge verzehrte - der Verleger Werdet beschwört die Authentizität dieses Menüs, an dem er selbst, durch eine «akute Gastritis» verhindert, nur als Zuschauer teilnahm.  - Ernst Robert Curtius, Balzac. Bern 1951
 

Vergessen Können

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