erbluten Aus meiner brust troff aus zwei löchern blut, es tat aber nicht weh, es pfiff nur wie entweichende luft. Langsam lockerten sich die finger meiner geballten faust, die waffe rutschte seitwärts zu boden. Die filmleinwand war inzwischen hochgegangen und hatte eine tiefe bühne freigegeben. Eine leere, gähnende szene war vor mir entstanden, die auch nicht durch den sparsamen ausblick in einen diffusen Schnürboden gemildert wurde. Aber dann kam ein nettgekleideter mensch mit einer großen doppelleiter und bevölkerte diese prospektlose tristesse ein wenig. Der nette mensch stellte seine leiter auf, die kesse blondine stand, wie sie Gott geschaffen hatte, auf und nahm oberhalb meiner schienbeine auf klappstuhl nummer achtzehn platz, der nettgekleidete mensch stieg auf die leiter und sang ein heiteres quodlibet, dessen text ich jedoch nicht verstehen konnte, weil mein verpuffendes blut so pfiff. Dann erschien eine kaffeebraune brasilianerin in Carmen Miranda-aufmachung auf einem orchideengeschmückten hochrad und setzte alles daran, den netten sänger auf der leiter durch ihren eigenen, temperamentvollen gesang aus dem gleichgewicht zu bringen. Aber auch ihren text konnte ich nicht oder nur schlecht verstehen, weil mein blut aus den beiden löchern in meiner brust so pfiff. Und die nackte blondine neben mir tippte mit dem zeigefinger auf ihren bauchnabel und sagte mit warmer stimme: »Ich heiße Bonny und du bist Glied, der halbwegs beste macker weit und breit..« Und darauf erschien ein kunstschütze auf der bühne, und er rief in gutem schweizer Schriftdeutsch: »Merde, wo ist in diesem affentheater wieder einmal die zielscheibe hingekommen?« Und Bonny sagte ganz zärtlich: »Ich liebe dich doch so sehr; weshalb willst du dich denn unbedingt umbringen, wenn bis zum sterben eh gar nicht mehr so viel zeit vorhanden ist?« Und ich antwortete schon sehr schwach: »Warum hast du mir das nicht eher gesagt, beloved?«
Und dann war ich in einem Anderen Land und stand in der garderobe eines varietés
vor dem spiegel, und ich nahm eine rote, knollige
clownsnase ab, streifte die falschen gummifinger mit den echten brillantringen
von den händen, kleidete mich aus, schnallte den künstlichen buckel ab, ging
nach nebenan unter die brause, duschte zuerst heiß, dann kalt, dann lau. -
(
dru
)
Verbluten (2)
Ein Gefühl unbeschreiblichen Hasses befiel mich bei dem Bewußtsein, daß
jener — mein eigener Doppelgänger — hier schwelgte
und praßte, seit ich lebte, und daß ich selber es gewesen war, der ihn ins Dasein
gerufen und mit Reichtum beschenkt hatte, indem ich mir die magische Kraft meines
Ichs in Hoffen, Ersehnen
und Warten aus der Seele entströmen ließ. Mit Schrecken
wurde ich mir klar, daß mein ganzes Leben nur aus Warten in jeglicher Form bestanden
hatte und nur aus Warten - aus einer Art unaufhörlichen Verblutens - , und daß
die gesamte Zeit, die mir übriggeblieben war zum Empfinden von Gegenwart, kaum
nach Stunden zählte. Wie eine Seifenblase zerplatzte vor mir, was ich bis dahin
für den Inhalt meines Lebens gehalten. Ich sage Ihnen: was wir auch auf Erden
vollbringen, immer gebiert es ein neues Warten und ein neues Hoffen; das ganze
Weltall ist getränkt von dem Pesthauch des Absterbens einer kaum geborenen Gegenwart.
Wer hätte nie die entnervende Schwäche gefühlt, die uns befällt, wenn wir im
Wartezimmer eines Arztes, eines Advokaten, einer Amtsstube sitzen? Was wir Leben
nennen: Es ist der Wartesaal des Todes. Plötzlich begriff ich - damals - was
die Zeit ist: Wir selbst sind Gebilde, aus Zeit gemacht,
Leiber, die Stoff zu sein scheinen und nichts anderes sind als geronnene Zeit.
- Gustav Meyrink, J.H. Obereits Besuch bei den Zeitegeln. In:
G. M., Der Kardinal Napellus. Stuttgart 1983.
Die Bibliothek von Babel Bd. 19, Hg. Jorge Luis Borges
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- H. C.
Artmann
,
nach Konrad Bayer: hans carl artmann und die wiener dichtergruppe,
in (
artm
)
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