erführung
Eine weibliche Technik der Verführung
besteht entweder darin, die Virilität des Mannes zu bezweifeln,
in dem man ihm durch einen Vermittler ein kleines Liebespfand
und eine der bereits berichteten spöttischen Fragen zustellt:
‹Hast du keine Knochen?› oder ‹Bist du ein Mann oder eine Frau?›,
oder aber darin, daß man sich in einer zum Angriff reizenden
Stellung darbietet. Das Gleichgewicht
zwischen Verteidigung gegen Angriff und Bereitsein zum Angriff
durchsetzt die ganze Erziehung. Kinder sind so wachsam, daß ein
Klaps absolut ohne Warnung gegeben werden muß, um sein Ziel zu
erreichen. Bei der leichtesten Anspannung eines Erwachsenenkörpers
zerstreut sich eine ganze Gruppe von Kindern wie Blätter im Wind.
Um die Männer zu irgendeiner Art von Aktivität zu bewegen, sind
Hagel von Beschimpfungen und Herausforderungen von einer anderen
Dorfseite oder einem anderen Clan nötig. Dagegen rast die einzelne
Frau, deren Speisekammer leer ist, in ihrer höchsten Stimmlage
gegen den Gatten, dessen Trägheit, Unvorsichtigkeit und allgemeiner
Energiemangel sie, ihre Kinder und ihn selbst vor seinen Schwägern
bloßstellt.
- Margaret Mead, Mann und Weib. Das Verhältnis
der Geschlechter in einer sich wandelnden Welt. Reinbek bei Hamburg
1972 (rde 69)
Verführung (2) »Ich stand im Begriff, ordnungsgemäß verführt zu werden«, sagte Spray. »Und dir erschien die Nacht dafür geeignet.«
»Das war sie«, sagte Mr. Pebble. »Hätte nicht besser sein können. Du hast damals in irgendeinem auf ägyptisch getrimmten Café gesungen und zeigtest dabei soviel, wie das Gesetz erlaubte. Wareinwandfrei - das Lied und alles andere auch. Ich bewunderte deine Stimme ebenso wie deinen Körper.«
»Und was war mit meinem Verstand?« fragte Spray.
»Davon war kaum was zu sehen«, sagte Mr. Pebble. »War auch gar nicht nötig. Aber weiter. Mir war an diesem Abend ziemlich elend zumute. Ich hatte Schwierigkeiten, mich zu betrinken. Also gab ich den Versuch auf und tröstete mich statt dessen mit dir, was wesentlich klüger war.«
»Jetzt fällt es mir wieder ein«, sagte Spray. »Du fuhrst mich zu deinem Haus und stelltest mich Sue vor. Dann borgtest du einige ihrer Sachen für mich, und wir brachen zum Long Island Sound auf. Sue benahm sich ganz reizend.« »Das hatte seinen Grund«, bemerkte Mr. Pebble mit schwachem Grinsen. »Ihr Freund steckte im Keller und bekam fast schon keine Luft mehr. Beinahe hätte ich versehentlich seine Hosen mitgenommen.«
»Wir waren schon ein erbauliches Trio, wir drei, nicht wahr?« sagte Spray.
»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, meinte Mr. Pebble. »Aber zumindest hatten wir beide soviel Geschmack oder soviel gesunden Menschenverstand, um den Abend nicht mit einem lärmenden Melodrama zu verschwenden. Sue erzählte mir später, sie hätte ein äußerst angenehmes Wochenende verbracht. Da legte sie Wert darauf. Vielleicht ist dir das nie bewußt geworden, Spray, aber du warst es, die verhinderte, daß meine Ehe mit Sue in die Brüche ging. Du hast uns buchstäblich zusammengehalten. Erst als ich dir ein Haus eingerichtet hatte, fühlte sie sich geneigt, auch mir ein Zuhause zu schaffen.«
»Freut mich, daß ich behilflich sein konnte«, sagte Spray. »Und so wurde ich also verführt.«
»Und so wurdest du verführt«, stimmte Mr. Pebble zu. »Du warst sogar so anständig, das Nachthemd meiner Frau zurückzugeben. «
»Es war ein süßes, verführerisches Stück«, bemerkte Spray. »Ja«, sagte Mr. Pebble fast traurig. »Für mich wollte sie es nie anziehen.«
»Also suchtest du dir dafür ein anderes Mädchen«, sagte Spray.
»Schien mir das Vernünftigste«, sagte Mr. Pebble. - Thorne Smith, Der Jungbrunnen.
Frankfurt am Main 1987 (zuerst 1937)
Verführung (3) Das Opfern ist ein Verführungsversuch, denn natürlich muss man den Göttern gefallen, sonst werden sie sich rächen. Das ist ein Duell - und die Götter antworten oder sie antworten nicht. Wenn sie aber nicht antworteten, dann war es aus mit ihnen in diesen Kulturen, denn die Götter hatten keine ewige Stellung, es war ein fortwährendes Spiel von Opfern und Vergelten.
Dieses Verhältnis zum Opfer hat sich verloren mit der Zeit. Wir kennen das Opfer nur noch im grausamen Sinne, es ist kein wechselseitiges Spiel mehr. Es fehlt der Potlatsch, das "ich gebe" und das "du gibst mir zurück". Diese Gabe, die eine Herausforderung ist, immer mehr zu geben.
Tatsächlich ist die Verführung Gottes immer auch mit einer Herausforderung
verbunden gewesen. Erst mit den großen monotheistischen Religionen kommt man
nicht mehr auf Opfer, sondern nur noch auf Glauben. Das kann am Anfang zwar
ein Glaube im tiefsten Sinne sein, der dann aber allmählich schwächer und schwächer
wird. Glaube ist sowieso ein "schwacher Wert", das hat Nietzsche schon
gesagt. Also wenn man an Gott glaubt, dann ist das ein Zeichen, dass man an
dessen Existenz glaubt. Aber es ist eben eine schwache Stellung, eine Reduzierung,
auch eine Herabstellung von Gott und den Göttern, die zuvor erhabene Macht hatten,
während der Glaube nur danach strebt, sich von der Existenz Gottes zu überzeugen.
Das ist nicht sublim, das ist menschlich, allzumenschlich, würde Nietzsche wieder
sagen. Wenn Gott wirklich da ist, wenn die Götter wirklich da sind, mitten im
Leben, dann braucht man nicht mehr an sie zu glauben. Dann ist der Glaube überflüssig.
-
Jean
Baudrillard
Verführung (4) Er spürte, wie weibliche Nerven als Strahlen in seinen Leib entsandt wurden, die langsam die Oberhand gewannen.
Auf alle möglichen Arten versuchte er, zu Beginn seiner Krankheit, sich das
Leben zu nehmen, um einer so schrecklichen Entwürdigung zu entgehen. Jedes Bad,
das er nahm, war mit Ertränkungsvorstellungen verknüpft. Er verlangte nach Gift.
Bei dieser Verzweiflung Schrebers über seine beabsichtigte Verwandlung
in ein Weib ist es aber nicht geblieben. Allmählich entstand in ihm die Überzeugung,
daß er gerade auf diese Weise den Bestand der Menschheit gewährleisten werde.
Es waren ja, unter furchtbaren Katastrophen, alle Menschen zugrunde gegangen.
Er, der einzige, der übrig war, konnte als Weib ein
neues Geschlecht zur Welt bringen. Als Vater seiner Kinder kam für ihn nur Gott
in Betracht. Er mußte die Liebe Gottes gewinnen. Sich mit Gott zu vereinigen,
war eine hohe Ehre; für ihn immer mehr zu einem Weibe zu werden, sich für ihn
verlockend herauszuputzen, ihn auf jede weibliche Weise anzuziehen, erschien
ihm, dem bärtigen früheren Senatspräsidenten, keineswegs
mehr als Schande und Entwürdigung. Man konnte so auch dem Komplott
Flechsigs entgegenwirken. Man erwarb sich Gottes Gunst; der Allmächtige, der
sich immer mehr von dem schönen Weib Schreber angezogen fühlte, geriet in eine
gewisse Abhängigkeit von ihm. Mit solchen Mitteln, die andern anstößig erscheinen
mögen, ist es Schreber tatsächlich geglückt, Gott an seine Person zu
fesseln. Nicht ohne Widerstand hat sich Gott in dieses etwas schmähliche Schicksal
ergeben. Immer wieder zieht er sich von Schreber zurück; es wäre gewiß sein
Wunsch, sich ganz von ihm zu befreien. Aber die Anziehungskraft Schrebers ist
zu groß geworden.
- (
cane
)
Verführung (5) Engel verführt man
gar nicht oder schnell. / Verzieh ihn einfach in den Hauseingang / Steck ihm
die Zunge in den Mund und lang / Ihm untern Rock, bis er sich naß macht, stell
/ Ihn das Gesicht zur Wand, heb ihm den Rock / Und fick
ihn. Stöhnt er irgendwie beklommen / Dann halt ihn
fest und laß ihn zweimal kommen / Sonst hat er dir am Ende einen Schock. //
Ermahn ihn, daß er gut den Hintern schwenkt / Heiß ihn dir ruhig an die Hoden
fassen / Sag ihm, er darf sich furchtlos fallen lassen / Dieweil er zwischen
Erd und Himmel hängt - // Doch schau ihm nicht beim Ficken ins Gesicht / Und
seine Flügel, Mensch, zerdrück sie nicht. -
Bertolt Brecht, Über die Verführung von Engeln, nach (
enc
)
Verführung (6) Sie ging zum Maler Gino Simonetti, einem wunderschönen jungen Mann, den es wirklich gibt und der keine Romanfigur ist. Er wohnt aber im Corso Re Umberto 17. Ich empfehle ihn meinen getreuen und besonders auch den ungetreuen Leserinnen.
Aber nachdem er aufmerksam und ehrerbietig den Gründen ihres Kommens gelauscht hatte, sagte er:
«Hören Sie, gnädige Frau. Seit einiger Zeit kann ich keine Frau mehr besitzen, außer nachdem ich sie in ein Anilinbad getaucht habe. Je nach Farbe ihrer Augen und nach ihren Lieblingsdichtern unterwerfe ich sie einer individuellen Färbung. Sie würden wunderschön ganz in Kobaltblau aussehen. Ja », fügte er hinzu, indem er sie nach Art der Maler etwas verkniffen ansah, «ja, nach einer tüchtigen Färbung mit Kobaltblau kann Ihr Akt erträglich sein. Ihre Haare müßten aber ein schönes Grün à la Paolo Veronese erhalten...
Im Augenblick habe ich aber nur rotes, gelbes, violettes Anilin im Hause, es fehlen gerade die beiden Farben, die zu Ihnen passen würden. Ich kann Ihnen daher, zu meinem Leidwesen, diesen Gefallen nicht tun, den ich Ihnen aus Gründen einer zwanzigjährigen Freundschaft, die mich mit Ihrem Mann verbindet, sonst gern getan hätte.»
Er geleitete sie zur Tür.
Es ist schwer, sich verführen zu lassen, dachte Susanna und stieg die Treppe
hinab. -
Pitigrilli, Betrüge mich gut. In: P., Betrüge mich gut. Reinbek bei
Hamburg 1988 (rororo 12179, zuerst 1922)
Verführung (7) Drinnen sprach er über
die überall ausgestreckten Zeigefinger des Todes,
»und daß sie hinwiesen, das Leben, so dumm es auch sei, nicht noch dümmer zu
machen, sondern lustig«. Er setzte sich mit ihr liebkosend - wie der Würgeengel
unsichtbar neben dem blühenden Kinde sitzt, das im alten Gemäuer spielt und
dem er den schwarzen Skorpion in die zarten Händchen drückt -; es war die Stelle,
wo er mit Albano, gegenüber dem Gerippe mit der Äolsharfe, in der ersten Bundesnacht
gesessen, als ihm der Freund die Entsagung Lindas beschwor. Seine Zunge strömte
wie sein Auge — Er war weich, wie nach dem Volksglauben
Leichen weich sind, denen Traurende nachsterben — Er
warf Feuer-Kränze in Rabettens Herz, aber sie hatte nicht wie er Wortströme
zum Löschen — sie konnte nur seufzen, nur umarmen; und die Männer versündigen
sich am leichtesten aus Langerweile an guten, aber langweiligen Herzen - Schneller
sprangen Lachen und Weinen, Tod und Scherz, Liebe und Frechheit ineinander über;
das moralische Gift macht die Zunge so leicht als physisches sie schwer - Die
Arme! die jungfräuliche Seele ist eine reife Rose, aus der, sobald ün Blatt
gezogen ist, leicht alle gepaarte nachfallen; seine wilden Küsse brachen die
ersten Blätter aus - Dann sanken andere - Umsonst wehet der gute Genius fromme
Töne aus der Harfe des Todes und rauschet zürnend im Orkus-Flusse der Katakombe
herauf - Umsonst! - Der schwärzeste Engel, der gern foltert, aber lieber Unschuldige
als Schuldige, hat schon vom Himmel den Stern der Liebe gerissen, um ihn als
Mordbrand in die Höhle zu tragen. Der Wehrlosen enges, armes Lebens-Gärtchen,
worin nur wenig wächst, steht auf dem langen Minengang, der unter Roquairols
ausgedehnten Lustlagern wegläuft; und der schwärzeste Engel hat die Minen-Lunte
schon angesteckt - Feurig frisset der gierige Punkt sich weiter. Noch steht
ihr Gärtchen voll Sonnenschein, und seine Blumen wiegen sich — der Funke nagt
ein wenig am schwarzen Pulver, plötzlich reißet er einen ungeheuern Flammen-Rachen
auf - Und das grüne Gärtchen taumelt, zersprengt, zerstäubt, in schwarzen Schollen
aus, der Luft herab an ganz fernen Stellen — und das Leben der Armen ist Dampf
und Gruft. - - Jean Paul, Titan
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