(hoe)
Verschwundene
Dorfbewohner
(2) Lange schon bin ich durch die Straßen dieses menschenleeren,
aber nicht öden Dorfes gegangen. Obschon ich keinerlei Spuren von Leben gefunden,
obwohl ich keinerlei Laute gehört habe und auch nicht davon träumen konnte,
um eine Ecke zu biegen und dort dem uralten Schlaf eines bejahrten Hundes oder
dem Zwitschern eines vor sich hinspielenden Kindes zu begegnen, kommt es mir
vor, als wäre hier alles für das Schauspiel des Lebens hergerichtet oder aufgebaut,
vielleicht in der Erwartung, das Leben möge erfunden werden. Ich habe Plätze
mit trockenen Brunnen gesehen, und um die Brunnen herum standen bequeme Bänke,
die zu freudigen und auch eigensinnigen Zwiegesprächen einluden. Ein menschenleerer
Ausschank wartet mit seinen leeren Schemeln auf Männer mit leichter und gewagter
Zunge; man hat Grasflächen angelegt für ungestüme kindliche Spiele; bequeme
Bänke sorgen dafür, daß Mütter und Großmütter aufpassen können, damit keines
der lieben Kleinen durch sein eigenes stürmisches Dasein zu Schaden komme. Dieses
Dorf ist eigens dazu ausgedacht, daß junge Leute heiraten, Kinder zur Welt kommen
und die Eltern alt werden, ohne nach etwas zu verlangen, das sich nicht innerhalb
dieser zerbrechlichen Grenzen befindet, wo der Friedhof eine nach der anderen
alle leeren Hüllen aufnehmen wird, die zu Lebzeiten der Liebe fähig waren. Ich
könnte annehmen, in diesem Dorf seien alle gestorben, ich weiß aber, keine Epidemie,
kein Krieg, keine innere Zerstörungswut, keine Hungersnot hat je diesen Ort
heimgesucht. Auch wenn ich den Friedhof fände, er wäre nichts als eine Lagerstätte
der Möglichkeiten, uneingedenk jeglichen Todeskampfes. Ich muß also glauben,
daß anderswo, an einem Ort, zu dem mir der Zugang versagt ist, sich alle diejenigen
befinden, die nach und nach dieses sanfte Dorf bevölkern werden, und daß an
jenem Ort die Stimmen, die Gebärden, die Ablehnungen, die Zustimmungen, die
ungestümen Geburten und die sanften Tode alle aufbewahrt sind. Es kann aber
sein, daß die imaginären Bewohner in einen uralten, unerschütterlichen Schlaf
versunken sind, aus dem sie nicht aufzuwachen gedenken. Und es kann auch sein,
daß dieses Dorf eben erst von einer kreischenden, bunten Menge verlassen wurde,
die irgendwie Kunde von meinem Eintreffen bekommen hatte; daß aber trotzdem
alles aufs schönste geordnet und mit einer Erwartung künftigen Lebens versehen
worden war, damit ich nicht wüßte, ob es nur meinetwegen verlassen und mir beinahe
als Zeichen der Kapitulation angeboten würde, wenn ich nur darauf verzichtete,
die Einwohner zu sehen und mit ihnen zu sprechen. Sollten sich die Dorfbewohner
etwa in den Klammen und Spalten des Tales versteckt haben? Halten sie etwa den
Atem an und legen den Kindern die Hand auf den Mund, damit sie weder weinen
noch lachen? - Giorgio Manganelli, Reisenotizen. In: (
irrt
)
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