erbrennung
Alles Leben ist ein Verbrennungsprozeß. Von der Intensität
dieses Prozesses hängt die Dauer des Lebens ab. Er spielt sich
schon im Mineralreich ab, wenn auch latent und unmerklich, so
daß die anorganischen Stoffe eine unbegrenzte Lebensdauer zu
besitzen scheinen. Auch das Pflanzenreich weist Arten von scheinbar
unbegrenzter Lebensdauer auf. Es gibt einige Pflanzen, die noch
Zeugen der letzten Erdkatastrophe gewesen sind. Aber alle höheren
(das heißt «mit Instinkt, Gefühl oder Intelligenz begabten»)
Lebewesen sind schneller Verbrennung ausgesetzt. Auf der höchsten
Stufe steht der Mensch. Er allein besitzt Organe, die mit schöpferischem
Vermögen - la pensée — ausgestattet sind. Darum ist bei
ihm der Verbrennungsprozeß auch am intensivsten: was nach Balzac
auch durch das Vorhandensein von Phosphaten, Sulfaten und Karbonaten
im menschlichen Organismus bestätigt wird. Das elektrische Lebensfluidum
entfaltet im Menschen seine intensivsten und mannigfaltigsten
Wirkungen. «Der Mensch ist eine Retorte.»
-
Ernst Robert Curtius, Balzac. Bern 1951
Verbrennung (2) Ich werde Ihnen nur noch von der Voisin erzählen. Sie wurde nicht, wie ich Ihnen gemeldet hatte, am Mittwoch, sondern gestern verbrannt. Seit Montag kannte sie das Urteil, was ungewöhnlich ist. Am Abend sagte sie zu ihren Wärtern: »Wie, werden wir nicht mehr Medianoche halten?« Doch um Mitternacht aß sie mit ihnen, trank viel Wein und sang zwanzigerlei Trinklieder. Am Dienstag wurde sie im ersten und zweiten Grad gefoltert. Sie hatte acht Stunden geschlafen und mit Appetit zu Mittag gegessen. Auf der Matratze liegend wurde sie mit den Damen von Dreux und von La Feron und mehreren anderen konfrontiert. Was sie mitgeteilt hat, ist noch nicht bekannt. Es herrscht weiterhin der Glaube, man werde noch sehr seltsame Dinge erfahren. Sie aß zu Abend und benahm sich, obwohl von der Folter zerschunden, wieder skandalös. Man sagte ihr alle Schande, und sie täte besser daran, an Gott zu denken, und statt all dieser schamlosen Lieder Ave Maria Stella oder ein Salve zu singen, worauf sie dies tat, es ins Lächerliche zog, zu Abend aß und einschlief. Am Mittwoch dasselbe. Sie lehnte es ab, einen Beichtvater zu sehen. Gestern endlich, Donnerstag, wollte man ihr nur Fleischbrühe geben. Sie begehrte auf, es werde ihr an Kraft fehlen, um mit »diesen Herren« zu reden. Man führte sie im Wagen von Vincennes nach Paris. Sie hatte etwas Atemnot, fühlte sich beengt. Sie sollte beichten. Stillschweigen. Um fünf Uhr fesselte man sie. Sie erschien im Karren, weiß angezogen, in einer Art Gewand, um darin verbrannt zu werden.
Ihr Kopf war sehr rot und man sah, wie sie den Beichtvater und das Kruzifix zornig zurückstieß. Wir, Frau von Chaulnes, Frau von Sully, die Gräfin Fiesque und noch viele andere, erblickten sie, als sie vor dem Hotel Sully vorbeikam. Vor Notre-Dame hat sie sich geweigert, Abbitte zu leisten, und dann auf dem Grève-Platz sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, auszusteigen. Man zog sie mit Gewalt heraus und brachte sie auf den Holzstoß, band sie in sitzender Stellung mit eisernen Ketten fest, bedeckte sie mit Stroh. Sie fluchte drauflos, stieß fünf- oder sechsmal das Stroh weg, aber schließlich loderte das Feuer auf, und sie ward nicht mehr gesehen. Ihre Asche fliegt jetzt in der Luft herum. So also starb Frau Voisin, berühmt für ihre Verbrechen und ihren heidnischen Unglauben. Man nimmt an, es werde noch weitreichende Folgen haben und Überraschungen geben.
Ein Richter, dem mein Sohn letzthin sagte, es sei doch seltsam,
daß man sie so langsam habe rösten lassen, antwortete: »Oh, es
gibt gewisse kleine Erleichterungen
beim schwachen Geschlecht.« »Wie denn, erwürgt
man sie?« »Nein, aber man wirft ihnen Holzscheite an den Kopf
oder Henkersknechte brechen ihnen mit Schüreisen das Genick.«
Sie sehen, liebe Tochter, es ist offenbar nicht so schrecklich,
wie man es sich vorstellt. - (
sev
)
Verbrennung (3) Sie
erblickten in der Ferne eine Höhle, über der sich eine große
Kuppel wölbte, strahlend von Licht. Wie sie diese Höhle erblickten,
gingen sie auf sie zu, und als sie dort ankamen, traten sie ein.
Da sahen sie in ihr ein goldenes Thronlager stehen, das mit Edelsteinen
aller Art besetzt war, und rings darum standen Stühle,
deren Zahl nur Allah der Erhabene allein berechnen kann. Auf
jenem Thronlager sahen sie unseren Herrn Salomo liegen, angetan
mit einem Prachtgewande aus grüner Seide, das mit Gold durchwirkt
und mit den kostbarsten Edelsteinen besetzt war; seine rechte
Hand lag auf seiner Brust, und der Siegelring
war an seinem Finger, und der Stein des Ringes hatte einen so
strahlenden Glanz, daß er das Licht aller Juwelen verdunkelte,
die in jenem Räume waren. Nun lehrte 'Affân den Jüngling Bulûkija
Beschwörungsformeln und Zaubersprüche und sprach zu ihm: »Sprich
diese Formeln und hör nicht eher auf zu beschwören, als bis ich
den Ring genommen habe.' Dann trat 'Affân nahe an das Thronlager
heran; aber da, plötzlich, schoß eine riesenhafte Schlange
unter dem Lager hervor und stieß einen so gewaltigen Schrei aus,
daß jener ganze Raum davon erbebte, und Funken sprühten aus ihrem
Rachen. Darauf sprach die Schlange zu 'Affân: 'Hinweg, oder du
bist des Todes!' 'Affân aber beharrte dabei, Beschwörungsformeln
zu murmeln, und ließ sich nicht durch jene Schlange abschrecken.
Da blies sie ihn mit einem so furchtbaren Hauche an, daß es war,
als müsse die ganze Stätte in Flammen aufgehen, und sie rief:
,Weh dir, zurück, oder ich verbrenne dich!' Als Bulûkija diese
Worte von der Schlange hörte, lief er aus der Höhle hinaus; doch
'Affân ließ sich auch dadurch nicht abschrecken, sondern
er wagte es, an unseren Herrn Salomo heranzutreten und seine
Hand auszustrecken und den Ring zu berühren. Allein wie er ihn
von dem Finger des Königs herunterziehen wollte, blies die
Schlange ihren Odem wider ihn und verbrannte ihn, und er ward
zu einem Häuflein Asche. - (
1001
)
Verbrennung (4) Aurelian war Zeuge
der Hinrichtung, weil sein Fernbleiben einem Schuldbekenntnis gleichgekommen
wäre. Die Marterstätte war ein Hügel, auf dessen grüner Kuppe ein Pfahl tief
in den Boden gerammt war, umgeben von einer großen Anzahl Reisigbündel. Ein
Gerichtsdiener verlas den Urteilsspruch. Unter der Mittagssonne lag Johannes
von Pannonien, das Gesicht im Staub, und stieß tierisches Gejaule aus. Er scharrte
die Erde auf; die Henker jedoch rissen ihn weg, entkleideten ihn und schnürten
ihn schließlich an den Pfahl. Aufs Haupt setzten sie ihm eine mit Schwefel getränkte
Strohkrone; an seine Seite ein Exemplar des pestilenzhaften Adversus anulares.
Es hatte in der vergangenen Nacht geregnet; das Holz wollte nicht recht brennen.
Johannes von Pannonien betete auf Griechisch, und dann in einer unbekannten
Sprache. Die Flammengarben waren nahe daran, über ihm zusammenzuschlagen, als
Aurelian die Augen zu heben wagte. Die glühenden Schwaden hielten inne; Aurelian
sah zum ersten- und letztenmal das Antlitz des Verhaßten. Es erinnerte ihn an
jemanden, doch konnte er nicht genau sagen, an wen. Dann verging es in den Flammen;
dann schrie es auf, und es war, als schriee eine Feuersbrunst. - J. L. Borges, Die Theologen,
nach (
bo3
)
Verbrennung (5) Der Wendepunkt der
Schöpfung war der des Eintritts der Oxydation. Das Leben ist Kultus, das Leben
ist Oxydation, folglich Oxydation = Kultus. Atmen wird
religiöser Akt. Des Menschen Atmen ist sein Leben, die Art seiner Gottesverehrung.
Gottesverehrung aber ist Sein in Gott, Erkennen Gottes. In der Verbrennung führen
wir ein göttliches Leben, ja jedes Leben ist göttlich. Der Funken, der in Ewigkeit
fortzündet, ist das Sinnbild der Unsterblichkeit, und die Flamme das Sichtbarwerden
Gottes, so wie er im Leben fühlbar wird. — Flamme und Leben sind die beiden
Pole des Wassers. Das Wasser ist der gegenwärtige Gott
und die Mitte zwischen seiner Sichtbarkeit und Fühlbarkeit. Taufe = Gottesweihe
= Deifikation. - (
rit
)
Verbrennung (6) Er ging hinüber ms Badezimmer, wusch sich die Hände, trocknete sie an dem sauberen Handtuch ab und öffnete das Päckchen. Da lagen sie vor ihm, ganze Stapel von Zehnern. Fünf Bündel von je zwanzig Zehnern.
Fünfhundert Dollar wollte er verbrennen. Ein schauerlicher Gedanke und eigentlich auch sehr sonderbar; doch bevor er lange darüber nachdenken konnte (recht hatte er ja, das wußte er), entfernte er das Gummiband von zwei Bündeln und zählte von dem dritten zehn Zehndoüarno-ten ab. Er versuchte es zunächst im Aschenbecher, aber das ging sehr langsam. Der Waschtisch war besser.
Die Scheine erwiesen sich als überraschend hitzefest, doch schließlich hatte
er fünf oder sechs beieinander, die alle zusammen im Waschtisch loderten, und
dann mußte er zunächst aufhören und die Asche in ein Stück Zeitungspapier wickeln.
Es dauerte fast eine Viertelstunde, bis alle verbrannt waren, und es war seltsam
aufregend, sich vorzustellen, daß all das Geld, all die Macht und Freiheit sich
dort in Rauch auflösten und zu Asche wurden. Er säuberte den Waschtisch und
öffnete die Fenster im Schlafzimmer und auch im Bad, um Durchzug zu machen,
damit der Rauch abzog. Rauch und Feuer hatten ihm Spaß gemacht, aber er wollte
nicht, daß man im Hotel etwa annahm, es sei ein Feuer ausgebrochen. -
Patricia Highsmith, Lösegeld für einen Hund. Zürich 1976
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