ergänglichkeit

 

Eines von Frederik Ruyschs Tableaux zum Thema vanitas mundi, Amsterdam (Anfang 18. Jahrhundert)


Die leeren Augenhöhlen zum Himmel gewandt, stimmt das Skelett in der Mitte — ein etwa vier Monate alter Fötus — ein Klagelied über das Elend des Lebens an. »Oh, bitteres Los, oh, hartes Geschick!« singt es und begleitet sich auf einer Violine, die aus von Knochenmarkentzündung befallenem Gebein gefertigt ist und deren Bogen aus einer getrockneten Arterie besteht. Zu seiner Rechten dirigiert ein winziges Skelett die Musik mit einem Taktstock, in den kleine Nierensteine eingelegt sind. Rechts im Vordergrund schlingt ein steifes kleines Skelett mit Injektionsflüssigkeit gefüllte Schafdärme um seine Lenden, während seine rechte Hand einen Speer umklammert, der aus dem gehärteten Samenleiter eines erwachsenen Mannes besteht und der bitteren Wahrheit Ausdruck verleihen soll, daß die erste Stunde auch schon die letzte war. Zur Linken, hinter einer hübschen Vase, die aus einer aufgeblasenen Hodenhülle gefertigt ist, posiert ein elegantes kleines Skelett mit einer Feder auf dem Schädel und einem Stein, den es aus der Lunge ausgehustet hat und der jetzt an seiner Hand baumelt. Aller Wahrscheinlichkeit nach soll die Feder das Augenmerk auf die Verknöcherung der Hirnschale lenken. Für das kleine, waagerecht liegende Skelett im Vordergrund, auf dessen zarter Hand die vielbemühte Eintagsfliege sitzt, greift Ruysch auf den römischen Dichter Plautus zurück, einen der bevorzugten Autoren der damaligen Zeit, und zitiert ihn mit den Worten, die Lebensspanne sei so kurz gewesen wie die des jungen Grases, das, kaum gesprossen, schon von der Sense niedergemäht werde. - Dr. Antonie Luyendijk-Elshout, Univ. Leyden

  - (wesch)

Vergänglichkeit (2) Wir wundern uns nicht mehr, daß die menschliche Natur, die sterblich und vergänglich ist, die Menschen zwingt, dahinzugehen; wir sehen ja, daß auch die Flüsse versiegen, und hören, daß selbst die höchsten Gipfel der Berge kleiner werden. So sollen die Seeleute den Ätna jetzt erst aus größerer Nähe wahrnehmen als früher. Dasselbe soll mit dem Parnaß und dem Olymp in Piërien geschehen sein. Die Leute, die als noch bessere Erforscher der Natur der Welt gelten, behaupten, daß selbst das Weltall zugrunde gehe. - (ael)

Vergänglichkeit (3) Nach Genuß von etwas schwarzem Kaffee erscheinen auch die Eisenzementbauten in besserem Licht. Ich habe mit Erschrecken gesehen (auf einem Reklameprospekt einer amerikanischen Baufirma), daß diese Wolkenkratzer auch in dem Erdbeben von San Francisco stehenblieben. Aber im Grund halte ich sie doch nach einigem Nachdenken für vergänglicher als etwa Bauernhütten. Die standen tausend Jahre lang, denn sie waren auswechselbar, verbrauchten sich rasch und wuchsen also wieder auf ohne Aufhebens. Es ist gut, daß mir dieser Gedanke zu Hilfe kam, denn ich betrachte diese langen und ruhmvollen Häuser mit großem Vergnügen.

Ich glaube: Die Oberfläche hat eine große Zukunft.

In den kultivierten Ländern gibt es keine Moden. Es ist eine Ehre, den Vorbildern zu gleichen. Ich freue mich, daß in den Varietés die Tanzmädchen immer mehr gleichförmig aufgemacht werden. Es ist angenehm, daß es viele sind und daß man sie auswechseln kann.

Ich habe kein Bedürfnis danach, daß ein Gedanke von mir bleibt, ich möchte aber, daß alles aufgegessen wird, umgesetzt, aufgebraucht. - (bre)

Vergänglichkeit (4) Dabei habe ich eine gute Idee für einen politischen Suspense-Film. Es geht dabei um den Kalten Krieg. Ein Amerikaner, der perfekt russisch spricht, wird über dem heutigen Rußland mit einem Fallschirm abgesetzt. aber durch einen Zufall fällt der Mann, der ihn im Flugzeug beamerik.htmtreute, mit hinaus, und die beiden Männer kommen mit einem Fallschirm nach unten. Der eine hat einwandfreie Papiere, spricht perfekt russisch, man kann ihn für einen Russen halten. Aber bei ihm ist nun ein kleiner Amerikaner, der kein Wort russisch versteht und keine Papiere hat. Davon geht die Geschichte aus, in der jede Sekunde voll Suspense ist.

Ich könnte mir vorstellen, eine der ersten Möglichkeiten zur Lösung des Problems wäre, daß der Mann, dessen Papiere in Ordnung sind, den anderen als seinen von Geburt an stummen Bruder ausgibt.

Sicher, das würde für eine kleine Weile gutgehen. Der besondere Witz des Films wäre, daß die Dialoge in korrektem Russisch abgefaßt sein müßten. Dafür wäre natürlich der zweite Mann sehr nützlich, der würde dauernd auf Englisch fragen: »Was haben sie gesagt? Was haben sie gemacht?« Diese Figur würde die ganze Erzählung in Gang halten.

Sehr geschickt.

Aber leider werden wir nie die Erlaubnis bekommen, ihn zu drehen. - François Truffaut, Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? München 1973 (zuerst 1966)

Vergänglichkeit (5)  Man wird vielleicht die berechtigte Frage aufwerfen, ob es einen Ort gibt, wo das Vergängliche nicht vergeht, etwa das Feuer in der oberen Region, wo sein Gegensatz nicht vorhanden ist. Denn was Vergehen überhaupt betrifft, so gehen Attribute gegensätzlicher Substanzen akzidentell dadurch zugrunde, daß diese letzteren zugrunde gehen (Gegensätze heben ja einander auf); und was akzidentelles Vergehen betrifft, so kommt dies keiner einen Gegensatz bildenden Gegebenheit zu, die zur Klasse der Substanzen gehört, da ja die Substanz nicht als Attribut von einem Subjekt ausgesagt wird. Daher kann ein Ding, das keinen Gegensatz hat, nicht vergehen, und es kann dort, wo es keinen Gegensatz hat, nicht vergehen. Denn wovon sollte es zerstört werden, wenn Zerstörung eines Dinges ausschließlich von dessen Gegensatz bewirkt wird, ein solcher aber nicht vorhanden ist, entweder überhaupt nicht oder in der betreffenden Region nicht? Oder stimmt dies nur in einer Beziehung, in einer anderen jedoch nicht? Denn alles, was Materie an sich hat, muß in gewisser Weise einen Gegensatz haben. Denn es ist zwar für jedes Ding möglich, warm bzw. gerade zu sein, aber es ist unmöglich, daß jedes Ding warm bzw. gerade bzw. weiß ist. In diesem Falle hätten also die Attribute eine selbständige Existenz. Da nun, sobald das (in einer bestimmten Hinsicht) zu wirken Fähige und das (in eben dieser Hinsicht) eine Einwirkung zu erleiden Fähige in Kontakt kommen, immer das eine wirkt, das andere die entsprechende Einwirkung erfährt, findet mit Notwendigkeit Veränderung statt. Weiters gilt dasselbe, wenn das Ergebnis der Veränderung einen notwendigen Überschuß enthält und dieser Überschuß ein Gegensatz ist; denn jede Veränderung geht von einem Gegensatz aus, und der Überschuß ist ein Rest des früheren Zustandes. Wenn aber etwas seinen aktuell bestehenden Gegensatz aus einer bestimmten Region gänzlich eliminiert, dann muß man annehmen, daß es auch in der betreffenden Region nicht vergehen kann. Oder ist es vielmehr so, daß seine Umgebung seine Vernichtung bewirkt? Wenn das letztere der Fall ist, bedeutet dies aufgrund der angeführten Argumente die Zerstörbarkeit der betreffenden Substanz. Andernfalls braucht man zur Bestätigung unserer Ausführungen nur davon auszugehen, daß in dem Produkt der Veränderung ein aktueller Gegensatz vorhanden bleibt und als überschüssiger Rest wirksam ist. Daher ist alles immer in Veränderung begriffen und wird oder vergeht. Die Umgebung wirkt bei diesem Vorgang entweder förderlich oder hemmend. Und deshalb nehmen Dinge, die aus ihrer ursprünglichen in eine andere Umgebung gelangen, die Eigenschaft an, längere oder kürzere Zeit zu existieren, als es ihnen natürlicherweise zukommt, nirgendwo aber nehmen Dinge, die gegensätzlicher Attribute fähig sind, die Eigenschaft an, ewig zu sein; es ist ja primär die Materie gegensätzlicher Attribute fähig: Bezüglich des örtlichen Gegensatzes verändert ein materieller Körper seine räumliche Position, bezüglich des quantitativen wächst er und nimmt ab, bezüglich des qualitativen verändert er seine Qualität. - Aristoteles

Vergänglichkeit (6)  Als Weg zur Entmachtung des Geldes dachte Silvio Gesell nicht an einen Rückgriff auf das kanonische Zinsverbot der mittelalterlichen Scholastik oder an die Beseitigung von sogenannten ›jüdischen Wucherern‹. Vielmehr stellte er sich eine institutionelle Änderung des Geldwesens in der Weise vor, daß die spekulative Hortung des Geldes mit Kosten verbunden wird, welche die Vorteile der Hortbarkeit und Liquidität neutralisieren: Sobald das Geld mit einer Gebühr auf Kassenhaltung belegt werde - vergleichbar dem Standgeld für Güterwaggons im Verkehrswesen -, verliere es seine Überlegenheit über die Märkte und erfülle dann nur noch seine dienende Funktion als Tauschmittel. Sobald seine Zirkulation nicht mehr von Spekulationsmanövern gestört werden könne, werde es möglich, die Menge des zirkulierenden Geldes fortlaufend so an das Gütervolumen anzupassen, daß die Kaulkraft der Währung über lange Zeiträume stabil sei wie die Maße und Gewichte.

In seinen Frühschriften sprach Gesell ausdrücklich von »rostenden Banknoten« als Mittel zu einer »organischen Reform des Geldwesens«. Durch sie werde das Geld, das bislang ein »toter Fremdkörper« im sozialen Organismus gewesen sei, in das ewige Stirb und Werde allen Lebens integriert; es werde gleichsam vergänglich und verliere seine Eigenschaft, sich durch den Zins und Zinseszins bis ins Unendliche zu vermehren. - Nach: Diethart Kerbs, Jürgen Reulecke (Hg.): Handbuch der deutschen Reformbewegungen 1880 bis 1933. Wuppertal 1998

Vergänglichkeit (7)

   Es wird der bleiche tod mit seiner kalten hand
Dir endlich mit der zeit umb deine brüste streichen /
Der liebliche corall der lippen wird verbleichen;
   Der schultern warmer schnee wird werden kalter sand /
   Der augen süsser blitz / die kräffte deiner hand /
Für welchen solches fallt / die werden zeitlich weichen /
Das haar / das itztund kan des goldes glantz erreichen /
   Tilgt endlich tag und jähr als ein gemeines band.
Der wohlgesetzte fuß / die lieblichen gebärden /
Die werden theils zu staub / theils nicht und nichtig werden /
   Denn opfert keiner mehr der gottheit deiner pracht.
Diß und noch mehr als diß muß endlich untergehen /
Dein hertze kan allein zu aller zeit bestehen /
   Dieweil es die natur aus diamant gemacht.

- (hofm)

Vergänglichkeit (8)

- Charles Allan Gilbert, nach Wikipedia



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Verwandte Begriffe
Dauer

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Synonyme