- (
grav
)
Verdrängung (2) Der Arsch entwickelte so etwas wie kleine zahnähnliche Widerhaken, und jetzt konnte er plötzlich außer reden auch essen. Der Mann fand das zuerst ganz witzig, und er baute es zu einer Nummer aus; aber das Arschloch fraß sich durch die Hose und redete auf offener Straße und verlangte lauthals nach Gleichberechtigung. Es betrank sich sogar und flennte dann jedesmal: >Warum liebt mich keiner, und warum werd ich nicht geküßt wie j eder andere Mund auch? < Schließlich redete es Tag und Nacht, und den Mann konnte man mehrere Straßen weit hören, wie er es anbrüllte, es solle endlich still sein. Er traktierte es mit Fäusten, er rammte Kerzen rein, aber es half nichts, und das Arschloch sagte zu ihm: ›Am Ende wirst du derjenige sein, der das Maul hält, und nicht ich. Du wirst hier nämlich überhaupt nicht mehr gebraucht. Ich kann jetzt reden und essen und scheißen.‹
Schließlich kam es soweit, daß er morgens aufwachte und auf seinem Mund ein
Stück durchsichtige Gallerte hatte, die aussah wie ein Kaulquappenschwanz. Diese
Gallerte war das, was die Wissenschaft als ›undifferenziertes Gewebe‹ bezeichnet:
es kann sich am menschlichen Körper zu jeder beliebigen Art von Gewebe entwickeln,
er riß es sich jedesmal vom Mund, aber die Fetzen blieben an seinen Händen kleben
wie brennendes Napalm und wuchsen dort fest. Egal wo sie landeten — sie wuchsen
überall an. Am Ende wuchs ihm also der Mund zu, und wahrscheinlich hätte sich
schließlich der ganze Kopf spontan amputiert. - (
lun
)
Verdrängung (3) Ein Penis
ist nichts als ein Penis, aber eine gute Zigarre
ist ein Raucherlebnis. - Sigmund Freud, nach:
Ray Bradbury, Der Tod ist ein einsames Geschäft. Zürich 1989
Verdrängung (4)
Verdrängung (5) Die These, die ich hier vortrage, besagt, daß die Biosphäre keine prognostizierbare Klasse von Objekten oder Erscheinungen enthält, sondern selber ein besonderes Ereignis darstellt, das gewiß mit den fundamentalen Prinzipien vereinbar, aus ihnen aber nicht ableitbar ist, das seinem Wesen nach also unvorhersehbar ist.
Man verstehe mich richtig. Wenn ich sage, daß die Lebewesen als Klasse nicht von den fundamentalen Prinzipien her voraussagbar sind, so will ich damit keineswegs suggerieren, daß sie aus diesen Prinzipien nicht erklärbar wären, daß sie sie irgendwie überschreiten und daß andere, allein und ausschließlich anwendbare Prinzipien herangezogen werden müßten. Nach meiner Ansicht ist die Biosphäre genauso unvorhersehbar wie die spezielle Konfiguration der Atome, aus denen der Kieselstein in meiner Hand besteht. Gegen eine universelle Theorie wird niemand den Vorwurf erheben, daß sie die Existenz dieser speziellen Atomkonfiguration nicht behauptet und voraussieht; es genügt uns, daß dieses vorliegende, einzigartige und reale Objekt mit der Theorie vereinbar ist. Der Theorie zufolge muß. dieses Objekt nicht, aber es darf existieren.
Das genügt uns, wenn es um den Kieselstein geht, nicht aber für uns selbst.
Wir möchten, daß wir notwendig sind, daß unsere Existenz unvermeidbar und seit
allen Zeiten beschlossen ist. Alle Religionen, fast alle Philosophien und zum
Teil sogar die Wissenschaft zeugen von der unermüdlichen, heroischen Anstrengung
der Menschheit, verzweifelt ihre eigene Zufälligkeit
zu verleugnen. - Jacques Monod, Zufall und Notwendigkeit. München
1996 (zuerst 1970)
Verdrängung (6) Überall verschwinden
die Tiere. In den Zoos sind sie das lebende Monument ihres eigenen
Untergangs geworden . . . Und der Verdrängung der Tiere folgt heute die
Verdrängung und die Abschaffung der einzigen Klasse, die in der
Geschichte immer mit Tieren vertraut gewesen war und sich jene Weisheit
bewahrt hatte, die eine solche Vertrautheit mit sich bringt: der
mittlere und der kleine Bauer
- John Berger, nach: Nachwort zu
(arc)
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